Schadenskartierung aus dem All – DLR unterstützt Katastrophenhilfe in Beirut
Schwerpunkte: Sicherheit, Katastrophenhilfe, Erdbeobachtung
Nach der verheerenden Explosion am 4. August 2020 in Beirut, die über 150 Menschen tötete und tausende verletzte, entsandten mehrere Länder Rettungsmannschaften und Bergungsexperten in die libanesische Hauptstadt. Im Auftrag der deutschen Bundesregierung brach am Mittwoch, 5. August ein Team der Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland, kurz SEEBA, des Technischen Hilfswerks (THW) zum gemeinsamen Einsatz mit I.S.A.R. Germany in den Libanon auf. Vor Ort erkundeten und beurteilten die Einsatzkräfte unter anderem die Lage, suchten nach vermissten Personen, beurteilten Gebäudeschäden und unterstützten die deutsche Botschaft. Das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) stellte dem Team eine Schadenskartierung zur Verfügung. Diese hat das ZKI kurzfristig in Eigeninitiative aus hochaufgelösten Satellitenbildern erstellt, die vor und nach dem Unglück entstanden sind.
Dr. Steven Bayer, stellvertretender Einsatzleiter bei I.S.A.R. Germany, war eine Woche lang in Beirut. Dort unterstützte er die Katastrophenhelfer unter anderem bei der Schadensbeurteilung von Gebäuden. Die Karte des ZKI leistete dabei einen wertvollen Beitrag. Vor seiner Tätigkeit bei I.S.A.R. Germany war Bayer Sicherheitsforscher am DLR-Institut für Optische Sensorsysteme. Bereits zu der Zeit war er integrales Mitglied der Hilfsorganisation. Zwischen DLR, THW und I.S.A.R. Germany bestehen Kooperationsverträge, auf deren Basis das DLR immer wieder seine Kompetenzen aus Raumfahrt- und Sicherheitsforschung zum Einsatz bringt.
Im DLR-Interview schildert Dr. Steven Bayer nach einer Rückkehr nach Deutschland seine Erlebnisse in Beirut.
Herr Dr. Bayer, Sie trafen einen Tag nach dem Unglück in Beirut ein. Auf was hatten Sie sich eingestellt und was waren Ihre ersten Eindrücke?
Ich war auf eine eher lokal begrenzte Einsatzstelle und andere Schadensmuster als etwa bei Naturkatastrophen eingestellt. Bei einem Erdbeben haben wir viele eingestürzte oder beschädigte Gebäude in einem sehr großen Gebiet. Jetzt in Beirut erwartete uns eine größere, von einem zentralen Punkt ausgehende Zerstörung, deren Grad mit zunehmendem Radius vom Zentrum der Explosion abnahm. Auch die Schäden an Gebäuden sind bei Explosionen und Erdbeben unterschiedlich.
Nach meiner Ankunft am Flughafen bin ich unmittelbar ins Hafengebiet zu einer Koordinierungsbesprechung und im Anschluss zu einer ersten Schadensbewertung gefahren. Die enormen Schäden im Hafenbereich haben deutlich die Kraft und Stärke der Explosion gezeigt.
Was waren Ihre Aufgaben vor Ort?
Ich war Teil des gemeinsamen Einsatzteams von THW und I.S.A.R. Germany. Zunächst habe ich den Einsatzleiter des THW in der sogenannten USAR-Phase bei der Koordinierung des Teams unterstützt. USAR steht für Urban Search and Rescue. Such- und Rettungsphase nennen wir den Zeitraum von etwa 100 Stunden nach einem Unglück, in dem man noch Überlebende vermutet und ausschließlich nach vermissten Personen sucht und bei Ortung auch rettet. Außerdem unterstützte ich regelmäßig die deutschen Einsatzkräfte an der Einsatzstelle. Nach Abschluss der Aufbauphase habe ich die Beurteilung der beschädigten Gebäude außerhalb des Hafengebiets unterstützt.
Mit welchen Daten und Technologien haben Sie die Krisenhilfe unterstützen können?
Wir haben die ZKI-Schadenskarte für die Orientierung und Beurteilung von Gebäudeschäden genutzt, die vom Boden aus nicht zu sehen waren. Der Einsatz der mit dem DLR-MACS-Aufklärungssystem ausgestatteten Kamera-Drohne wurde überlegt, um noch höher aufgelöste Luftbilder zu erhalten. Aufgrund des relativ kleinen Gebiets und der Tatsache, dass ein großer Teil des Areals militärisches Gebiet ist, wurde die Drohne aber nicht eingesetzt.
Was ist das Besondere an der Schadenskarte des ZKI am DLR?
Die Schadenskarte gab uns die Möglichkeit, vor Ort das Ausmaß der Schäden auch von oben zu beurteilen. Das Stadtgebiet von Beirut ist sehr dicht bebaut, weshalb die Beurteilung von Schäden an Dächern vom Boden aus nicht möglich war. Zusätzlich boten die eingezeichneten Bereiche, die Distanzlinien, einen schnellen Überblick über die Zerstörungsgrade und die Veränderungsanalyse erlaubte eine sehr gute Orientierung, um die Beurteilung der Gebäudeschäden zu koordinieren. Besonders war, dass die Satellitendaten nach dem Unglück sehr schnell zur Verfügung standen, aus denen das ZKI zeitnah spezielle, auf die Anforderungen vor Ortzugeschnittene Karten erstellen konnte.
Was kann die DLR-Sicherheitsforschung zu einer weiteren Verbesserung der Katastrophenhilfe beitragen?
Bei Großkatastrophen sind ganz aktuelle Information für die effektive Koordinierung aller Rettungskräfte von zentraler Bedeutung. Die DLR-Sicherheitsforschung ist über die verschiedenen Projekte und Produkte in der Lage, den Rettungskräften solch aktuelle Lageinformationen an die Hand zu geben. Dies führt zu einem effektiveren und sicheren Rettungseinsatz – und rettet damit auch Menschleben im Einsatzfall.
Durch die Kooperationsverträge zwischen DLR und den Rettungsorganisationen I.S.A.R. Germany und THW findet ein kontinuierlicher Austausch zwischen Forschung und Einsatzkräften statt. Dabei werden die Fortschritte in der Forschung mit dem Bedarf und den Erfahrungen der Einsatzkräfte im engen Dialog abgestimmt. Ziel ist es, gemeinsam neue Lösungsansätze zu entwickeln, um die Rettungsorganisationen im Einsatz optimal bei der Erfüllung ihres Auftrags zu unterstützen.
Wie lautet Ihr Fazit nach dem Einsatz? Gab es ein Erlebnis, das Sie persönlich berührte?
In Beirut waren viele Rettungsteams im Einsatz und haben vor Ort gemeinsam und koordiniert zusammengearbeitet. Auch wenn wir keine der vermissten Personen lokalisieren und lebend retten konnten, so konnten wir der libanesischen Regierung sowie den Angehörigen die – wenn auch traurige – Gewissheit geben, dass in dem von uns durchsuchten Gebiet keine Überlebenden sind und der Search-and-Rescue-Einsatz beendet werden konnte.
Wie in allen unseren Einsätzen war auch in Beirut die Dankbarkeit der Bevölkerung für unsere Hilfe sowie der Zusammenhalt innerhalb der Bevölkerung für mich ein Punkt, der mich auch diesmal besonders berührt hat und der mir jedes Mal die Kraft für unsere Einsätze gibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Karten hierauf der Website des ZKI.
Die SEEBA-Einsatzkräfte sind Spezialisten für Rettung und Bergung in Katastrophengebieten, beispielsweise nach Erdbeben. Ausgestattet mit moderner Technik und Spürhunden suchen die Helferinnen und Helfer nach Überlebenden. Innerhalb von wenigen Stunden nach ihrer Alarmierung stehen die SEEBA-Kräfte zum Abflug bereit. Ihre Ausrüstung ist in Leichtmetallkisten verpackt und kann so in herkömmlichen Verkehrsflugzeugen transportiert werden. Die SEEBA war unter anderem nach den schweren Erdbeben im Iran 2003, in Pakistan 2005 und in Japan 2011 im Einsatz. Sie wurde 2017 gemäß der internationalen Rahmenvorgaben (INSARAG-Guidelines) der Vereinten Nationen als sogenanntes "Heavy-Team" für Erdbeben re-klassifiziert.
Das Technische Hilfswerk (THW) ist die ehrenamtliche Einsatzorganisation des Bundes. Das Engagement der bundesweit rund 80.000 Freiwilligen, davon die Hälfte Einsatzkräfte, ist die Grundlage für die Arbeit des THW im Bevölkerungsschutz. Mit seinem Fachwissen und den vielfältigen Erfahrungen ist das THW gefragter Unterstützer für Feuerwehr, Polizei, Hilfsorganisationen und andere. Das THW wird zudem im Auftrag der deutschen Bundesregierung weltweit eingesetzt. Dazu gehören unter anderem technische und logistische Hilfeleistungen im Rahmen des Katastrophenschutzes der Europäischen Union sowie im Auftrag von UN-Organisationen.
I.S.A.R. Germany ist eine gemeinnützige Hilfsorganisation. Sie wurde 2003 in Duisburg gegründet und kommt weltweit zum Einsatz. Der Name I.S.A.R. steht für „International Search-and-Rescue“ und ist ein Zusammenschluss aus Spezialisten verschiedener Hilfsorganisationen und dem Bundesverband Rettungshunde e.V. Ihre Aufgabe ist es, internationale Hilfe zu leisten, etwa nach Naturkatastrophen, Unglücksfällen und bei humanitären Notlagen. Dafür werden Rettungshundeteams und mit modernster Technik ausgestattete Bergungsspezialisten eingesetzt. Neben der Suche und Rettung von Verschütteten spielt die medizinische Versorgung von Opfern der Naturkatastrophen und technischer Unfälle wie in Beirut eine immer größere Rolle.