Das DLR auf dem Munich Satellite Navigation Summit
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Satellitennavigation
Auf dem diesjährigen Munich Satellite Navigation Summit vom 25. bis 27. März 2019 war das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auch in den Diskussionsrunden der Konferenz vertreten. Prof. Christoph Günther, Direktor des DLR-Instituts für Kommunikation und Navigation und Professor an der TU München, nahm am Panel "The (R)Evolution of Global Navigation Satellite Systems" teil. Im Interview erläutert er, wie die Zukunft der Satellitennavigationssysteme aussehen könnte.
Zurzeit wird das Satellitennavigationssystem Galileo auf- und ausgebaut. Was ist der derzeitige Status bei Galileo?
Galileo ist auf einem sehr gutem Weg: Die Satellitenkonstellation ist fast vollständig im All. Mit vier weiteren Satelliten, die 2020 starten, wird die volle Betriebsfähigkeit erreicht werden. Bereits heute ist das Qualitätsmaß "Signal in Space Accuracy", auf einem Niveau, das vergleichbar ist mit dem amerikanischen GPS. Das ist eine beeindruckende Leistung. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, zu denen die sehr stabilen Wasserstoff-Maser und auch die digitale Signalerzeugung gehören. Letzteres erlaubt es, die Signale mit weniger Verzerrungen zu erzeugen.
Warum muss dann schon jetzt für ein neues, zukünftiges System geforscht werden?
Die heutige Konstellation wurde über einen relativ kurzen Zeitraum aufgebaut. Die meisten Satelliten wurden in den Jahren 2015 bis 2018 gestartet. Mit einer geplanten Lebensdauer von circa zwölf Jahren müssen entsprechend zahlreiche Satelliten ab 2027 ersetzt werden. Dies legt den Zeitraum fest, in dem neue Satellitentechnologien entwickelt werden müssen. Zurzeit modernisieren gerade unsere amerikanischen Kollegen GPS. Der erste GPS III Satellit wurde letztes Jahr gestartet. Dasselbe gilt für Russland. China ist quasi synchron mit Europa. Wir versuchen alle in einem gesunden Wettbewerb den Nutzern die bestmöglichen Dienste anzubieten. Dies ist zusammen mit neuen technologischen Möglichkeiten ein wesentlicher Treiber für die Weiterentwicklung.
Was wird ein zukünftiges System zusätzlich zu den Leistungen des derzeitigen Galileo-Systems bieten müssen?
Meine Vorstellung ist es, eine Positionsgenauigkeit im Zentimeterbereich ohne externe Unterstützungssysteme anbieten zu können. Derzeit werden solche Genauigkeiten nur mit Zusatzdiensten erreicht, zu deren Betrieb umfangreiche Netze von Empfängern am Boden betrieben werden müssen. Die Genauigkeit direkt aus der Konstellation zu erhalten, hätte für die Nutzer und die Industrie klare Vorteile: Geräte würden überall und sofort "out off the box" funktionieren. Ähnliches gilt für globale Integrität, wie man sie für sicherheitskritische Anwendungen, etwa das Landen von Flugzeugen, benötigt. Bei solchen Anwendungen dürfen substantielle Fehler nur ganz selten passieren, etwa alle 1000 Jahr beim heutigen Betrieb an einem Flughafen wie Frankfurt. Auch dies wollen wir direkt aus der Konstellation heraus ermöglichen, um somit unabhängig von lokal betriebenen Infrastrukturen zu werden.
Wie läuft die Positionsbestimmung in den derzeitigen Satellitennavigationssystemen ab?
Empfänger verwenden heute zur Positionsbestimmung Zeitdifferenzmessungen zu verschiedenen Satelliten. Hierfür senden die Satelliten ein Signal aus, das einer sprechenden Uhr ähnelt: "Beim dritten Ton ist es genau 12 Uhr: beep, beep, beep." Eine ähnliche Signalisierung verwenden die Satelliten, um den Empfänger darüber zu informieren, wann das Signal die Antenne des Satelliten verlassen hat. Der Empfänger misst dann die Ankunftszeit des Signals mit seiner lokalen Uhr. Wären alle Uhren synchronisiert und würde die Ausbreitung ohne Störung erfolgen, könnte der Empfänger aus der Differenz der Zeiten die Laufzeiten der Signale - also den Abstand zu den Satelliten - ermitteln und daraus seine Position bestimmen. Das Kontrollsystem kann allerdings auch nur auf diese Größen zurückgreifen und muss entsprechend ein komplexes Schätzproblem lösen, in das Uhrenversätze und Satellitenbahnen atmosphärische Parameter, Signalversätze und der Lichtdruck der Sonne eingehen. Dieses Problem ist nur durch die Betrachtung von Messungen über längere Zeiträume, durch die Verwendung von ausgefeilten Modellen und auf Grund der hohen Stabilität der Atomuhren überhaupt zu lösen.
Wie könnte ein zukünftiges System aussehen? Sie entwickeln derzeit ein Konzept für ein System mit dem Namen "Kepler"…
Beim Kepler-System wollen wir die Beobachtbarkeit der soeben genannten Größen deutlich verbessern. Viele kennen Lasermessgeräte aus dem Baumarkt. Sie werden verwendet, um Distanzen von einigen Metern sehr genau zu messen. Wir wollen verwandte Systeme bei Kepler auf Distanzen von circa 25.000 Kilometern einsetzen. Nicht nur, um die Distanz zu messen, sondern auch um die Zeitdifferenz, die die Satellitenuhren anzeigen, zu ermitteln. Ein solches System lässt sich dadurch jederzeit perfekt synchronisieren und benötigt nur noch Uhren, die über wenige Sekunden und nicht mehr über Stunden stabil sind. Zusätzlich sehen wir in unserem Konzept eine weitere Konstellation von sechs Satelliten vor, die in einer Höhe von 1200 Kilometern fliegen. Mit ihnen können wir die Signale ohne atmosphärische Störungen beobachten und damit die Signalversätze (signal biases) und die Bahnen hochgenau bestimmen.
Müssten Nutzer des Galileo-Systems bei einer Einführung des Kepler-Systems neue Endgeräte beschaffen?
Nein, die Struktur der abgestrahlten Signale bleibt die gleiche. Damit könnten auch älteste Galileo-Empfänger Kepler-Signale verarbeiten und würden dabei von den genaueren Bahnen und der genaueren Synchronisation profitieren. Den vollen Gewinn würden aber nur Empfänger einfahren, die Zusatzinformationen berücksichtigen und eine aufwendigere Signalverarbeitung umsetzen.
Was allerdings ausgetauscht werden müsste, wären die Satelliten – also Kepler-Satelliten, die die Galileo-Satelliten ersetzen müssten. Wie könnte dies ablaufen?
Die Kepler-Satelliten würden ihren Betrieb als Galileo-Satelliten aufnehmen. Erst wenn genügend viele Kepler-Satelliten im Umlauf wären, würde der neue Modus aktiviert. Stufenweise würde dann die Kontrolle an den Kepler-Modus übergeben, wobei die Bodeninfrastrukturen zu Beginn eine Zeit lang beobachtend in Betrieb bleiben würde. Die Gestaltung dieses Übergangs ist eine enorme Herausforderung, da zu dem Zeitpunkt nicht nur Milliarden von Empfängern in Betrieb sein werden, sondern auch zahlreiche sicherheitskritische Anwendungen die Signale verwenden werden. Die Nutzer dürften dabei nichts von dem Übergang merken, außer dass die Positionierung genauer wird.
Wann könnte ein Übergang von einem laufenden Galileo-Satellitennavigationssystem zu einem Kepler-System erfolgen?
Im Augenblick ist nichts entschieden! Idealerweise würden die neuen Kepler-Satelliten zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stehen, zu dem viele der heutigen Galileo-Satelliten ersetzt werden müssen. Das ist Ende der 20er Jahre. Technologisch halte ich das in Partnerschaft mit ESA und Industrie für machbar. Es bleibt aber viel zu tun. Die Schaffung des Galileo Competence Centers am DLR ist ebenfalls eine klare Stütze. Die Forschung für Kepler soll dort ein Thema werden. Unser Bestreben ist es, die Reife der Schlüsseltechnologien voranzutreiben und auf Satelliten zu bringen. Daneben müssen wir das Systemkonzept weiter verfeinern und weiterentwickeln.
Was macht die Satellitennavigation denn so wichtig im heutigen und im zukünftigen Alltag, dass solche aufwendigen Konstellationen entstehen sollen?
Die Satellitennavigation ist heute eine der wichtigsten Infrastrukturen überhaupt! Es gibt kein Transportmittel, das sich nicht auf Satellitennavigation abstützt. Besonders darauf angewiesen sind Piloten und Kapitäne: Sie müssen ihre Flugzeuge und Schiffe bei schlechter Sicht navigieren, landen beziehungsweise anlegen. Auch für den zentimetergenauen Bau von Brücken und Wolkenkratzer oder für die Steuerung von landwirtschaftlichen Geräten sind wir darauf angewiesen. Daneben wird die Satellitennavigation auch zur Synchronisation von Telekommunikations- und Stromnetzen, aber auch von Börsenplätzen eingesetzt. Wir sind überzeugt, dass wir mit der Ausrichtung auf hohe Genauigkeit und Zuverlässigkeit und deren globale Verfügbarkeit, nicht nur die Nutzung bestehender Anwendungen vereinfachen, sondern auch zahlreiche, neue bisher nicht gedachte Anwendungen ermöglichen werden.
Das Interview führte Manuela Braun.