2. Juli 2021 | Straße und Schiene – Zukünftige Mobilität mit Wasserstoff

„Wir können es uns nicht leisten, nur einen Technologiepfad zu verfolgen“

  • Das DLR untersucht einen globalen, nachhaltigen Transitionspfad zu einem zukunftsweisenden Energie- und Verkehrssystem.
  • Unabhängig von der Antriebsform: Ohne Importe kann nicht genügend Energie für den deutschen Verkehr bereitgestellt werden.
  • Schienenfahrzeuge haben einen hohen Energiebedarf und damit erhebliches Potenzial für alternative Antriebe.
  • Der Bedarf an „grünem“ Wasserstoff wird insgesamt steigen – unabhängig vom Einsatz von Wasserstoff im Transportsektor.
  • Mobilität und Verkehr müssen so organisiert werden, dass der Energiebedarf insgesamt sinkt.
  • Schwerpunkte: Energie, Verkehr, nachhaltige Mobilität, Wasserstoff

Anfang Juli 2021 hat der Nationale Wasserstoffrat einen „Wasserstoff Aktionsplan Deutschland 2021-2025“ veröffentlicht. Der Aktionsplan schätzt unter anderem ab, welche Mengen an Wasserstoff in den Sektoren Mobilität, Wärme und Industrie bis 2050 benötigt werden. Die Spannen sind dabei sehr groß. Sie hängen davon ab, wie sich der Markthochlauf der unterschiedlichen Technologien und die Sektorenkopplung in den nächsten Jahrzehnten gestalten werden.

Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer, Vorstand für Innovation, Transfer und wissenschaftliche Infrastrukturen im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ist Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat. Das Gremium hat im April 2021 bereits eine Stellungnahme zu „Wasserstoff für die Luftfahrt in Deutschland“ unter Mitwirkung des DLR veröffentlicht. Im Interview beschreibt Karsten Lemmer, wo der Einsatz von Wasserstoff im bodengebundenen Verkehr – also auf Straße und Schiene – sinnvoll ist. Basis dafür sind die umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des DLR im Bereich Wasserstoff und Wasserstoffanwendungen.

Neben der Batterie gibt es im Straßenverkehr auch die Möglichkeit, Fahrzeuge mit Wasserstoff oder strombasierten Kraftstoffen – sogenannten E-Fuels – zu betreiben. Wie werden sich diese Antriebsarten in Zukunft verteilen?

Die europäischen Ziele zur Emissionsminderung im Verkehr sind sehr ambitioniert. Deshalb sollten wir alle Technologiepfade verfolgen, die zum Ziel führen können. Wir können es uns nicht leisten, nur einen Technologiepfad zu verfolgen. Schaut man allein auf die Energiebilanz, scheint die Batterie für Pkw die sinnvollste Lösung zu sein. Aber zusätzlich zur technischen Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit müssen wir auch die Aspekte der Nachhaltigkeit, der Verfügbarkeit von Ressourcen und der Akzeptanz auf nationaler wie globaler Ebene betrachten.

Egal um welche Antriebsform es sich handelt, wir sind immer Teil eines globalen Wirtschaftssystems. Ohne Importe werden wir es nicht schaffen, genügend Energie für den deutschen Verkehr bereitzustellen. Deshalb untersuchen wir im DLR einen globalen, nachhaltigen Transitionspfad.

Dieser beschreibt auf nicht nur einen wirtschaftlich optimalen Weg, sondern berücksichtigt auch Verteilungs- und Umwelteffekte.

Fahrzeuge, die aus heutiger Sicht schwer elektrifizierbar erscheinen, werden auch künftig mittels strombasierter Kraftstoffe betrieben werden, die auf Basis von Wasserstoff hergestellt werden. Dazu zählen zum Beispiel Spezialtransporte oder Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, die sehr spezielle Anforderungen haben. Allerdings ist heute noch unklar, welche Mengen dieser E-Fuels wir dafür tatsächlich benötigen werden. „Grüner“ Wasserstoff ist ein knappes und teures Gut, das wir effizient einsetzen müssen. In diesem Kontext sehen wir ein hohes Potenzial für Innovationen im Offroad-Bereich. Daher forschen wir im DLR gemeinsam mit großen Industriepartnern daran, Wasserstoff in Antriebssystemen für diese Fahrzeuge zu nutzen – mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren und mit Brennstoffzellen-Systemen.

In unseren Szenarioanalysen für Nutzfahrzeuge spielen Energie- und Kosteneffizienz eine wichtige Rolle. Aus wirtschaftlicher Sicht sprechen gleich zwei Faktoren dafür, Wasserstoff direkt in Antriebssystemen zu nutzen: Wir sehen heute bis etwa 2030-35 Marktpotenziale für den Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb von bis zu zehn Prozent. Das gilt für schwere Lkw und für Transporter. Das passt auch gut zum Beginn der Serienfertigung, wie sie Hersteller angekündigt haben, und zur wirtschaftlich bereits lohnenden Marktgröße. Längerfristig sehen wir gerade bei den Transportern noch Luft nach oben. Insgesamt hält die Batterietechnik mit ihrer hohen Kostendegression dagegen, auch im schweren Segment in städtischen und regionalen Verkehren. Neben den zahlreichen Hürden für batterieelektrische Nutzfahrzeuge in der Praxis ist für die Logistiker der Preis für Wasserstoff an der Tankstelle am Ende entscheidend.

2021 hat die EU-Kommission zum Jahr der Schiene ausgerufen. Züge gelten als „grüner“ als Autos und Lkw. Wie passen Schienenverkehr und Wasserstoffstrategie zusammen?

Bis 2050 will die Bundesregierung den kompletten Schienenverkehr elektrisch betreiben – auf Basis erneuerbarer Energie beziehungsweise für den Übergang auch mittels strombasierter Kraftstoffe. Das Streckennetz wird dafür weiter elektrifiziert werden. Aktuell liegen wir bei einem Anteil von 61 Prozent. Perspektivisch werden wir aber sicherlich nicht bei 100 Prozent landen. Für die nicht elektrifizierten Lücken sind Batteriespeicher, Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antriebe und hocheffiziente Wasserstoff-Verbrennungsmotoren denkbar. Im europäischen Verbund entwickelt das DLR beispielsweisen einen bimodalen Zug mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Komponenten.

Die Fragestellung betrifft deutschlandweit knapp 3.000 Rangierlokomotiven und etwa nochmal so viele Triebzüge mit Dieselantrieb. Nach einer Studie des DLR sind zudem rund 1.500 Sonder- und Nebenfahrzeuge mit Dieselantrieb auf Gleisen in Deutschland unterwegs. Da Schienenfahrzeuge einen hohen spezifischen Energiebedarf haben, besteht hier ein erhebliches Potenzial für alternative Antriebe.

Der große Hebel für eine umfassende Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene liegt aber im deutlichen Ausbau des Streckennetzes und der weiteren Elektrifizierung des Oberleitungsnetzes. Und überall, wo keine Elektrifizierung möglich ist, brauchen wir eine nachhaltige Alternative. Das System Bahn eignet sich für die Einführung der Wasserstofftechnologie auch deshalb, weil Eisenbahnen hohe, gleichmäßige und langfristig planbare Bedarfe an Wasserstoff haben – eine gute Geschäftsgrundlage für Wasserstoffunternehmen.

Zurück zur Straße: Derzeit verbraucht ein Auto pro 100 Kilometer rund zehn Euro für Benzin. Aktuell kostet das Kilo Wasserstoff an der Tankstelle 9,50 Euro. Damit kommt man ebenfalls circa 100 Kilometer weit. Die Preise sind derzeit also vergleichbar. Dieser Wasserstoff ist aber in den meisten Fällen noch nicht „grün“. Wie hoch ist die Preisdifferenz bei Wasserstoff aus erneuerbaren Ressourcen und wo geht die Reise hin?

Die Preise für den Endkunden sind vergleichbar. Aber die Kostenstruktur ist es nicht. Der Anteil von Wasserstoff aus Elektrolyse beträgt derzeit weltweit nur vier Prozent. Mittels Elektrolyse lässt sich heute in Europa „grüner“ Wasserstoff für fünf bis sechs Euro pro Kilogramm herstellen. Damit ist er doppelt so teuer wie „blauer“ Wasserstoff und dreimal so teuer wie „grauer“ Wasserstoff. Der Preis für den Endkunden beinhaltet neben den Herstellungskosten auch die Bereitstellungs- und Transportkosten. Das sind circa drei beziehungsweise ein Euro pro Kilogramm. Damit ergeben sich reine Produktionskosten von circa zehn Euro pro 100 Kilometern. Im Vergleich dazu stehen die reinen Produktionskosten fossiler Kraftstoffe von circa 3,50 Euro pro 100 Kilometern. Das sind weniger als 50 Cent pro Liter. Würde man also heute den Kraftstoff wechseln, würde der Preis an den Zapfsäulen entweder um rund 70 Prozent steigen, wenn sich nicht Faktoren wie beispielsweise Steuern stark ändern würden.

Bei der Elektromobilität mit Batterie sieht der Vergleich bereits heute deutlich vielversprechender aus. Die Stromgestehungskosten von Fotovoltaik liegen unter zehn Cent pro Kilowattstunde. Das führt bei einem Verbrauch von 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometern zu Kosten in Höhe von zwei Euro. Diese werden bereits heute realisiert. Elektrofahrzeuge sind beim „Tanken“ insofern günstiger als heutige Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor oder mit Brennstoffzellenantrieb.

Die Prognose der Preise für „grünen" Wasserstoff stimmen jedoch hoffnungsvoll, insbesondere für sonnenreiche Länder in Äquatornähe. Je nach Ausgestaltung des Kraftwerks und unter günstigen Bedingungen ließe sich bereits heute „grüner“ Wasserstoff für unter drei Euro pro Kilogramm realisieren. Es gibt allerdings noch große Unsicherheiten, wie sich die Preise entwickeln. Das liegt insbesondere an der andauernden Technologieentwicklung und den noch in den Anfängen befindlichen Größenskalierungseffekten.

Auch heute ist unsere Energie- und Kraftstoffversorgung schon global aufgestellt. Wie wird es möglich, mehr „grünen“ Wasserstoff zu produzieren und verfügbar zu machen?

Der Bedarf an „grünem Wasserstoff“ wird insgesamt steigen, um zum Beispiel die Industrie – wie etwa die Strahlproduktion oder die Herstellung von Düngemitteln – auf CO₂-neutrale Prozesse umzustellen. Außerdem kann er als guter Speicher erneuerbarer Energie für das Stromnetz dienen. Diese Entwicklung wird unabhängig vom Einsatz von Wasserstoff im Transportsektor sein.

Wie bereits erwähnt, geht es hier auch um internationale Produktions- und Lieferketten. Deutschland ist heute nicht energieautark, noch wird es das in Zukunft sein.

Um die Produktion von „grünem“ Wasserstoff entsprechend hochzufahren, müssen mehrere Entwicklungen parallel angeschoben werden: Erstens, ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung mittels Fotovoltaik, konzentrierter Solarenergie und Windkraft. Zweitens, mehr Pilotanlagen für das Up-Scaling von Wasserstoff-Produktionsanlagen. Zunächst wird das hauptsächlich die Elektrolyse sein. Später werden weitere Technologie dazukommen: zum Beispiel solar-thermochemische oder foto-elektrochemische Ansätze, die momentan noch in der Entwicklung sind.

Das ist letztlich die Aufgabe von Forschung: nämlich vielversprechende Technologiepfade zu erkunden, die noch nicht weit genug entwickelt sind.

Denn diese sind aktuell für die Industrie noch mit zu vielen Unsicherheiten verbunden. Je mehr Optionen wir uns für die Zukunft schaffen, umso eher können wir flexibel auf neue Chancen, Herausforderungen und Erkenntnisse reagieren. Dabei hilft uns die Erforschung von Transitionspfaden, sogenannte Sunk-Kosts zu vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel Fehlinvestitionen in teure Infrastruktur.

Angenommen wir hätten genug „grünen“ Wasserstoff. Wie bauen wir unser heutiges Energie- und Verkehrssystem so um – inklusive der notwendigen Infrastruktur und Sektorenkopplung – dass es bezahlbar bleibt?

Je mehr wir das System aufeinander abstimmen, umso weniger Effizienzverluste haben wir und desto weniger müssen wir in zusätzliche Infrastruktur investieren. Beispielsweise können Fahrzeuge – mit Batterie, aber auch Wasserstoff – als Energiespeicher mithelfen, Dunkelflauten zu überwinden. Dann bräuchten wir weniger fossile Energieträger, auf die wir derzeit in solchen Situationen zurückgreifen. Außerdem müssen wir bei der Infrastruktur auf die Erzeugungs- und die Nutzungsseite schauen: Dass die jeweilige Technologie einen hohen Reifegrad besitzt, ist zwar notwendig, aber nicht hinreichend für den Aufbau einer Infrastruktur. Für den Transport von Wasserstoff steht auch noch gar nicht fest, welcher Ansatz der sicherste, wirtschaftlichste und gesellschaftlich akzeptierteste sein wird. Unser Gasnetz verfügt schon heute über eine gewisse Tauglichkeit für das Beimischen von Wasserstoff.

Gibt es denn aus technologischer Sicht einen Show-Stopper für die Mobilität mit Wasserstoff? Oder Hintergründe, die in der öffentlichen Debatte noch nicht beachtet werden?

Einige Aspekte gehen manchmal in der Diskussion unter. Sie betreffen die Rahmenbedingungen von Mobilität als Ganzes und die Produktion von Wasserstoff.

Die Entwicklung der Fahrzeugtechnologie speziell für schwere Lkw ist bereits angelaufen. Wir sehen die ersten Wasserstoff-Lkw eines koreanischen Herstellers in der Schweiz im Einsatz. Einige Fahrzeughersteller haben angekündigt, neben rein elektrischen Lkw auch Wasserstoff-Lkw in den kommenden Jahren anzubieten. Dazu braucht es natürlich Nutzer beziehungsweise Käufer. Diese werden aber nur in ausreichender Zahl vorhanden sein, wenn eine Tankstelleninfrastruktur entsteht. Dafür benötigt man wiederum einheitliche technische Standards, wie Druckwasserstoff oder Wasserstoff, der bei sehr geringen Temperaturen in flüssiger Form getankt werden kann. Für solche Tankstellen gibt es noch keine Standards. Das gilt aber zum Beispiel auch für Schnellladesäulen für Lkw mit Batterie und einer Ladeleistung von mehr als 150 Kilowatt. Hier sind Fahrzeugindustrie und Energielieferanten am Zug, sich unternehmensübergreifend auf technische Standards zu verständigen – und das möglichst europa- oder weltweit. Auf Basis dieser Standards muss die entsprechende Wasserstoff-Infrastruktur geplant, genehmigt und gebaut werden.

Es gilt also noch einige Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Entwicklung erfolgreich sein kann. Inwieweit sich dabei ein echter Show-Stopper entwickelt, hängt vor allem von den Kosten ab, die am Ende die Fahrzeugnutzenden tragen müssen. Die Kosten haben wiederum Einfluss darauf, wie schnell sich Technik weiterentwickelt und im Markt verbreitet.

Um die Produktion von „grünem“ Wasserstoff hochzufahren, sind nicht unbedingt die technologischen Hürden die größten. Neben der Geopolitik sollten wir auf die Wasser- und Ressourcenfrage schauen.

Die Bereitstellung von Wasser in Meeresnähe und die Aufbereitung von Abwasser für Elektrolyseprozesse ist technologisch gesehen kein Problem. In wasserarmen Regionen wird sich aber die Frage nach den Bereitstellungskosten, den ökologischen Auswirkungen, Nutzerkonflikten und der damit verbundenen gesellschaftlichen Akzeptanz stellen. Das DLR plant hierzu Projekte, welche die Relevanz und Auswirkungen näher beleuchten sollen. Einen umfassenden Überblick zur Verfügbarkeit kritischer Materialien und den ökologischen Auswirkungen von Wasserstofftechnologien gibt die DLR-Studie „Wasserstoff als Fundament der Energiewende“. Darüber hinaus gibt es noch Weiteres zu beachten: Beispielsweise die Umweltwirkungen von Wasserstoff-Emissionen als Wasserdampf oder Emissionen der Erzeugungsinfrastruktur.

Häufig vertiefen wir uns zudem in Lager-Bildung hinsichtlich unterschiedlicher Antriebsformen.

Sobald wir über Antriebe in der Mobilität sprechen, sollten wir immer auch über das Mobilitätssystem sprechen. Denn Mobilität und Verkehr müssen so organisiert werden, dass der Energiebedarf insgesamt sinkt.

Selbst wenn alle Fahrzeuge am Boden in Zukunft CO₂-neutral unterwegs sind, sind unsere Probleme ja nicht komplett gelöst. Die Anzahl an Fahrzeugen würde global weiter steigen. Und Fahrzeuge verbrauchen neben Kraftstoff auch andere Ressourcen. Wir hätten immer noch Staus – oder sogar mehr – sowie weniger Fläche für Menschen und Natur. Das können wir nur durch kluge Mobilitätskonzepte lösen. Neue Antriebe und Wasserstoff allein können das nicht leisten.

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