5. Dezember 2023 | Experiment auf Forschungsrakete soll die Quantenforschung auf der Raumstation verbessern

MAIUS-2: Ultrakalte Atome im Weltraum-Mini-Labor

  • Am 2. Dezember 2023 um 8:30 Uhr MEZ ist das Experiment MAIUS-2 (Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) mit einer Forschungsrakete vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna (Nordschweden) ins Weltall gestartet.
  • Verschiedene Experimente untersuchen die Erzeugung von Bose-Einstein Kondensaten in Schwerelosigkeit.
  • Die Miniaturisierung eingesetzter Quantentechnologien soll auch das amerikanisch-deutsche Atomlabor Bose Einstein Condensate and Cold Atom Laboratory (BECCAL) voranbringen.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Quantenforschung, Forschung unter Weltraumbedingungen

Wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Internationalen Raumstation ISS forschen, dann muss die Technologie klein und leicht gebaut und zudem noch bis auf „Herz und Nieren“ getestet werden. Doch manche Experimente sind so komplex, dass gerade die Miniaturisierung zu einer großen Herausforderung wird. Dazu zählen auch Versuche mit sogenannten Bose-Einstein-Kondensaten (BEK), bei denen ultrakalte Atome in einer Materiewelle „im Einklang schwingen“. Um diese Entwicklung weiter voranzutreiben, ist am 2. Dezember 2023 um 8:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit das Experiment MAIUS-2 (Materiewellen-Interferometrie unter Schwerelosigkeit) mit einer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen Forschungsrakete vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna in Nordschweden ins Weltall gestartet. Während der etwa fünfeinhalb minütigen Phase, in der während des Fluges Schwerelosigkeit herrscht, hatten die deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geplant, mehrere Gemische aus Bose-Einstein-Kondensaten (BEK) während eines Höhenforschungsraketenflugs zu erzeugen und deren Verhalten in Mikrogravitation zu untersuchen.

„MAIUS-2 ist das komplexeste Experiment, das wir bisher auf einer Höhenforschungsrakete durchgeführt haben. Wir konnten nachweisen, dass die immer weiter miniaturisierte Technologie prinzipiell im Weltraum funktioniert“, erklärt Dr. Rebekka Grellmann, MAIUS-Projektleiterin der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. Während des Fluges konnte die Erzeugung von Rubidium Bose-Einstein-Kondensaten demonstriert und deren Verhalten im freien Fall untersucht werden. Zudem konnten die Forschenden die Erzeugung und das Verhalten kalter Atomwolken während der Brenndauer der Rakete untersuchen. Das Bose-Einstein Kondensat aus Kalium-Atomen baute sich allerdings nicht wie geplant auf. „Wir haben aber bereits viel aus den am Boden erzeugten Mischungen gelernt“, so Dr. Rebekka Grellmann weiter. „Die NASA forscht bereits mit ihrem Cold Atoms Lab auf der ISS. In Zukunft soll dort aber noch ein verbessertes Labor installiert werden, um die Forschung an ultrakalten und kondensierten Gemischen zu vertiefen und zur Entwicklung künftiger Quantensensoren beizutragen. Damit dieses amerikanisch-deutsche Atomlabor mit Namen Bose Einstein Condensate and Cold Atom Laboratory (BECCAL) weiter vorangebracht werden kann, werden die Ergebnisse des MAIUS-Fluges und aus dem Labor nun genau untersucht.“

Test des MAIUS-2-Experiments
Bevor die MAIUS-2-Rakete in den Weltraum starten konnte, wurden noch viele Tests durchgeführt. Einer davon ist der Test zur Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats (BEK) mit Rubidium (im Bild). Auch die Erzeugung des Kalium BEK wurde vor dem Start getestet.
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ZARM

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Während unter normaler Schwerkraft Bose-Einstein Kondensate nur für Bruchteile von Sekunden im freien Fall beobachtet werden können, gibt es beim fünfeinhalb minütigen Flug mit einer Höhenforschungsrakete aufgrund der Schwerelosigkeit keine Einschränkungen der Beobachtungsdauer. In dieser Zeit wurden verschiedene Experimente weitestgehend autonom an Bord der Rakete durchgeführt. Die Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten, besonders von Gemischen, ist äußerst komplex und erfordert fein aufeinander abgestimmte experimentelle Parameter. Diese müssen zu Beginn der Mikrogravitationsphase gefunden werden, da sie sich von den Parametern am Boden unterscheiden. Nach der erfolgreichen Erzeugung ultrakalter Gemische aus Rubidium und Kalium sollte mit den im Flug gewonnenen Daten der Grundzustand ihrer Wellenfunktion in Schwerelosigkeit untersucht werden. Die verschiedenen Atomsorten mischen sich dabei (wie Wasser und Öl) unter Schwerelosigkeit aufgrund des fehlenden Auftriebs anders als auf dem Erdboden.

Zwei Atomsorten – viele experimentelle und technologische Herausforderungen

Auf MAIUS-2 sollten nun neben ultrakalten Rubidium-Atomen erstmalig auch ultrakalte Kalium-Atome auf einer Forschungsrakete eingesetzt werden. Doch die Verwendung zweier verschiedener Atomsorten stellte das Team dabei vor eine große technologische Herausforderung: Für die Erzeugung von Bose-Einstein-Kondensaten zweier verschiedener Atomsorten wird die doppelte Anzahl von Lasern und somit mehr Elektronik benötigt – das heißt eine komplexere Nutzlast bei nahezu konstanter Masse und Volumen des Aufbaus. Zu den technologischen Herausforderungen kommen noch experimentelle hinzu, denn die Erzeugung von Mischungen ist alles andere als trivial. Doch wie kann in so einer kleinen Apparatur eigentlich ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugt werden?

Atome in der Falle

Will man ein Bose-Einstein-Kondensat erzeugen, muss die Bewegung der Atome auf ein Minimum reduziert werden. Dafür müssen die Rubidium- und Kaliumatomwolken auf nahezu -273 Grad Celsius abgekühlt werden. In einem zweistufigen Verfahren werden die Atome zunächst mit Hilfe winziger Laser abgebremst – denn je schneller sich Atome im Gas bewegen, desto höher sind deren Temperaturen. Der Laserimpuls bremst die Atome ab und entzieht ihnen dabei Energie. Dieses Prinzip der Laserkühlung kann die Atome allerdings nie vollständig abbremsen: Dem absoluten Nullpunkt kommt man allein dadurch nicht nahe genug.

Energie wird einfach „weggepustet“

Nach der Laserkühlung beginnt daher in einer sogenannten Magnetfalle die zweite Phase des Temperatursturzes. Die Teilchen werden dazu in eine Atomfalle überführt, aus der sie nicht entweichen können. Hierzu werden auf einem Atomchip Magnetfelder erzeugt. Den magnetischen Einschluss kann man sich als die „Wände“ der Falle vorstellen. Anschließend werden die schnellsten Atome mit Hilfe von Mikrowellen selektiv entfernt, sodass im Mittel eine kältere Wolke zurückbleibt. Diese Methode ist mit dem gezielten Abkühlen von Kaffee in einer Tasse vergleichbar: Lässt man das Heißgetränk stehen, kühlt es verhältnismäßig langsam ab. Entfernt man aber durch Pusten gezielt den aufsteigenden Dampf – also auf dem Wege zum BEK die verbliebenen hochenergetischsten Gasatome – so kühlt das Heißgetränk wesentlich schneller ab. Durch diese sogenannte evaporative Kühlung können Temperaturen erreicht werden, die nur noch einen Hauch vom absoluten Nullpunkt entfernt sind – ideale Bedingungen zur Beobachtung eines BEK. Die so erzeugten ultrakalten Atome können dann zur Untersuchung ihres Grundzustandes, ihrer Wechselwirkungen genutzt werden und bieten darüber hinaus ideale Bedingungen zur Materiewelleninterferometrie.

Während die Erzeugung eines Bose-Einstein Kondensats mit Rubidium-Atomen den Forschern und Forscherinnen gelang, traten bei dem Teil des Lasersystems, welches zur Erzeugung des Kalium BEK genutzt werden sollte, Probleme auf, so dass keine Kalium Atome gefangen werden konnten. Zur Ursache der Probleme werden nun detaillierte Untersuchungen durchgeführt, um damit das Design zukünftiger Missionen zu verbessern.

Weitere Experimente mit kalten Atomen und Atominterferometern im Weltall werden folgen

Die genauen Resultate der Messung des Rubidium BEK und Erkenntnisse über die eingesetzte Technologie werden zukünftig für weitere Raketenexperimente und Missionen auf der Internationalen Raumstation oder auf Satelliten von großer Bedeutung sein, um mit Hilfe von Atominterferometern im Weltraum bisher unerreichte Genauigkeiten zu ermöglichen. Mit BECCAL soll dann unter anderem die Fallgeschwindigkeit von Bose-Einstein-Kondensaten aus beiden Atomarten via Interferometrie verglichen werden. Damit soll der Teil der Einsteinschen Relativitätstheorie überprüft werden, der besagt, dass im Vakuum alle Massen gleich schnell fallen - das so genannte Äquivalenzprinzip. Würde diese Annahme widerlegt werden, wäre die Relativitätstheorie nicht mehr uneingeschränkt gültig.

Software zur Forschung am absoluten Temperaturnullpunkt

Das DLR-Institut für Softwaretechnologie lieferte zusammen mit dem DLR-Institut für Satellitengeodäsie und Intertialsensorik die Software sowohl für die Vorbereitung als auch für die Durchführung der Experimente mit Quantengasen. Mit Hilfe speziell entwickelter Programme konnten die Physikerinnen und Physiker zunächst die einzelnen Experimentabläufe ohne tiefere Programmierkenntnisse auf den Bordcomputer übertragen. Während des Experiments selbst war die Flugsoftware auf dem Bordcomputer für vielfältige Aufgaben zuständig: Sie konfigurierte die Experimentsequenzen, führte diese durch und sammelte, speicherte und übertrug Daten an Bodenstationen. Ebenso steuerte sie spezielle Hardwarekomponenten wie Kameras während des Fluges.

Keine Rakete – keine Forschung

Die Mobile Raketenbasis (MORABA) der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining verantwortete die Durchführung der Höhenforschungsmission. Dazu gehören neben Systemen der Höhenforschungsrakete auch Nutzlast-Unterstützungssysteme, zum Beispiel zur Lageregelung während der Schwerelosigkeitsphase, oder der Bergung am Ende des Fluges, sowie das Servicesystem der Rakete.

Deutscher Forschungsverbund realisiert die Mission

Das Projekt MAIUS-2 wird von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) koordiniert. Das MAIUS-2-Konsortium wird von der Universität Bremen geführt. Die wissenschaftliche Leitung hat die Universität Hannover im Verbund mit der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Ferdinand-Braun-Institut in Berlin, dem Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen, der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, der Universität Hamburg, der Universität Ulm und der Technischen Universität Darmstadt. Dem Forschungsverbund gehören außerdem das DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen, das DLR-Institut für Softwaretechnologie und die Mobile Raketenbasis des DLR (MORABA) an, welche auch die Startkampagne durchführt.

Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR fördert bereits seit 2004 im Rahmen der QUANTUS-Verbundprojekte die Erzeugung und Materiewelleninterferometrie von Bose-Einstein-Kondensaten unter Schwerelosigkeit. Im Rahmen dieser Förderung gelang es dem QUANTUS-Team im Jahr 2007 erstmals, ein BEK unter Schwerelosigkeit im Fallturm des ZARM in Bremen zu erzeugen. Die weltweit beachtete Forschung mit QUANTUS leistete entscheidende Pionierarbeit für MAIUS und das Cold Atom Laboratory (CAL). Auch für die Vorbereitung weiterer Missionen, wie zum Beispiel BECCAL oder die europäische Pfadfinder-Mission für Schwerefeldmessungen CARIOQA, bleibt QUANTUS sowohl im Fallturm als auch auf Höhenforschungsraketen ein wichtiger Vorreiter.

Kontakt

Martin Fleischmann

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Deutsche Raumfahrtagentur im DLR
Kommunikation & Presse
Königswinterer Str. 522-524, 53227 Bonn
Tel: +49 228 447-120

Falk Dambowsky

Leitung Media Relations, Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3959

Dr. Rebekka Grellmann

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Forschung und Exploration
Linder Höhe, 51147 Köln

Dr.-Ing. Jens Große

Gruppenleiter
Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM)
Am Fallturm 2, 28359 Bremen