Ein alternatives Navigationssystem auf See
- Im Oktober ist das EU-Projekt R-Mode Baltic unter der Federführung des DLR gestartet.
- Ziel ist die Entwicklung eines bodengebundenen, maritimen Navigationssystems als Alternative, wenn es bei den globalen Satellitennavigationssystemen zu Störungen oder gar Ausfällen kommt.
- Während des dreijährigen Projekts entwickeln Experten aus Industrie, maritimen Administrationen und Forschungseinrichtungen neue Technologien und modifizieren vorhandene maritime Infrastruktur so, dass das R-Mode-System implementiert werden kann.
- Schwerpunkt(e): maritime Sicherheit, Navigation
Mit Hilfe von Satelliten können Schiffe auf hoher See ihren Standort auf wenige Meter genau bestimmen. Insbesondere im küstennahen Bereich, in Häfen und nahe von Offshore-Windanlagen und Ölplattformen, wo besonders exakt navigiert werden muss, ist es wichtig, dass genaue Positionsinformationen permanent zur Verfügung stehen. Eine Störung oder gar ein Ausfall des verwendeten Navigationssystems kann schwere Folgen haben. In dem EU-Projekt R-Mode Baltic, das im Oktober gestartet ist, entwickeln Experten unter der Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein bodengebundenes Ersatzsystem als Alternative zu globalen satellitengestützten Systemen wie GPS oder Galileo, auf das maritime Verkehrsteilnehmer im Ernstfall zurückgreifen können.
Terrestrischer Backup
Dr. Stephan Gewies, Projektleiter aus dem DLR-Institut für Kommunikation und Navigation, beschreibt die Situation: "Ein alternatives Positionierungssystem ist wichtig, wenn wir in die Zukunft des maritimen Verkehrs schauen. Ein automatisch oder autonom agierendes Schiff benötigt ständig zuverlässige Positionsangaben. Störungen des Signalempfangs und damit verminderte Positionierungsgenauigkeit kann die Navigation von Schiffen negativ beeinträchtigen, egal ob sie vom Computer oder herkömmlich vom Menschen gesteuert werden." Insbesondere Veränderungen der Signalausbreitung in der Ionosphäre, wie sie zum Beispiel bei erhöhter Sonnenaktivität auftreten, aber auch vom Menschen verursachte Interferenzen mit globalen Satellitennavigationssystemen (GNSS) stellen eine Bedrohung dar. Die Wissenschaftler konzentrieren sich mit der Entwicklung von R-Mode (Ranging Mode) darauf, eine unzureichende Leistungsfähigkeit von GNSS-basierter Positionierung zuverlässig zu erkennen und jederzeit eine absolute Positionsbestimmung zu ermöglichen.
Neue Technologie auf vorhandener Infrastruktur
Ein entscheidender Vorteil von R-Mode ist, dass die Wissenschaftler auf bestehende maritime Infrastruktur zurückgreifen. Dazu modifizieren die Experten an der Ostseeküste von Deutschland, Polen, Schweden und Dänemark vorhandene differentielle GNSS Referenzstationen (DGNSS) sowie Basisstationen, die auf dem Funksystem AIS (Automatisches Identifikationssystem) beruhen. Durch die Modifikation sind die Funkstationen in der Lage, zusätzlich zu den abgestrahlten Kommunikationssignalen, das neue R-Mode Signal auszusenden. DGNSS-Referenzstationen senden normalerweise Korrekturinformationen für eine genaue GNSS Positionsbestimmung. AIS-Basisstationen übermitteln beispielsweise sicherheitsrelevante Warnmeldungen an Schiffe.
Wichtiger Forschungsgegenstand des Projekts sind einerseits die Signalstruktur und andererseits die zu verwendenden spezifischen Nachrichten. Darüber hinaus entwickeln die Forscher zusammen mit den Industriepartnern mobile Demonstratoren, die R-Mode Signale empfangen können. Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass auch mobile Altgeräte für DGNSS und AIS Dienste nach wie vor voll umfänglich funktionieren müssen, selbst wenn von den Sendestationen veränderte Signale oder Kommunikationsnachrichten ausgestrahlt werden.
Sendestationen müssen zeitlich synchronisiert werden
Eine Herausforderung wird die zeitliche Synchronisation über große Distanzen hinweg. In einem abschließenden Demonstrationsversuch müssen mehrere, mehr als 100 Kilometer entfernte R-Mode Sendestationen zeitlich aufeinander abgestimmt werden. Nur so können die Forscher von der Laufzeit des R-Mode Signals auf die Distanz zu den Sendestationen und damit auf die Position des Schiffs schließen. Während Navigationssatelliten mit mehreren hochgenauen Atomuhren ausgerüstet sind, suchen die Forscher im R-Mode Baltic Projekt nach einer kostengünstigeren Alternative.
Abschlussdemonstration in der Ostsee geplant
Um die Funktionalität von R-Mode unter realen Bedingungen zu testen, wird während des Projekts ein R-Mode Testfeld in der Ostsee implementiert, das über das Projektende im Jahr 2020 Bestand haben wird. Es umfasst mit seinen ungefähr 50.000 Quadratkilometern ein breites Spektrum von anspruchsvollen Gebieten für den maritimen Verkehr. Für die Umsetzung arbeiten Experten aus Deutschland, Norwegen, Schweden und Polen zusammen. Das Projekt R-Mode Baltic wird im Rahmen des Interreg Baltic Sea Region Programms mit einem Budget von 2,37 Millionen Euro durch den Europäischen Fond für regionale Entwicklung gefördert. Neben dem DLR-Institut für Kommunikation und Navigation sind weitere wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, maritime Administrationen sowie Partner aus der Industrie in R-Mode Baltic eingebunden.
Einbindung externer Expertise und Standardisierung
"Während des Projekts befinden sich die Fachleute im ständigen Austausch mit den Kapitänen, Lotsen und anderen zukünftigen Nutzern, aber auch maritimen Administrationen, die Erfahrungen aus ihrem Arbeitsalltag und damit die Anforderungen an ein solches System einbringen", sagt der DLR-Projektleiter Gewies. Diese Strategie soll helfen, frühzeitig die Akzeptanz von R-Mode zu erhöhen und ein System nach den Bedürfnissen aller Nutzer zu entwickeln. Der langfristige Nutzen der Projektergebnisse soll durch Eingaben für die Standardisierung von R-Mode gesichert werden. Dies ist eine Grundvoraussetzung für die Weiterentwicklung vom regionalen Testfeld zum weltweiten bodengebundenen Alternativsystem zu GNSS.