DLRmagazin 168: Liebeserklärung ans All
Im Oktober startet der deutsche ESA-Astronaut Mattias Maurer zur ISS
Mehr als 1.000 Kinder halten sich an den Händen. Manche haben einen Luftballon dabei, andere sind von roten Herzchen umgeben oder tragen sogar einen Raumanzug: Die gemalten „Selfies“ von Schülerinnen und Schülern sind gemeinsam unterwegs – sie umkreisen die Erde in 400 Kilometern Höhe mit der Internationalen Raumstation ISS. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte im November 2020 die Grundschülerinnen und Grundschüler eingeladen, „Klassen-Selfies“ zu malen und an das Jugendportal DLR_next zur schicken. Das DLR hat 30 Schulklassen ausgewählt: Ihre Bilder wurden auf einen zehn Meter langen, schmalen Textilstreifen gedruckt und in einem Aluminiumbehälter aufgerollt.
Am 30. August sind sie an Bord der SpaceX-CRS-23-Mission auf der ISS angekommen. Der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer wird in wenigen Wochen ebenfalls dort sein und in einer Live-Übertragung die Bilder auf dem Textilstreifen zeigen. Die anderen eingereichten Bilder blieben aber nicht auf der Erde zurück: Sie sind auf einem USB-Stick gespeichert, der in der Mitte des Behälters steckt.
„Alle Gegenstände, die zur ISS gebracht werden, müssen vorher sehr viele Tests bestehen. Einfach einpacken und in den Weltraum-Transporter legen, geht nicht“, sagt Dr. Volker Kratzenberg-Annies. Er ist beim DLR für die Nachwuchsförderung zuständig und hat die Aktion „Hand in Hand um die Welt“ gemeinsam mit Frank Fischer vom DLR_School_LabBraunschweig realisiert. Die Vorbereitungen begannen im August 2020, im April 2021 sind die Bilder in ihrem Metallbehälter per Post zur NASA in die USA gereist.
Klein, handlich, leicht und sicher: Das waren – vereinfacht gesagt – die Voraussetzungen für die Lieferung zur ISS. Klein, weil in der Raumstation und in den Raumtransportern neben der ganzen wissenschaftlichen Hardware nicht viel Platz ist. Handlich, damit Matthias Maurer den Streifen in der Schwerelosigkeit problemlos ab- und aufrollen kann. Leicht, weil beim Start einer Rakete jedes Gramm Gewicht eine Rolle spielt. Und sicher, damit davon keinerlei Gefahr für die Astronautinnen und Astronauten ausgeht. Deswegen durfte der Streifen mit den Bildern nicht wie ursprünglich geplant aus Papier sein. „Papier staubt beim Auf- und Abspulen. Staub ist unerwünscht, weil er herumschwebt und eingeatmet werden könnte“, erklärt Frank Fischer. Er hat er mit seinem Team ein besonderes Stoffgewebe ausgesucht, das auch gute Brandschutzeigenschaften hat. Der Stoff wurde mit einer Farbe bedruckt, die nicht ausdünsten kann.
Auszubildende beim DLR in Braunschweig waren für die Metallteile wie Spule, Gehäuse und USB-Stick-Halter verantwortlich. Wie lässt sich der Streifen am leichtesten aufrollen? Wie wird vermieden, dass er sich verheddert oder beim Spulen klemmt? Zuerst hat Frank Fischer mit Unterstützung einer Lehrkraft aus dem DLR_School_Lab Braunschweig mehrere 3D-Druck-Prototypen gebaut, getestet und optimiert. Dann haben die angehenden Feinmechanikerinnen und Feinmechaniker gemeinsam mit ihrem Ausbilder die Metall-Entwürfe hergestellt. „Der Mechanismus funktioniert perfekt und die Hardware sieht auch noch großartig aus“, lobt Frank Fischer das Team. Vor vier Jahren haben Auszubildende in Braunschweig schon erfolgreich die „Zeitkapsel“ für die „horizons“-Mission von Alexander Gerst hergestellt.
Es gibt jetzt nicht nur einen Bilderstreifen samt Gehäuse, sondern drei, die völlig gleich sind. Das ist in der Raumfahrt so üblich: Ein Flugmodell wird für den Raumtransporter eingeplant und in den Weltraum geschickt. Eine Ersatzeinheit wird gebraucht, falls das Flugmodell vorher beschädigt werden sollte oder verloren geht. Das Konstruktionsmodell bleibt auf der Erde. Es hilft bei der Problemlösung, falls es mit der Flugeinheit auf der ISS doch Schwierigkeiten gibt.
Damit die Klassen-Selfies nicht in der ISS herumschweben, kleben Klettbänder am Gehäuse und am Anfang des Textilstreifens. So lässt sich beides an den Schränken auf der Raumstation gut festmachen. „Auch das Klettband ist für die Raumfahrt zertifiziert. Und sogar für die Abstände der Klettbänder gibt es Regeln“, erklärt Frank Fischer. Er hat mit Unterstützung der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR alle Richtlinien beachtet und dokumentiert. Das wurde von der europäischen Weltraumorganisation ESA geprüft.
Zum Schluss hat Frank Fischer noch bei einem DLR-Parabelflug überprüft, dass die Konstruktion in der Schwerelosigkeit funktioniert und sich gut bedienen lässt. Parabelflüge werden mit einem Forschungsflugzeug durchgeführt, das erst steil nach oben fliegt, dann antriebslos auf eine niedrigere Höhe fällt und anschließend wieder aufsteigt. Während jeder dieser Parabeln herrscht für rund 20 Sekunden Schwerelosigkeit wie im All. Frank Fischer hat den Bilderstreifen mehrmals ausgerollt und schwebend wieder eingerollt: „Das ging sogar noch besser als in unserem Labor. Wegen der fehlenden Schwerkraft hängt das Band nicht herunter und lässt sich noch einfacher aufspulen.“
Während seines Aufenthalts wird Matthias Maurer den Streifen auf der ISS zeigen und dabei mit einigen der beteiligten Schülerinnen und Schüler auf der Erde sprechen. Wer nicht vor Ort ist, hat die Gelegenheit, den Livestream im Web zu verfolgen. Später kommen die Klassen-Selfies mit einer Raumkapsel zurück zur Erde und zum DLR. Dort wird der Textilstreifen Klasse für Klasse zerschnitten, gerahmt und mit einem Zertifikat an die jeweiligen Schulen geschickt. Volker Kratzenberg-Annies: „Wir hoffen, dass wir mit diesem Erinnerungsstück, das auf der ISS war, Mädchen und Jungen inspirieren können – für die Raumfahrt und auch für Forschung und Technik insgesamt.“