Aufbau des DLR-Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik
- Bose-Einstein-Kondensate, neuartige Atomuhren, Laser- und Materiewelleninterferometrie sind vielversprechende Quantentechnologien für die Anwendung im Weltall.
- Mit Quantentechnologie modernisierte Satelliten bieten ein enormes Potential für die satellitengestützte Erdbeobachtung, Kommunikation und Navigation.
- Neues DLR-Institut wird sich mit bis zu 120 Mitarbeitenden im Quanten-Quartier der Universität Hannover etablieren.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Quantentechnologien
Quantengestützte Messtechniken werden zukünftig die Sensorik von Satelliten revolutionieren. Quantensensoren auf Basis von Bose-Einstein-Kondensaten, neuartige Atomuhren, Laser- und Materiewelleninterferometrie sind nur einige der Quantentechnologien, die vor dem Sprung zur routinierten Anwendung im Weltall stehen. Im Zuge einer „zweiten Quantenrevolution“ vollzieht sich eine beispiellose Präzisionssteigerung von Messtechnik und Sensorik in der Raumfahrt mit bisher unerschlossenen Anwendungsmöglichkeiten. Im Sommer 2019 hatte der Senat des DLR zugestimmt, ein vom Bund und dem Land Niedersachsen finanziertes Institut für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik zu schaffen. In enger Zusammenarbeit mit der Leibniz Universität Hannover (LUH) ist der Aufbau des neuen Instituts mit insgesamt sieben Abteilungen im Gang. Bis zum Ende des Jahrzehnts wird es sich mit zwei neu zu errichtenden Gebäuden und rund 120 Mitarbeitenden im geplanten Quanten-Quartier der Universität etablieren.
„Weltweit werden Quantentechnologien zukünftig zu einem wesentlichen Treiber für Innovation und Wachstum“, betont Prof. Anke Kaysser-Pyzalla, die Vorstandsvorsitzende des DLR. „In Niedersachsen ist es der beispielgebenden Zusammenarbeit mit dem Land und der Uni Hannover zu danken, dass das neue DLR-Institut einen wichtigen Beitrag für diese Zukunftstechnologie leisten kann.“
"Mit dem Aufbau des DLR-Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik in Hannover entsteht im Verbund mit dem Galileo-Kompetenzzentrum des DLR in Oberpfaffenhofen sowie dem DLR-Institut für Quantentechnologien in Ulm ein Kompetenzzentrum für terrestrische und raumfahrtbasierte Quanteninnovationen“, sagt Prof. Hansjörg Dittus, DLR-Vorstandsmitglied für Raumfahrtforschung und -technologie. „Mit Quantentechnologie modernisierte Satelliten sind um Größenordnungen leistungsfähiger als die aktuelle Generation. Sie bietet ein enormes Potential für die satellitengestützte Erdbeobachtung, Kommunikation und Navigation.“
Inertialsensoren können Beschleunigungs- oder Drehratensensoren sein, die beispielsweise zur Flugstabilisierung und -navigation eingesetzt werden. Quantensensorik basierend auf der Materiewellen-Interferometrie ermöglicht, Rotation und Beschleunigung mit beispielloser Langzeitstabilität zu messen. Dafür können ultrakalte Quantengase wie zum Beispiel Bose-Einstein-Kondensate eingesetzt werden. In unmittelbarer Nähe des absoluten Temperaturnullpunktes verhält sich eine Atomwolke wie ein einziges "Riesenatom". Dieses sogenannte Bose-Einstein-Kondensat kann makroskopisch beobachtet werden. Eine Weiterentwicklung dieser Technologie verspricht zukünftige hochpräzise Lageregelung von Satelliten, zur Abstandsregelung bei Formationsflügen eines Satellitenschwarms oder auch zur präzisen Schwerefeldvermessung der Erde oder anderer Himmelskörper. Ebenfalls werden vielversprechende quantenoptische Methoden der Laser-Interferometrie im neuen DLR-Institut weiterentwickelt.
Thomas Jarzombek, Koordinator der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrt, sagt: „Quantensensoren eröffnen neue Möglichkeiten. Sie messen physikalische Größen wie Temperatur, Geschwindigkeit oder elektrische und magnetische Felder in ungeahnter Präzision. Sie ermöglichen damit eine hochgenaue Erdbeobachtung aus dem All. So können wir nicht nur den Klimawandel genauer erforschen, auch die wirtschaftlichen Potenziale sind groß. Bei der Suche nach Rohstofflagerstätten oder für die Land- und Forstwirtschaft, um die Beschaffenheit von Böden zu bewerten. Ein weiteres Einsatzgebiet von Quantensensoren sind neue medizinische Diagnose- und Therapiewerkzeuge. Um die Spitzenforschung in Deutschland bei den Quantentechnologien weiter zu unterstützen, fördert der Bund das neue DLR-Institut in Hannover. Durch die Vernetzung mit anderen DLR-Standorten, Unternehmen und Start-ups haben wir dabei von Anfang an die Grundlagenforschung und die industrielle Anwendung von Quantentechnologien im Blick.“
Innovationen in der Quantentechnologie und Quantensensorik können in hohem Maße zur Lösung gesellschaftsrelevanter Herausforderungen bei Themen wie Klimawandel, Wasserressourcen, Energieversorgung, Digitalisierung, Mobilität und Sicherheit beitragen – und auch in zukünftigen Raumfahrtmissionen vollkommen neue Perspektiven eröffnen“, so Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler. „Aus Sicht des Landes ist der Aufbau des DLR-Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik in Hannover ein großer Erfolg, denn damit wird Quantentechnologie als Zukunftsthema in Niedersachsen weiter etabliert und nachhaltig verankert. Das Institut kann hier auf ein exzellentes Forschungsumfeld aufbauen, da das Land in den vergangenen zehn Jahren mehr als 220 Millionen Euro in den Aufbau und Betrieb von Forschungslaboren sowie die Einstellung und Ausbildung wissenschaftlicher Exzellenz in diesem Forschungsbereich investiert hat. Ich freue mich darauf, dass das neue Institut einen wichtigen Beitrag leisten wird zur Heranbildung einer neuen Generation von Quanten-Ingenieurinnen und Quanten-Ingenieuren.“
Breite Partnerschaften
Die Aktivitäten des neuen Instituts werden in DLR-weite Projekte und Kooperationen mit Partnern aus Forschung und Industrie in Deutschland, Europa und der Welt integriert. Das DLR arbeitet beispielsweise schon jetzt gemeinsam mit der NASA im Projekt BECCAL zusammen, in dem Bose-Einstein-Kondensate (BEC) unter Schwerelosigkeit im Cold Atoms Lab (CAL) auf der Internationalen Raumstation ISS untersucht werden. Eine Kernpartnerschaft besteht mit der Leibniz Universität Hannover, wo das neue Institut zunächst Büro- und Laborflächen anmietet, bevor bis Ende der 2020er Jahre in dem Quartier ein neues Büro- sowie Laborgebäude entsteht. Im Rahmen der geplanten Abteilung „Optische Frequenzmessung“ ist eine starke Zusammenarbeit mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig vorgesehen. Die Abteilung „Relativistische Modellierung“ wird zudem am DLR-Standort Bremen in der Nähe des Zentrums für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) angesiedelt.
Der Präsident der Leibniz Universität Hannover, Prof. Dr. Volker Epping, betont die Wichtigkeit von Kooperationen zwischen LUH und außeruniversitären Forschungseinrichtungen: „Ich bin stolz darauf und freue mich sehr darüber, dass neben etlichen anderen außeruniversitären Partnern, nun auch ein DLR-Institut als Kooperationspartner an die LUH kommt. Durch diese Kompetenzbündelung werden Institut, Universität und der Standort gemeinsam die internationale Strahlkraft im Bereich der Quantentechnologien weiter entwickeln können. Ich danke den Verantwortlichen und Beteiligten, die diese Ansiedlung engagiert vorangetrieben und möglich gemacht haben und wünsche allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen erfolgreichen Start im DLR an der Leibniz Universität Hannover.“
Aktuell liegt der Fokus darauf, die zukünftige Leitung des DLR-Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik zu berufen sowie erste Abteilungsleitungen. Bis Ende des Jahres sollen bereits 30 Mitarbeitende am Institut tätig sein. Für Ende 2021 ist dann auch die offizielle Eröffnung des Instituts geplant.
„Erste Forschungsarbeiten für künftige Experimente auf der ISS ab 2026 sind mit dem Projekt BECCAL bereits gestartet“, sagt Prof. Wolfgang Ertmer, Gründungsdirektor des DLR-Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik. „Das Institut ist auch maßgeblich an möglichen Aktivitäten der EU-Kommission zur quantengravimetrischen Erdbeobachtung beteiligt. Zudem trägt das Institut zu den Kompetenzen des DLR im Bereich Quantencomputing bei und kooperiert in diesem Bereich mit dem in Hannover ansässigen Quantum Valley Lower Saxony e.V.“
Das Land Niedersachsen hat für den Aufbau des DLR-Instituts für Satellitengeodäsie und Inertialsensorik bereits 12 Millionen Euro bewilligt. Zukünftig wird das Institut jährlich mit 11 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), 890.000 Euro aus Mitteln des Landes Niedersachsen sowie 220.000 Euro aus Mitteln des Landes Bremen finanziert.