DLR untersucht flächeneffiziente Siedlungs- und Mobilitätskonzepte in Stadtquartieren
- Neue Stadtquartiere benötigen aufeinander abgestimmte Wohnungsbau-, Mobilitäts- und Logistikkonzepte, um umweltverträgliche Alternativen zum motorisierten Individualverkehr zu fördern.
- Das DLR analysiert im Projekt „Move Urban“ solche Konzepte am Beispiel des Stadtquartiers „WATERKANT Berlin“ und leitet daraus Empfehlungen für die konkrete Planung des Gebietes ab.
- Schwerpunkte: Verkehr, nachhaltige Mobilität
Immer mehr Menschen zieht es in Städte. Die Fläche für neue Wohnquartiere ist jedoch knapp. Für die flächensparsame Planung neuer Stadtquartiere sind aufeinander abgestimmte Wohnungsbau-, Mobilitäts- und Logistikkonzepte zu entwickeln, die umweltverträgliche Alternativen zum motorisierten Individualverkehr fördern. Im Projekt „Move Urban“ analysiert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) solche Konzepte am Beispiel des neu entstehenden autoreduzierten Stadtquartiers „WATERKANT Berlin“ und leitet daraus Empfehlungen für die konkrete Planung des Gebietes ab.
Vom eigenen Auto weg und hin zum Öffentlichen Personennahverkehr
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DLR-Instituts für Verkehrsforschung befragten Anwohnerinnen und Anwohner des Stadtquartiers WATERKANT Berlin im Bezirk Spandau zu deren Mobilitätsverhalten und zur Zufriedenheit mit den bestehenden Angeboten sechs Monate nach deren Etablierung. Von den 360 befragten Haushalten beteiligten sich 12 Prozent an der Erhebung. Befragt wurde ein Teilabschnitt, weitere benachbarte Gebiete befinden sich im Bau und werden nach und nach bezogen. In dem Stadtquartier entstehen bis 2025 insgesamt 2.500 neue Wohnungen sowie Parkanlagen und Sportplätze. Obwohl laut Befragung jeder Haushalt sowohl vor als auch nach dem Einzug im Schnitt über circa 0,9 Pkw verfügt, liegt der geplante Stellplatzschlüssel mit 0,5 Pkw deutlich darunter. Die meisten der Befragten empfinden den Flächenverbrauch durch parkende Autos als sehr störend, sind aber gleichzeitig sehr unzufrieden mit der Parkplatzsituation. „Dennoch stehen mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner dem eigenen Pkw positiv gegenüber und wollen oder können ihre Autonutzung nicht ändern“, sagt Benjamin Heldt vom Institut für Verkehrsforschung. Der Fahrradbesitz ist mit 69 Prozent zudem deutlich niedriger als in den ebenfalls befragten Vergleichsgebieten.
Für sechs Prozent der Befragten hat das Mobilitätskonzept eine Rolle bei der Entscheidung für dieses Quartier gespielt. Viele neue Mobilitätsoptionen, darunter insbesondere Carsharing, Bikesharing, Lastenradverleih oder E-Tretroller-Sharing, wurden zum Zeitpunkt der Erhebung von den Befragten mit einem geringen persönlichen Nutzen verbunden. Allerdings bewerteten sie die Verbesserung von Einkaufsmöglichkeiten in fußläufiger Entfernung, eine Busschnellspur zum S- und U-Bahnhof sowie Displays mit Echtzeitinformationen, Mietertickets und Verbesserungen der Fahrradinfrastruktur als positiv.
Alternative Angebote wie Carsharing helfen zwar ohne eigenen Pkw mobil zu sein, werden aber wenig genutzt, weil sie aus Sicht der Befragten zum Beispiel als zu teuer oder unhygienisch beziehungsweise unflexibel und unkomfortabel wahrgenommen werden.
Wie lässt sich das Mobilitätsverhalten verändern?
„Eine grundlegende Veränderung im Mobilitätsverhalten ist nur durch die Umsetzung mehrerer Maßnahmen möglich“, fasst Heldt die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Sogenannte integrierte Mobilitätskonzepte ermöglichen es, die Anzahl an vorgesehenen Stellplätzen in Wohngebieten zu verringern, den notwendigen Pkw-Verkehr am Rand des Wohnquartiers abzuwickeln und die erforderlichen Stellplätze konzentriert zum Beispiel in Quartiersgaragen zu bündeln. Darüber hinaus ist mit ihnen die Bereitstellung von Alternativen zum privaten Pkw vorgesehen. Die Qualität der Anbindung zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist darüber hinaus entscheidend für die Wechselbereitschaft weg vom Pkw hin zum ÖPNV bei langen Strecken. Eine Verbesserung alleine in der Bustaktung schafft allerdings nur eine geringe Entlastung. Darüber hinaus sind weitere bedarfsgerechte lokale Angebote wie Grundschulen notwendig, um überdurchschnittlich lange Pflichtwege vermeiden zu können. Eine Umsetzung eines koordinierten Gesamtkonzepts für ein verbessertes Verkehrskonzept, inklusive einer leistungsfähigen Schienenanbindung wie der Siemensbahn (S-Bahnstrecke) im Fall der WATERKANT Berlin, kann zu einer merkbaren Verlagerung des Autoverkehrs hin zum ÖPNV führen. Dies zeigen Simulationen des Instituts für Verkehrsforschung und des Instituts für Verkehrssystemtechnik zur Veränderung des Verkehrs nach der Einführung unterschiedlicher infrastruktureller Maßnahmen.
Die erfolgreiche Etablierung dieser Angebote bedarf allerdings einer Koordination aller beteiligten Akteure und der aktiven Kommunikation der Maßnahmen und deren Vorteile zum Beispiel im Rahmen von Aktionstagen, bei denen Carsharing und Co. getestet werden können. Dies kann auch die Wahrnehmung verschiedener Mobilitätsoptionen verändern. „Die Schlüsselrolle dafür sollte ein eigens eingerichtetes Mobilitätsmanagement beispielsweise auf kommunaler Ebene oder bei einem Wohnungsunternehmen übernehmen,“ resümiert Heldt Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt.
Steigender Lieferverkehr durch erhöhtes Bestellaufkommen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten auch alternative Konzepte für den Lieferverkehr in Neubauquartieren. Die Bedarfserhebung zeigt, dass 80 Prozent der Befragten die klassische Haustürzustellung von Paketen bevorzugen. Das entspricht dem bundesweiten Schnitt. Allerdings ist das Bestellaufkommen in der WATERKANT Berlin deutlich höher als im deutschen Mittel: Rund fünf gegenüber drei Bestellungen pro Person und Monat. Während die grundsätzliche Bereitschaft alternative Zustellkonzepte wie Paketstationen und Paketshops zu nutzen hoch ist, gibt es gleichzeitig eine eher geringe Zahlungsbereitschaft: Die Mehrheit würde Aufpreise weder für konventionelle noch alternative Lieferformen zahlen. Allerdings wäre ein höherer Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner (etwa 45 Prozent) bereit, einen Aufpreis für eine klimafreundliche Haustürzustellung zu zahlen, als für eine kostenpflichtige Beibehaltung der konventionellen Haustürzustellung (zirka 35 Prozent).
Mikrodepot-Konzepte mit Lastenrad-Zustellung sind auch bei weiterhin stark wachsendem Online-Handel nur unter bestimmten Umständen in randstädtischen Quartieren wie dem untersuchten Gebiet ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Ein Concierge-Service, der zusätzlich zum Paketempfang auch weitere Dienstleistungen anbietet (Retouren, Anprobe) wird in der WATERKANT Berlin als nicht wirtschaftlich eingeschätzt.
Die Projektergebnisse werden im Frühjahr 2022 in einem gemeinsamen Abschlussbericht veröffentlicht.
Über das Projekt Move Urban
Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erarbeitet, systematisiert und vermittelt das Projekt Move Urban im Rahmen der FONA (sozial-ökologische Forschung) erstmals Wissen und Handlungsmöglichkeiten zur integrierten inhaltlichen, organisatorischen und rechtlichen Ausgestaltung flächeneffizienter integrierter Wohnungsbau-, Mobilitäts-, und Logistikkonzepte. Neu ist ebenfalls die Möglichkeit die konzipierten Ansätze in einem sich in der Planung befindlichen Stadtquartier (WATERKANT Berlin) zu testen und bewerten zu können. Das DLR analysiert bestehende Mobilitäts- und Logistikkonzepte und leitet daraus Empfehlungen für die konkrete Planung des Gebietes ab. Mithilfe von Befragungen und Simulationen des Personen- und Güterverkehrs werden die eingesetzten Maßnahmen evaluiert und in einem Katalog von Handlungsempfehlungen konsolidiert. Das Projekt wird von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz geleitet. Weitere Projektpartner sind die Bauhaus-Universität Weimar, das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität, sowie die Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin, die in der WATERKANT Berlin gemeinsam mit der WBM rund 2.500 Wohnungen errichtet.