Gehirnforschung und "Glücksklee" auf der Internationalen Raumstation
- Vier studentische Gewinner-Teams von Universitäten in München, Stuttgart, Hannover und Luxemburg wurden ausgewählt.
- Die Ideen für Experimente auf der Internationalen Raumstation ISS beinhalten die Forschung an Nervenzellen, Pflanzen-Symbiosen und neuartige Raumfahrttechnologien.
- Die Teams erhalten je 20.000 Euro finanzielle Unterstützung und haben nun ein Jahr lang Zeit, die Experimente zu entwickeln und zu bauen.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Nachwuchsförderung
Vom 23. August bis zum 15. Oktober 2021 hatten die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR und die Luxembourg Space Agency (LSA) im Rahmen des Überflieger-2-Wettbewerbs Studierende dazu aufgerufen, Ideen für eigene Experimente auf der Internationalen Raumstation ISS einzureichen. Nach einem zweitägigen virtuellen Auswahlworkshop wurden die Gewinner am 2. Dezember 2021 von einer Expertenjury gekürt: Es sind dies ADDONISS von der TU München, BRAINS von der University of Luxembourg, FARGO von der Universität Stuttgart und Glücksklee von der Leibniz Universität Hannover.
Experimentvorschläge zu Pflanzen-Forschung und Satelliten-Technologien
Acht deutsche und zwei luxemburgische Teams hatten sich erfolgreich um eine Teilnahme am Wettbewerb beworben. "Wir haben viele spannende Vorschläge für Experimente erhalten", berichtet Johannes Weppler, Projektleiter des Überflieger-2-Wettbewerbs beim DLR. "Die Bandbreite der Themen reichte dabei von der Symbiose von Pflanzen und Mikroorganismen über innovative Energiespeicherkonzepte bis hin zu neuartigen Technologien für kleine Satelliten." Zu den Auswahlkriterien zählten neben dem wissenschaftlichen oder technologischen Wert des Experiments dessen Umsetzbarkeit, die optimale Ausnutzung der besonderen Bedingungen auf der ISS, sowie die Zusammensetzung des Teams.
Gehirnforschung mit ADDONISS
Bisherige Forschung auf der ISS hat gezeigt, dass unter Weltraumbedingungen in vielen Bereichen Alterungsprozesse deutlich schneller ablaufen. Das Team WARR Space Labs von der TU München will sich dies für ihr Experiment ADDONISS (Ageing and Degenerative Diseases of Neurons on the ISS) zunutze machen, um mehr über degenerative Erkrankungen des Gehirns, wie etwa Alzheimer, zu lernen. Dazu erforschen die Studierenden zwei Kulturen von Gehirnzellen unter den Umgebungsbedingungen auf der ISS. Eine der Kulturen wird mit einem Mittel versetzt, welches ähnliche Störungen hervorruft wie die Alzheimer-Krankheit. Die Zellkulturen wachsen dabei direkt auf einem Mikrochip, welcher es ermöglicht, elektrische Signale und damit die Aktivität der Zellen unmittelbar zu messen. Gleichzeitig wird das Wachstum der Zellen auch von einem miniaturisierten Kamera-Mikroskop beobachtet. Die Ergebnisse werden dann mit einem parallel ablaufenden Experiment auf dem Boden verglichen.
BRAINS untersucht das Zellwachstum in Schwerelosigkeit
Um die Entstehung von Krankheiten und die Wirksamkeit von Medikamenten besser erforschen zu können, werden in Laboren aus menschlichen Stammzellen sogenannte Organoide gezüchtet. Das sind kleine Ansammlungen von Zellen eines bestimmten Typs, wie etwa Nervenzellen, an denen Untersuchungen durchgeführt werden. Aufgrund der Schwerkraft in irdischen Laboren wachsen diese Zellhaufen dort sehr dicht gepackt und sind in ihrer Größe begrenzt. Das Team BRAINS (Biological Research using Artificial Intelligence for Neuroscience in Space) von der University of Luxembourg möchte dies ändern, indem es die Zellen in einer Umgebung wachsen lässt, die den Bedingungen im Mutterleib ähneln: der Schwerelosigkeit an Bord der ISS. Dort sollen dann weniger dichte und größere Organoide als auf der Erde heranwachsen können. Nach 30 Tagen im Erdorbit sollen die Zellen wieder zur Erde zurückgeführt werden. Mit Hilfe von auf Künstliche Intelligenz gestützter Bilderkennung sollen die Proben anschließend analysiert werden.
FARGO: Bauteile für die Raumfahrt von morgen
Basierend auf den Ergebnissen des PAPELL-Experiments, welches im Rahmen des ersten Überflieger-Wettbewerbs 2018 auf der ISS durchgeführt wurde, möchte das Team des studentischen Vereins KSat e.V. von der Universität Stuttgart drei Anwendungen von sogenannten Ferrofluiden in der Raumfahrt erproben. Ferrofluide sind Flüssigkeiten, in denen magnetische Partikel vorhanden sind, die auf externe Magnetfelder reagieren. Mit ihrem Experiment FARGO (Ferrofluid Application Research Goes Orbital) testen die Studierenden einen thermischen Schalter, der die Übertragung von Wärme zwischen zwei Bauteilen regelt. Getestet werden außerdem ein elektrischer Schalter, welcher einen Stromkreis schließen und öffnen soll, sowie ein neuartiges System zur Lageregelung von Kleinsatelliten. Allen drei Anwendungen ist gemeinsam, dass sie auf mechanische Teile möglichst verzichten und somit die Gefahr eines Ausfalls aufgrund von Verschleiß deutlich reduzieren. Das Experiment untersucht nun, inwiefern die drei Konzepte in der Schwerelosigkeit funktionieren, um sie zukünftig bei Raumfahrtmissionen einsetzen zu können.
Experiment Glücksklee erforscht Pflanzen auf der ISS
Für zukünftige Langzeitmissionen im Weltraum wird es notwendig sein, dass die astronautischen Crews in den Raumfahrzeugen Pflanzen als Nahrungsquelle anbauen können. Natürlich hat die veränderte Schwerkraft während solcher Missionen eine Auswirkung auf das Pflanzenwachstum. Dieses Phänomen untersucht das Team Glücksklee von der Leibniz Universität Hannover, indem es die Veränderungen in der symbiotischen Beziehung von Klee (Medicago truncatula) und in der Erde lebenden Bakterien (Sinorhizobium melilot) in der Schwerelosigkeit erforscht. Am Boden nisten sich die Bakterien in den Wurzeln des Klees ein. Sie erhalten dabei Nährstoffe von der Pflanze und geben an diese Stickstoff ab, den die Pflanze wiederum zum Wachstum braucht. Für das Experiment werden mehrere Kleesetzlinge unter kontrollierten Bedingungen im Experimentcontainer wachsen. Während des Aufenthalts auf der ISS wird das Wachstum von einer Kamera dokumentiert. Nach der Rückkehr zur Erde wird der "Weltraum-Klee" im Labor dann intensiv auf Schwerkraft-bedingte Veränderungen untersucht werden.
Die Gewinnerteams erhalten je 20.000 Euro finanzielle Unterstützung, um ihr Experiment realisieren zu können. Die fertige Forschungsapparatur, die jeweils in einen vorgefertigten Container mit den Maßen 10 x 10 x 20 Zentimetern passen muss, wird Ende 2022 oder Anfang 2023 an Bord einer Trägerrakete zur ISS gebracht und dort 30 Tage lang autonom betrieben. Den Start ins Weltall können die Studierendenteams dabei live vor Ort miterleben.
Die Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) unterstützte Überflieger 2 bei der Auswahl der Experimente und der Bekanntmachung des Projekts. Die technische Umsetzung erfolgt über die Firma yuri GmbH aus Meckenbeuren. Der deutsche Anteil von Überflieger 2 wird finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi).