Für die Erde ins All - Weltraumforscher treffen sich in Bonn
- Vom 4. bis zum 6. März 2020 tagt das Symposium "Forschung unter Weltraumbedingungen" im Universitätsclub Bonn.
- Rund 160 Wissenschaftler aus ganz Deutschland tauschen ihre Erfahrungen aus und berichten von ihren Forschungsergebnissen.
- Schwerpunkt: Raumfahrt
Denken wir an die Internationale Raumstation ISS, dann kommen uns zunächst ihre Bewohner - die Astronauten - in den Sinn. Dabei wollen wir mehr über ihr Leben und ihre Arbeit erfahren. Ein großer Teil dieser Arbeit ist Forschung unter Weltraumbedingungen, denn die Astronauten arbeiten in einem einzigartigen Labor. Sie forschen an innovativen Werk- und Wirkstoffen, an physikalischen und physiologischen Phänomenen und vielen weiteren Rätseln, die nur unter den Bedingungen des Weltraums entschlüsselt werden können. Diese Erkenntnisse liefern uns einmalige Einblicke, die zu einem besseren Verständnis der Natur und damit auch unseres Lebens auf der Erde beitragen. Vom 4. bis zum 6. März 2020 tagt das Symposium "Forschung unter Weltraumbedingungen" im Universitätsclub Bonn, damit sich Wissenschaftler aus ganz Deutschland über diese Erkenntnisse austauschen können. Dr. Markus Braun, Leiter des Biomedizinischen Programms im Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), und Dr. Thomas Driebe, Leiter des Physikalisch-Materialwissenschaftlichen Programms, geben Ein- und Ausblicke in diese Welt der "außerirdischen" Wissenschaft.
Warum benötigen wir biologische und humanphysiologische Forschung unter Weltraumbedingungen?
Markus Braun: Das Forschen unter Weltraumbedingungen für Biologie und Humanmedizin sollte immer auch einen Nutzen für die klinische Praxis hier auf der Erde haben: Ein Beispiel unter vielen wäre hier das Forschen an Proteinkristallen. Diese Kristalle wachsen in Schwerelosigkeit - zum Beispiel im Columbus-Modul der Internationalen Raumstation ISS - reiner und größer als unter dem Einfluss der Schwerkraft. Sie eignen sich daher hervorragend für Strukturuntersuchungen auf der Erde. Die Ergebnisse werden zur Herstellung neuer innovativer Wirkstoffe gegen verheerende neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson genutzt, aber auch gegen Malaria und Multi-resistente Keime oder um bestimmte Krebsarten besser verstehen und bekämpfen zu können. Diese Forschung wurde - wie fast die gesamten deutschen Experimente auf der ISS - aus dem nationalen Raumfahrtprogramm angestoßen. Auch dank dieses Programms verfügt Deutschland über eine erfreulich große, sehr gut aufgestellte Wissenschaftsszene, die bei Forschung unter Weltraumbedingungen international führend ist. Die Bandbreite an wissenschaftlich interessanten und aktuellen Themen aus dem Bereich Biologie und Humanwissenschaften verdeutlicht uns ganz klar den Bedarf und die Sinnhaftigkeit dieser Forschung. Beispiele sind hier die nicht-invasive Diagnostik, integrative Humanphysiologie und das bereits angesprochene strukturbasierte Wirkstoffdesign. Oft liefern gerade die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus Weltraumprojekten genau die Puzzleteilchen, die zu einem besseren Verständnis der Natur, unseres Lebens auf der Erde oder zur Entwicklung neuer Therapien, Wirkstoffe und Heilmethoden beitragen.
Und wo liegen die Schwerpunkte aus physikalischer und materialwissenschaftlicher Sicht?
Thomas Driebe: Auch diese Forschungsbereiche sind extrem breit aufgestellt. Insbesondere die Quantentechnologien haben sich in den letzten Jahren aber besonders dynamisch entwickelt. Wir haben einerseits große Erfolge in der Quantensensorik mit den so genannten Bose-Einstein-Kondensaten, die sich in zahlreichen hochrangigen Publikationen, der sehr erfolgreichen MAIUS-1-Mission und in der guten Zusammenarbeit mit der NASA im BECCAL (Bose Einstein Condensates & Cold Atoms Lab) Projekt niederschlagen. Andererseits gibt es wegweisende technologische Entwicklungen bei den mikro-integrierten Lasern und dem optischen Frequenzkamm, die für zukünftige Anwendungen in verschiedenen Bereichen der Raumfahrt wie in der Satellitennavigation oder der Erdbeobachtung eine Rolle spielen werden. Aber auch in den eher klassischen Bereichen der Mikrogravitationsforschung wie der Fluidphysik, der Physik weicher Materie und der Materialforschung hat es in den letzten Jahren zahlreiche neue Erkenntnisse und innovative technische Entwicklungen gegeben. Auch die Astrophysik und die Verbrennungsforschung sollten nicht vergessen werden. In der "Labor-Astrophysik" des Programms Forschung unter Weltraumbedingungen hat es kürzlich einige bahnbrechende neue Erkenntnisse zu den frühesten Phasen der Entstehung planetarer Körper gegeben, die es kürzlich sogar auf das Nature-Cover geschafft haben. Und die Verbrennungsforschung hat durch eine stärkere Kooperation mit Japan und den USA einen neuen Aufschwung genommen.
Astronauten auf der ISS forschen auch an Experimenten, deren Grundlagen oft von deutschen Wissenschaftlern gelegt wurden, die über das DLR Raumfahrtmanagement gefördert werden. Der nächste deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer ist auch Gast beim Symposium. Was haben wir für ihn im Gepäck?
Markus Braun: Matthias Maurer wird, wie andere Astronauten auch, bei seinem Einsatz im All zunächst einmal eine Reihe von wissenschaftlichen Experimenten durchführen, die von DLR, ESA und anderen ISS-Partnern in internationalen Verfahren ausgewählt wurden. Von deutscher Seite sind insbesondere Experimente geplant, bei denen das Zusammenspiel von Stress, Gehirn und Immunsystem im Mittelpunkt steht. Aber auch der Einfluss der fehlenden Schwerkraft und der Stress- und Isolationsbedingungen auf das Orientierungs- und das Wahrnehmungsvermögen, auf den menschlichen Kreislauf und die Knochen- und Muskeldegeneration sind Projekte, die Astronauten zu bewältigen haben. Gerade mit der Auswahl von ISS-Experimenten zeigen wir, wie wichtig die Forschung auf der ISS mit den besonderen Bedingungen des Weltraums für den Fortschritt in Wissenschaft und Technik sowie für den Erhalt der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und der Mobilität des Menschen auf der Erde ist.
Thomas Driebe: Wie schon bei den beiden Missionen des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst planen wir auch für eine Mission von Matthias Maurer ein gutes Portfolio aus Experimenten mit europäischen, deutschen und internationalen Wissenschaftlern. Matthias Maurer selbst ist ja Materialwissenschaftler und insofern denken wir insbesondere an Experimente mit den vorhandenen Experimentanlagen für Materialforschung wie etwa dem Elektro-Magnetischen Levitator (EML). Konkret arbeiten wir aber auch an zwei Experimente namens LAPLACE und AtmoFlow aus den Bereichen Astrophysik und Fluidphysik. Das internationale Forschungsprojekt LAPLACE wird die Zusammenballung von Staubkörnern in den Frühphasen der Planetenbildung untersuchen. Bei AtmoFlow werden in Zusammenarbeit mit französischen Wissenschaftlern an einer Erde im Miniaturformat Strömungen in der Atmosphäre der Erde und anderer Planeten untersucht - ein Klimaforschungsexperiment auf der ISS.
Die Internationale Raumstation ISS soll ja kommerzieller ausgerichtet werden - am 6. März 2020 soll die in Bremen gebaute kommerzielle Forschungs-Plattform Bartolomeo mit einer SpaceX-Rakete starten. Was bedeutet diese Entwicklung für Forschung unter Weltraumbedingungen?
Markus Braun: Wir begrüßen die privaten Initiativen in Richtung kommerzieller Nutzung der ISS und freuen uns über jede weitere zweckmäßige Möglichkeit, die wir deutschen Forschern zur Verfügung stellen können. Zusammen mit der ESA entwickeln wir zurzeit zum Beispiel wissenschaftliche Anlagen, die auf der externen Plattform Bartolomeo für wissenschaftliche Forschung und Technologieerprobung genutzt werden sollen. Ein Beispiel ist die "Exobiology Facility", die mit aktiven Messgeräten ausgestattet sein wird. Mit denen wollen wir testen, ob und wie organische Materie, Mikroorganismen, Pflanzen und andere Lebewesen die Bedingungen des Weltraums überleben können und wie das Leben sich im Weltraum ausgebreitet haben könnte. Auch Studien zum Leben auf dem Mars und in der Marsatmosphäre sind damit möglich. Zudem nutzen wir zusätzlich zu ESA und anderen Kooperationspartnern auch kommerzielle Anbieter für die Organisation des Probentransports zur ISS und zur Umsetzung von relativ einfachen Experimenten. Langfristig erhoffen wir uns die Etablierung und die Akzeptanz der ISS im erdnahen Orbit im Sinne einer dauerhaft nutzbaren, kostengünstigen und zuverlässigen Plattform für Forschung und Technologieerprobung ebenso wie für die industrielle Nutzung in einer einzigartigen Umgebung.
Thomas Driebe: Forschung unter Weltraumbedingungen möchte immer einen Erkenntnisgewinn erbringen, wobei sowohl Grundlagenforschung als auch anwendungsorientierte Wissenschaft gleichberechtigt ihren Platz einnehmen. Dies wird mit Sicherheit auch in Zukunft der Fall sein. Sofern wissenschaftliche Fragestellungen die Nutzung kommerzieller Infrastrukturen wie etwa der Bartolomeo-Plattform erfordern, werden wir diese Plattformen gerne nutzen. Ein konkretes Beispiel aus dem Bereich Physik und Materialforschung ist das Projekt IVORY. Hier werden Schlüsseltechnologien, die über die letzten Jahre entwickelt und erfolgreich auf unterschiedlichen Mikrogravitationsplattformen getestet wurden, einer Langzeit-In-Orbit-Verifikation unter Weltraumbedingungen unterzogen. Dafür bieten die ISS und Bartolomeo die idealen Voraussetzungen. Ein anderes Beispiel ist das bereits erwähnte LAPLACE-Experiment. Für diese Versuchsreihen ziehen wir derzeit die kommerzielle IceCubes-Facility auf der ISS in Erwägung.
Was erwarten die Wissenschaftler von uns als deutscher Raumfahrtagentur?
Markus Braun: Deutsche Wissenschaftler profitieren von einem breiten Angebot an Mikrogravitationsplattformen wie den Parabelflügen in Bordeaux, dem Fallturm in Bremen, Forschungsraketen, die meistens in Kiruna (Nordschweden) starten und bemannten und unbemannten Orbitalplattformen mit verschiedenen Partnern. Auch Analogplattformen wie Isolations-, Bettruhe- und Zentrifugationsanlagen zählen dazu. Wissenschaftler erwarten von uns als Raumfahrtagentur, dass wir dieses breite Spektrum an Forschungsmöglichkeiten erhalten, es im Rahmen der internationalen Exploration weiter ausbauen und eine Plattform für internationale Netzwerke und Kooperationen anbieten. Und genau das ist es, woran wir jeden Tag arbeiten.
Thomas Driebe: Die Wissenschaftler erwarten von uns vor allem Verlässlichkeit. Sie wollen - ungeachtet der sehr herausfordernden Randbedingungen gerade im nationalen Raumfahrtprogramm - eine klare Perspektive für die kommenden Jahre. Sie wollen, dass wir weiterhin forschungsgetrieben handeln, neuen Ideen und Themen gegenüber aufgeschlossen bleiben und dabei auch vor längerfristigen Entwicklungen nicht zurückschrecken. Nur so können wir Deutschlands Spitzenstellung in innovativer Forschung und Technologieentwicklung erhalten. Dabei ist Forschung unter Weltraumbedingungen oftmals kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Die Quantentechnologien sind auch hierfür ein sehr gutes Beispiel. Wir ernten heute und in den kommenden Jahren die Früchte, die wir vor 15 Jahren gesät haben. Insofern müssen wir auch bereit sein, längerfristigen Fahrplänen von Beginn an zu folgen. Die Wissenschaftler erwarten außerdem, dass wir internationale Kooperationen ausweiten sowie die Nutzung der ISS als auch der Höhenforschungsraketen forcieren. All dies erfordert eine deutliche Stärkung des nationalen Programms, das die entscheidende Grundlage gerade auch für die internationale Spitzenstellung und für die Sichtbarkeit Deutschlands bildet.