15. März 2019 | DLR-Studie

Auswirkungen von Elektromobilität und Digitalisierung auf den Automobilstandort Baden-Württemberg

  • DLR-Forscher untersuchen in einer Strukturstudie, wie sich Elektromobilität und Digitalisierung auf den Automobilstandort Baden-Württemberg auswirken.
  • Mittels Szenariotechnik beschreiben die Wissenschaftler mögliche Veränderungen und leiten Herausforderungen wie Chancen ab, um eine aktive und positive Gestaltung des Wandels zu unterstützen.
  • Im Fokus stehen die Auswirkungen der Elektrifizierung auf Wertschöpfung und Beschäftigung.
  • Schwerpunkt(e): Verkehr, Elektromobilität, Digitalisierung

Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben für eine Studie im Auftrag der Landesagentur e-mobil BW gemeinsam mit dem IMU Institut und der Bridging IT untersucht, wie sich die beiden Megatrends Elektromobilität und Digitalisierung auf den Automobilstandort Baden-Württemberg auswirken. "Ein Strukturwechsel auf Grund der sich verstärkenden Elektromobilität wird in ganz Deutschland spürbar werden. Aufgrund seiner systemischen Kompetenz kann das DLR hier eine zentrale Rolle als neutraler Partner von Politik, Industrie und Gesellschaft einnehmen. Bei uns werden zum Beispiel technologieoffen Fahrzeugkonzepte von morgen entwickelt, die Einbindung dieser in ein automatisiertes und vernetztes Verkehrssystem untersucht und auch die Akzeptanz sowie die Anforderungen der potenziellen Nutzer erforscht", sagte Prof. Karsten Lemmer, DLR-Vorstand Energie und Verkehr, anlässlich der Vorstellung der Studie am 18. März 2019 in Stuttgart.

Im Fokus: Auswirkungen auf Wertschöpfung und Beschäftigung

Die DLR-Studie beschreibt mögliche Veränderungen, leitet Herausforderungen und Chancen ab, um so eine aktive und positive Gestaltung des Wandels in Politik, Gesellschaft und Industrie zu unterstützen. Im Fokus stehen die Auswirkungen der Elektrifizierung auf Wertschöpfung und Beschäftigung.

"Der Transformationsprozess zur Elektromobilität kann trotz des Strukturwandels bei der Beschäftigung wichtige Impulse geben, um die industrielle Stärke Baden-Württembergs weiter auszubauen", fasst DLR-Wissenschaftler Benjamin Frieske, der die Studie federführend betreut hat, zusammen. Um diese Gestaltungsmöglichkeiten bestmöglich zu nutzen, bedarf es der gemeinsamen Anstrengung von Politik, Wirtschaft und Beschäftigten. Eine zentrale Rolle wird dabei spielen, inwieweit es gelingt, Baden-Württemberg als Leitmarkt und Leitanbieter für nachhaltige Mobilität und damit zum Vorreiter im Bereich Elektromobilität zu machen, so die Studie weiter.

Szenariotechnik beschreibt mögliche Entwicklungswege

Für die Studie haben die DLR-Forscher vom Institut für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart mit Hilfe der Modellierungssoftware VECTOR21 das Markt- und Käuferverhalten simuliert. Zwei Szenarien – "progressiv" und "Business-as-usual" – stellen Zukunftsbilder des Strukturwandels und des Markthochlaufs der Elektromobilität in Europa bis ins Jahr 2030 dar. Das Eintreten der Szenarien ist vor allem von Faktoren abhängig, die Baden-Württemberg kaum beeinflussen kann: Dazu zählen die Entwicklung der Batteriekosten, der Ausbau von Produktionskapazitäten, Grenzwerte für den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid sowie die internationale Nachfrage. Die beiden Szenarien sind keine Prognosen, sondern stellen dar, wie sich Wertschöpfung und Beschäftigung unter bestimmten Rahmenbedingungen entwickeln können.

Progressives Szenario: Batteriefahrzeuge kosten 2030 weniger als Verbrenner

Im progressiven Szenario, bei dem insbesondere die Batteriekosten deutlich sinken und sich die Infrastruktur für elektrische Mobilität vorteilhaft entwickelt, könnten im Jahr 2030 rund 51 Prozent aller Neuwagen rein elektrisch betrieben sein – im Szenario Business-as-usual hingegen nur 15 Prozent. Während ein konventionelles Fahrzeug mit Verbrennungsmotor im Jahr 2015 noch einen Kostenvorteil von 10.000 Euro aufwies, ist es 2030 im progressiven Szenario 1.000 Euro teurer als ein batterieelektrisches.

Im Branchendurchschnitt: moderate Auswirkungen auf Beschäftigung

Im baden-württembergischen Automobilcluster, das die gesamte Wertschöpfungskette umfasst, sind rund 470.000 Menschen tätig. Dies entspricht rund elf Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Südwesten. Um erstmals auch zu regionalisierten Aussagen bei den Auswirkungen auf die Beschäftigung zu kommen, untersuchten die Wissenschaftler zunächst detailliert die Beschäftigungsstruktur und ordneten Gruppen von Beschäftigen unterschiedlichen Cluster-Ebenen und Wertschöpfungssegmenten zu.

Im Szenario Business-as-usual gleichen sich positive und negative Beschäftigungseffekte in der Gesamtbranche bis 2030 fast vollständig aus. Aufgrund der höheren Wertschöpfung bei Hybridantrieben und der erwarteten weltweiten Wachstumspotenziale sieht die Studie insgesamt sogar ein leichtes Beschäftigungswachstum.

In beiden Szenarien profitiert die baden-württembergische Automobilindustrie weiterhin vom weltweiten Marktwachstum. Jedoch sinkt in der Übergangszeit die Komponentenzahl bei konventionellen Verbrennungsmotoren. Die Produktion von neuen Komponenten für Elektrofahrzeuge kann die Beschäftigungsrisiken allerding nicht ausgleichen. Folglich kann es im progressiven Szenario zu einem Beschäftigungsabbau von knapp sieben Prozent bis 2030 kommen. Für die Gesamtbranche kann diese Entwicklung durch industrie- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen so gestaltet werden, dass die wirtschaftliche Stärke Baden-Württembergs erhalten oder sogar ausgebaut werden kann. Dies gilt allerdings nur, wenn es dem Automobilcluster gelingt, auch bei alternativen Antriebstechnologien seine weltweit führende Innovationsrolle zu behalten und bei neuen Komponenten Marktanteile in ähnlicher Höhe wie heute zu gewinnen.

Abhängig vom Produktionswerk: Beschäftigte sehr unterschiedlich betroffen

Die im Branchendurchschnitt moderaten Beschäftigungseffekte sind allerdings sehr unterschiedlich verteilt: Die rund 70.000 Mitarbeiter in den baden-württembergischen Produktionswerken, die direkt vom Antriebsstrang abhängen, sind besonders betroffen.

Im progressiven Szenario ist im Durchschnitt die Hälfte der Arbeitsplätze beeinträchtigt. Insgesamt wären fast 40.000 Beschäftige vom Ende des Verbrennungsmotors negativ betroffen, während rund 8.000 neue Arbeitsplätze durch Elektrokomponenten entstehen könnten. Im Szenario Business-as-usual sind fast 27 Prozent Mitarbeiter von antriebsstrangnahen Produktionswerken von Veränderungen beeinträchtigt. Selbst wenn es gelingt, alle in Baden-Württemberg gefertigten neuen Elektromobilitätskomponenten in den vom Antriebsstrang abhängigen Produktionswerken zu fertigen, sind dennoch rund 20 Prozent der Beschäftigten negativ betroffen. "Selbst im eher konservativen Szenario Business-as-usual wird klar, dass große Anstrengungen von allen Branchenakteuren notwendig werden, um den Veränderungsprozess für möglichst viele Standorte und Mitarbeiter zu meistern", so DLR-Wissenschaftler Frieske.

Auf der Website der e-mobil BW finden Sie die komplette Studie sowie die Kurzfassung zum Herunterladen.

Kontakt

Denise Nüssle

Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart
Tel: +49 711 6862-8086

Benjamin Frieske

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Fahrzeugkonzepte
Fahrzeugsysteme und Technologiebewertung
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart