24. November 2022 | Winter am Nord- und Südpol des Mars

Wenn bis zu vier Meter Eis und Schnee auf den Mars rieseln

  • Jahreszeitlich bedingt erstreckt sich Eis und Schnee weit in Richtung Mars-Äquator: Jetzt konnte die Dicke dieser Bedeckung bestimmt werden.
  • Die nicht-permanente Schnee- und Eisschicht schwankt regional zwischen einem Meter und bis zu vier Metern.
  • Die Laser-Höhenmessungen der NASA-Mission Mars Global Surveyor liefern weitere Erkenntnisse über den Mars, aber auch den Mond, Merkur und Ganymed.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Exploration, Mars

Der Winter auf dem Mars sorgt auf riesigen Flächen für Eis- und Schneedicken von bis zu vier Metern. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität (TU) Berlin, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und weiteren Forschungseinrichtungen aus Europa, den USA, Japan und China.

„Das ist ein enormes Volumen, wenn man die zusätzlichen Schnee- und Eismassen des Winters zusammenrechnet“, erklärt Haifeng Xiao vom Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik an der TU Berlin. Xiao hat die Dicke der jahreszeitlich schwankenden Schnee- und Eisbedeckung gemessen und jetzt gemeinsam als Erstautor mit einem internationalen Team in zwei Artikeln im Fachjournal JGR Planets veröffentlicht. Dr. Alexander Stark vom DLR-Institut für Planetenforschung, Co-Autor der beiden Publikationen, ergänzt: „Das dürften knapp zehn Billionen Kubikmeter vor allem gefrorenes Kohlendioxid, aber auch Schneeflocken und Eiskristalle von Wasser sein, die zusätzlich zu den permanenten Polkappen gebunden sind. Das entspricht fast dem Rauminhalt des Oberen Sees an der Grenze zwischen Kanada und den USA, dem mit zwölf Billionen Kubikmeter Volumen zweitgrößten Süßwassersee der Erde“ – oder mehr als zweihundert Mal dem Inhalt des Bodensees.

Wachsende Polkappen im extrem kalten Marswinter

Der Mars durchläuft wie die Erde Jahreszeiten. Seine Drehachse steht mit 25,2 Grad fast genauso schräg wie die der Erde auf der Umlaufbahn um die Sonne, so dass sie ein halbes Marsjahr stärker auf die Nordhalbkugel scheint, und ein halbes Marsjahr direkter auf die Südhalbkugel. Folglich gibt es auf dem Mars auch die Polarnacht, die wegen des zweijährigen Umlaufs des Planeten um die Sonne an beiden Polen allerdings doppelt so lange wie auf der Erde dauert. Mars verfügt über ausgedehnte Polkappen, die auch den Sommer überdauern. Im dunklen und extrem kalten Marswinter jedoch wachsen die dauerhaften Eiskappen und dehnen sich bis zum Einsetzen des Frühlings weit über die Polarkreise zum Äquator hin aus.

Berlin hätte auf dem Mars einen langen Winter

Entdeckt wurde die Südpol-Eiskappe auf dem Mars vom niederländischen Astronomen Christiaan Huygens im August 1672. 1704 wurde von Giacomo Filippo Maraldi erstmals das Eis am Nordpol gesichtet. Ihre räumliche Ausdehnung wurde auf zahlreichen Marsmissionen in Bildern festgehalten und kartiert. Das ist nur möglich, wenn sich die Eis- oder Schneefläche nicht im Dunkel der Polarnacht befindet – also vor allem im ausgehenden Winter und beginnenden Frühling. Spektrometer, mit denen die „Wärmeabstrahlung” - in diesem Fall die eisigen Temperaturen der winterlichen Oberfläche – gemessen wurde, lieferten wichtige Hinweise über die jahreszeitliche Bedeckung durch gefrorenes Wasser- und Kohlendioxideis. Dabei zeigte sich, dass diese saisonale Schnee-und Eisbedeckung viel weiter in die gemäßigten Breiten vordringt als auf der Erde. „Läge Berlin auf dem Mars wie auf der Erde am 52. nördlichen Breitengrad, wäre die Stadt vom Spätherbst und über den sechsmonatigen Marswinter von einer dünnen Schneeschicht bedeckt“, sagt Haifeng Xiao.

Video: Entwicklung der saisonalen Marspolkappen im Süden (links) und Norden (rechts) in der vertikalen Dimension aus MOLA-Höhenprofilen im Marsjahr 24 und 25.
Die Kartenabdeckung reicht von 60 Grad S/N bis 87 Grad S/N. Die fehlende Abdeckung polwärts von ungefähr 87 Grad S/N ist auf das Fehlen von Nadir-Profilen zurückzuführen, die auf die Bahnneigung der Mars Global Surveyor-Sonde zurückzuführen sind. Die Kartenprojektion ist polarstereografisch und auf die Pole zentriert. Die Dicke nimmt mit der Akkumulation von Eis und Schnee im Herbst und Winter zu und nimmt danach aufgrund der Sublimation im Frühjahr wieder ab. Es ist eine deutliche räumliche Heterogenität bei der Zunahme und Schrumpfung der Dicke festzustellen. Besonders auffällig ist das anormale Verhalten der saisonalen Polkappe über Olympia Undae (unten rechts), dem größten zusammenhängenden Dünenfeld auf dem Mars. Die maximale Dicke kann dort bis zu 4 Meter betragen, was 1,5 Meter über der restlichen Nordpolkappe und 2,5 Meter über dem Südpol in den Schatten stellt.
Credit:

DLR/TU Berlin

Alte Daten für neue Erkenntnisse

Für ihre Studien werteten die Forscherinnen und Forscher einen schon länger existierenden Datensatz neu aus: Die Daten stammen von der NASA-Raumsonde Mars Global Surveyor (MGS), die den Mars zwischen 1997 und 2006 umkreiste und das Laser-Altimeter MOLA (Mars Observer Laser Altimeter) an Bord hatte. Aus der Laufzeit der vom Marsboden reflektierten Laserschüsse lässt sich die Entfernung zwischen Orbiter und Marsoberfläche berechnen. Je häufiger dies geschieht, desto enger, genauer und „flächiger“ wird die Abdeckung mit zehn punktförmigen Messungen pro Sekunde und Profillinien entlang der auf den Boden projizierten Flugbahn – eine topographische Karte entsteht. Der große Vorteil: MOLA lieferte auch in der Polarnacht Daten.

Basis der Untersuchung waren die Messwerte von 600 Millionen Laserpulsen und 8.000 Laserprofilen, die im Verlauf eines Marsjahres, also etwa zwei Erdenjahren, zwischen 1999 und 2001 von MOLA aufgezeichnet wurden. Dabei wurde die numerische Auswertung an die Tatsache angepasst, dass die Eis- und Schneebedeckung dynamisch ist, also während zu Winters zu- und dann im Frühjahr wieder abnimmt und deshalb die Mächtigkeiten variieren. Dadurch konnten die Wissenschaftler ein Modell der Eis- und Schneebedeckung als Funktion der Zeit für die jeweilige geographische Lage in einem Raster von jeweils einem halben Breitengrad und zehn Längengraden von 60 Grad nördlicher bzw. südlicher Breite bis fast zum jeweiligen Pol berechnen.

Video: Laserschüsse auf den Mars
Das Mars Observer Laser Altimeter (MOLA) auf der NASA-Mission Mars Global Surveyor vermaß zwischen 1998 und 2001 die Topographie, also die Höhen und Tiefen der Marslandschaften. Dafür wurden aus der Umlaufbahn zehnmal pro Sekunde entlang eines Längengrades Laserpulse zur Oberfläche geschickt, dort reflektiert und nach dem Bruchteil einer Sekunde wieder empfangen. Aus der Kenntnis der Umlaufbahn und der Laufzeit des Laserpulses lässt sich die ‚Nähe‘ (Höhe) bzw. ‚Ferne‘ (Tiefe) des Reflexionspunktes berechnen. Durch Millionenfache Laser-Messpunkte entsteht eine flächige Karte der Topografie des Mars in hoher absoluter Genauigkeit von wenigen Dezimetern. Das Messprinzip ergänzt sich ideal mit den Stereobilddaten der High Resolution Stereo Camera (HRSC) des DLR auf der ESA-Mission Mars Express, deren digitale Geländemodelle zwar nicht so genau sind, aber dafür flächendeckend für jeden Messpunkt ein Bildpunkt vorhanden ist.
Credit:

NASA/JPL/CALTECH/DLR

Vier Meter hoch Eis und Schnee in den „Wellen von Olympia“

Bei der Auswertung zeigte sich, dass die Dicke der Eis- und Schneebedeckung von den Polen in Richtung des Äquators bei einigen regionalen und saisonalen Schwankungen abnimmt – was einleuchtet. Überraschender ist die Erkenntnis, dass das Volumen der Bedeckung, also auch ihre Gesamtmasse, gegen Ende des Winters am höchsten ist, wohingegen die Ausdehnung schon zur Wintersonnenwende, also etwa sechs Erdenmonate früher, am größten ist und gegen Ende des Winters schon deutlich abgenommen hat. Dieser Befund wird von anderen Experimenten bestätigt. „Womöglich kann diese Diskrepanz damit erklärt werden, dass Kohlendioxideis am Rand der Polkappen früher im Winter sublimiert, also vom festen zurück in den gasförmigen Zustand wechselt und dann Bestandteil der Atmosphäre ist. Gleichzeitig kondensiert CO2-Eis außerhalb der dauerhaften Polkappen aus der Atmosphäre und wird so weiter nördlich abgelagert. Dies geschieht bis Ende des Winters – und dadurch wächst das Eisvolumen“, bietet Haifeng Xiao als Erklärung an.

Am Südpol ist der jahreszeitliche Zuwachs auf die hellweißen, bis zu 1.500 Meter dicken, permanenten Eisschichten aus CO2-Eis mit zweieinhalb Metern am höchsten. Am Nordpol mit seiner viel dickeren permanenten, überwiegend aus Wassereis bestehenden Eisbedeckung beträgt die maximale Höhe der zusätzlichen Eis- und Schneebedeckung nur 1,3 Meter. Dafür ist sie 500 bis 800 Kilometer weiter südlich in der riesigen, fast 500.000 Quadratkilometer großen Wüste Olympia Undae („Wellen von Olympia“) mit ihren großen Dünen bis zu vier Meter mächtig.

„Verglichen mit den Schneemengen eines irdischen Winters, beispielsweise in einem Alpental, ist das eine sehr beeindruckende Schneewand, in der jede bisherige Mars-Landesonde vollständig unter dem Gemisch aus Eiskristallen, Schneeflocken und Luft verschwinden würde“, verdeutlicht Alexander Stark. Außerdem unterliegt die Eisbedeckung jährlichen Schwankungen. So war die Dicke der maximalen Eis- und Schneebedeckung am Südpol im zweiten Marswinter einen halben Meter höher als im Winter davor. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bieten als Erklärung an, dass im ersten Winter die Kondensationsraten vermutlich höher und die Sublimationswerte niedriger waren, was ‚netto‘ zu weniger Schnee- und Eisauflage führte.

Große Schwankungen der Atmosphärenmasse

Der Mars hat etwa den halben Durchmesser der Erde und nur ein Zehntel ihrer Masse. Wegen der geringeren Gravitation kann er deshalb flüchtige, gasförmige Atmosphärenmoleküle nicht so gut an sich binden – sie entweichen leicht ins All. Der Atmosphärendruck beträgt am Boden weniger als ein Hundertstel des Luftdrucks auf der Erde. Außerdem ist die Marsatmosphäre extrem trocken. Sie besteht zu mehr als 95 Prozent aus Kohlendioxid, außerdem aus Stickstoff und Argon. Sie enthält durchschnittlich nur 0,02 Prozent Wasserdampf. Diese zwei Hundertstel Volumenprozent schwanken mit den Jahreszeiten, denn ab dem Herbst gefriert dieser Wasserdampf fast vollständig und rieselt in Form von Schnee oder Raureif auf die im Sommer eisfreien Breiten nördlich beziehungsweise südlich der Polarkreise. Die Temperaturen im Marswinter sinken dabei auf Werte von minus 125 Grad Celsius und tiefer – zum Vergleich: Die kälteste je auf der Erde gemessene Temperatur waren 1983 minus 89,2 Grad an der Wostok-Station in der Antarktis. Die Temperaturen im Marswinter sind so niedrig, dass auch bis zu 30 Prozent des Kohlendioxids am Boden kondensieren oder als Eiskristalle zu Boden fallen.

Fast ein Drittel der Atmosphäre wird zu Eis

„Es ist faszinierend, dass so viel CO2, der Hauptbestandteil der Marsatmosphäre, im Winter an der Oberfläche ausfriert. Stellen wir uns vor, 30 Prozent unserer Luft wären saisonal einfach weg!“, vergleicht Dr. Anja Portyankina das Ergebnis mit der Erde. Die Leiterin der Abteilung Planetengeologie am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof ist auf die Erforschung der Marspole spezialisiert. „Diese Ergebnisse zeigen jetzt, wo genau sich dieses Eis ablagert und, für mich überraschend, wie unregelmäßig das Ablagerungsmuster ist. Es ist eine große Verbesserung bisherigen Wissens. Wir müssen die Marswinter gut verstehen, wenn wir jemals auf dem Planeten landen wollen. Die Klimamodellierer werden ihre Modelle neu justieren, indem sie diese Ergebnisse berücksichtigen.“

Um die dynamische Entwicklung von Eis- und Schneebedeckung auf dem Mars besser erfassen zu können, wäre ein längerer Beobachtungszeitraum über mehrere Marswinter notwendig. Verbesserte Aussagen wären beispielsweise mit der Auswertung von Radarmessungen des über einen von Zeitraum von sieben Marsjahren durchgeführten Experiments SHARAD (SHAllow RADar) auf der NASA-Sonde Mars Reconnaissance Orbiter denkbar. Die Auswertung von SHARAD-Daten könnte auch Erkenntnisse zum Einfluss der auf dem Mars häufigen saisonalen und im Abstand von mehreren Jahren auch globalen Staubstürmen auf das winterliche Weiß liefern. Allerdings ist die Höhenauflösung von SHARAD nicht so gut wie die der MOLA-Laserpulse.

DLR-Laseraltimeter vermessen Merkur und Ganymed

„Wir werden jetzt versuchen, die beiden Datensätze von den Marspolen miteinander zu verknüpfen, um zu genaueren Aussagen zu kommen“, erklärt DLR-Planetenwissenschaftler Alexander Stark. „Wenn sich dann noch mehr Informationen aus den Laser-Höhenmessungen ableiten lassen, können wir die Methoden auch auf den Planeten Merkur und unseren Mond anwenden. Beides sind kleine planetare Körper, die stark von Gezeitenkräften beeinflusst werden – der Merkur von der gewaltigen Gravitationskraft, die von der Sonne ausgeht, der Mond hauptsächlich von der Erde. Dabei verändert sich ihre geometrische Gestalt, wobei der Grad der Verformung durch den inneren Aufbau und den Eigenschaften von Gesteinen und Metallen dieser Körper beeinflusst wird. Wir könnten also Neues über das Innere von Merkur und Mond und im nächsten Jahrzehnt sogar den Jupitermond Ganymed erfahren.“

Das DLR entwickelte und leitet das Laser-Altimeter-Experiment BELA für die 2018 gestartete europäisch-japanische Merkurmission BepiColombo, die im Dezember 2025 in eine Merkurumlaufbahn gelenkt wird. Auf BELA aufbauend, entwickelte das DLR-Institut für Planetenforschung auch das Laseraltimeter GALA für die ESA-Mission JUICE, die im April 2023 ins Jupitersystem starten wird.

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