Schwebende Schmelzen und Biomembranen: DLR-Forschungsrakete Mapheus-6 gestartet
- Schwerpunkt: Raumfahrt
- Zehn Minuten Raketenflug für gut sechs Minuten Schwerelosigkeit
- Schwerkraftwahrnehmung biologischer Systeme und Eigenschaften metallischer Flüssigkeiten im Fokus der Experimente
Sechs Minuten und 19 Sekunden lang schwebten die Experimente an Bord der Forschungsrakete Mapheus-6 in der Schwerelosigkeit, die am 13. Mai 2017 um 11:20 Uhr vom Raketenstartplatz Esrange in Nord-Schweden startete. An Bord: biologische und materialphysikalische Versuche des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Gerade einmal 68 Sekunden nach dem Start waren die richtigen Bedingungen für die Durchführung der Experimente erreicht. Im Inneren der Rakete kamen dann das Röntgenradiographiemodul XRISE (X-ray Investigation in Space Environment), der elektrostatische Levitator GOLD-ESL (Gravity-impact On Levitated Droplets in ESL) und ein stark weiterentwickeltes Modul zur Untersuchung von Kupfer-Kobalt Schmelzen (DEMIX) unter Weltraumbedingungen zum Einsatz. Komplettiert wurde die 403 Kilogramm schwere Mapheus-6-Nutzlast durch ein Experiment zur Untersuchung des Einflusses der Schwerelosigkeit auf Zellmembranen (MemEx). Nach dem insgesamt zehnminütigen Flug, bei dem die Rakete bis in 254 Kilometer aufstieg, landete der Behälter mit den Experimenten in rund 60 Kilometern Entfernung vom Startplatz und wurde mit einem Hubschrauber geborgen.
Durchlässigkeit von Biomembranen
Das Experiment MemEx rückt biophysikalische Veränderungen von Zellmembranen in der Schwerelosigkeit in den Fokus. Untersuchungsobjekt sind künstlich hergestellte Lipidmembranen, die wie die Biomembran von Zellen aus einer Lipiddoppelschicht bestehen. "In der Doppelschicht sind Lipide und Proteine frei beweglich", sagt Dr. Jens Hauslage vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. "Bereits vorausgegangene Experimente bei 22 Sekunden Schwerelosigkeit im Parabelflug gaben uns erste Anhaltspunkte, dass sich die Fluidität von Biomembranen in der Schwerelosigkeit ändert. Jetzt sind wir gespannt auf die Auswertung der Proben, die wir direkt nach der Bergung von Mapheus-6 beginnen."
Strukturen der Erstarrung
Das Experiment X-RISE ermöglicht es, gleichzeitig in zwei Isothermalöfen die Erstarrung in sogenannten untereutektischen Aluminium-Germanium-Schmelzen mit unterschiedlichen Abkühlraten zu untersuchen. Die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen eröffnet hier die Möglichkeit das Wachstum der dendritischen Strukturen während der Erstarrung direkt zu beobachten. "Von diesen Experimenten versprechen wir uns, grundlegende Mechanismen der ungerichteten Erstarrung unter rein strömungsfreien Bedingungen, die nur in Schwerelosigkeit möglich sind, aufzuklären", sagt Prof. Florian Kargl vom DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum. "Zudem wollen wir durch vergleichende Experimente im Erdlabor den Einfluss gravitationsbedingter Strömungen auf das Kristall-Wachstum quantifizieren." Die gewonnenen Daten aus der Schwerelosigkeit werden mit Modellrechnungen und Daten aus dem irdischen Labor verglichen; diese Ergebnisse können unter anderem dazu beitragen, in der Industrie Gussprozesse zu optimieren.
Extreme Unterkühlung
Als Weiterentwicklung eines Entmischungsexperiments, das bereits auf MAPHEUS-03 geflogen ist, wurden beim Experiment DEMIX insgesamt 16 Kupfer-Kobalt-Proben unterschiedlicher Zusammensetzung auf 1550 Grad Celsius aufgeheizt und im Anschluss durch schnelles Abkühlen in Schwerelosigkeit soweit im metastabilen Zustand unterkühlt, dass die Flüssigphasen sich entmischen. Die Unterkühlung kann in solchen Systemen in kleineren Proben durch Einbettung in ein Glas erreicht werden. "In den nächsten Wochen steht dann bei uns am Kölner DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum die Analyse der geflogenen Proben am Rasterelektronenmikroskop an", sagt Dr. Matthias Kolbe "Von den unterschiedlichen Mikrostrukturen der Proben versprechen wir uns ein tiefgreifendes Verständnis der Entmischung unterkühlter Kupfer-Kobalt Proben." Komplettiert werden die MAPHEUS-6 Ergebnisse durch ein Experiment auf der Internationalen Raumstation im Elektromagnetischen Levitator EML, das bereits 2016 durchgeführt wurde und derzeit auf eine Rückfluggelegenheit wartet.
"Unser elektrostatischer Levitator für die MAPHEUS-Rakete, das GOLD-ESL Modul, ist ein Technologietreiber", ergänzt Prof. Andreas Meyer, Leiter des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum. "Hier galt es zuvor ganz neue Konzepte für die Probenpositionierung, Probenheizung und Diagnostik zu entwickeln. Erst diese Neuentwicklungen haben es uns nun erlaubt ein Experiment, das im Erdlabor eine Größe von etwa drei Kubikmetern und ein Gewicht von 450 Kilogramm hat, so kompakt, robust und automatisch-geregelt auf einer Forschungsrakete fliegen zu lassen."
Raketenflug über der Erdatmosphäre
Als Trägersystem diente der zweistufige, auf Festtreibstoffen basierende Raketenträger VSB-30, der von der Abteilung DLR - Raumflugbetrieb / MORABA wegen seiner Leistungsfähigkeit (Nutzlast >400kg) zum zweiten Mal innerhalb des Mapheus-Programms verwendet wurde. "Die beiden Raketenmotoren sind ausgebrannt nach dem Verlassen der Erdatmosphäre abgetrennt worden", sagt Frank Scheuerpflug vom Team der Mobilen Raketenbasis (MORABA) des DLR. "Ein Stickstoff-Kaltgassystem dämpfte zudem die Drehraten während des Experiments für eine hochqualitative Schwerelosigkeit." Nach dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wurde die Nutzlast über ein zweistufiges Fallschirmsystem bis auf eine Sinkgeschwindigkeit von acht Meter pro Sekunde heruntergebremst und sicher mit einem Hubschrauber geborgen.
Über Mapheus
Mittlerweile ist das Mapheus-Höhenforschungsprogramm eine feste Größe im Programmbereich Raumfahrt des DLR. Der jährliche Flug, vorbereitet und durchgeführt durch die Abteilung Mobile Raketenbasis (MORABA) des DLR, ermöglicht es den Wissenschaftlern einen systematischen Zugang zu Experimenten in Schwerelosigkeit. Dabei gehen in diesem Programm Fortschritte in Messtechniken und die Realisierung hochentwickelter Flughardware Hand in Hand mit richtungsweisenden Experimenten im Bereich der Eigenschaften metallischer Flüssigkeiten, granularer Materie und der Schwerkraftwahrnehmung biologischer Systeme.