DLR eröffnet Emulationszentrum für Vernetzte Energiesysteme (NESTEC) am Standort Oldenburg
- Einweihung: Emulationszentrum für Vernetzte Energiesysteme (NESTEC) am 26. November 2019 in Oldenburg
- Labor für miniaturisierte Stadtquartiere mit Stromnetzen, Gebäuden und Ladestationen
- Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr auf Basis von erneuerbaren Energien
- Schwerpunkt: Energie
Mit einem neuartigen Labor will das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) dazu beitragen, die Energiewende kostengünstiger und effizienter zu gestalten. Das Emulationszentrum für Vernetzte Energiesysteme (NESTEC) ermöglicht den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen Blick in die Zukunft unserer Verteilnetze, also jenen Bereich des Energiesystems, an den zum Beispiel unsere Häuser, Batteriespeicher und Elektroautos angeschlossen sind. Dadurch können bereits heute die Belastungen der künftigen Netzstrukturen präzise und kostensparend berechnet werden, bevor sie verlegt werden. Am 26. November 2019 wird diese einzigartige Forschungsumgebung im Beisein von rund 60 Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme in Oldenburg eingeweiht.
Emulation mit originalgetreuer Hardware
Während reine Computer-Simulationen immer vereinfachend sind und Experimente am echten Netz naturgemäß engen Grenzen unterliegen, enthält das NESTEC emulierte, also sozusagen miniaturisierte Stadtquartiere mit Gebäuden, Netzen und Ladestationen. Es schließt im Werkzeugkasten der Forschung daher auf neuartige Weise die Lücke zwischen Computer-Simulation und Reallabor. „Das Emulationszentrum für Vernetzte Energiesysteme ist das neue Herzstück der systemorientierten Energieforschung im DLR“, betont Prof. Karsten Lemmer, DLR-Vorstand für Energie und Verkehr. „Es bietet eine ideale Labor-Infrastruktur für die Gestaltung der Energiewende. Insbesondere die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr verschafft uns die erforderliche Flexibilität für ein effizientes, auf erneuerbaren Energien basierendes System.“ Durch die Emulation wird im NESTEC die laborbasierte Abbildung des Verhaltens realer Akteure durch untereinander vernetzte elektrotechnische Komponenten ermöglicht. Dies werde, so Lemmer, ergänzend zur Simulation und zum Reallabor wichtige Erkenntnisse zur Gestaltung der Energiewende liefern.
Für die Wissenschaftler bietet das NESTEC eine Plattform, mit der komplexe Verteilnetzstrukturen mit realen Energieflüssen in realen Dimensionen dargestellt werden können. „Wir bewegen uns hier also nicht mehr in der virtuellen Welt, sondern können unter realitätsnahen Bedingungen forschen“, sagt Dr. Karsten von Maydell, Abteilungsleiter Energiesystemtechnologie am Institut für Vernetzte Energiesysteme. „Viele Faktoren, die im realen Betrieb auftreten, können in der Simulation nicht erfasst werden. Diese physikalischen Effekte können wir künftig in der NESTEC-Umgebung berücksichtigen.
Trotz der großen Realitätsnähe findet die Forschung im NESTEC in einem abgeschirmten System statt: Der rund 180 Quadratmeter große Laborkomplex ist über einen eigenen 650-Kilovoltampere-Trafo an das Mittelspannungsnetz angeschlossen, ist also weder mit den übrigen Bereichen des Institutsgebäudes, noch mit dem umgebenden Verteilnetz verbunden. Somit haben auch Versuche mit Extrembelastungen im NESTEC keinerlei Auswirkungen auf die Außenwelt.
Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr
Große Vorteile bringt die neue Labor-Infrastruktur vor allem bei der Gestaltung von Lösungen für die Energieversorgung, die die Sektorenkopplung berücksichtigen und die auf erneuerbaren Energien basieren: Im Vergleich zu heute wird die Verteilnetzebene künftig durch zahllose neue Stromverbraucher wie Elektroautos oder stromgeführte Heizungen geprägt sein, ebenso durch dezentrale Stromerzeuger wie Photovoltaikanlagen und rückspeisende Autobatterien. „Auf diese Anforderungen ist das heutige Stromnetz ganz einfach nicht ausgelegt. Doch bevor wir mit dem Umbau unserer Infrastruktur beginnen, sollten wir sehr genau berechnen, welche Belastungen tatsächlich auf einzelne Leitungsabschnitte zukommen. Alles andere wäre für Stromkunden und Steuerzahler unbezahlbar. Das NESTEC eröffnet uns erstmals die Möglichkeit, diese künftigen Verteilnetzarchitekturen wirklich realitätsnah zu erforschen“, erklärt von Maydell.
Konkret lassen sich im NESTEC bis zu 18 Häuser durch 18 voneinander unabhängige Netzsimulatoren darstellen, die jeweils reale oder genormte Nutzerprofile wiedergeben. Auf gleiche Art können bis zu 18 Batteriespeicher und 15 Elektroautos mit einbezogen werden, dazu Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie bis zu zwei Kilometer lange Stromleitungen – also genau die Komponenten, die das Energiesystem eines typischen Wohnquartiers des Jahres 2050 nach heutigen Erkenntnissen beinhalten wird. Zudem lassen sich reale technische Komponenten aus dem Wärmebereich berücksichtigen: Dafür können Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmepumpen an zwei Testständen des Instituts direkt in das geschlossene Energiesystem des NESTEC eingebunden werden.
Die Schnittstelle der Sektorenkopplung Strom/Mobilität genießt bei den DLR-Forschern besondere Beachtung: Auch hier wird die Grenze zum „wirklichen Leben“ überwunden, indem auch reale Elektroautos in die Berechnungen integriert werden können. Dafür sind mehrere Ladesäulen auf dem Institutsgelände ins NESTEC eingebunden, so dass auch reale Ladevorgänge mit ihren realen Energieflüssen Teil des emulierten Szenarios werden können. Erfasst werden können auch die Einflüsse durch die Rückspeisung aus wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellenautos ins Energiesystem, die in einem benachbarten Labor des Instituts erforscht werden. Damit kann das NESTEC die Mobilität nicht nur sektorenkoppelnd in die Verteilnetzebene einbinden, sondern auch technologieübergreifend in einer bislang nicht dagewesenen Komplexität berücksichtigen.