DLR-Tests bestätigen Otto Lilienthal als Ahnherrn aller Flieger
Er flog tausende Male bis zu 250 Meter bei 50 Kilometern pro Stunde: Der deutsche Flugpionier Otto Lilienthal gilt zu Recht als erster belegter Flieger der Menschheit. Sein tödlicher Absturz geht nicht auf einen Konstruktionsfehler, sondern wahrscheinlich auf einen Pilotenfehler zurück. Das ist das Ergebnis der jetzt vorgestellten Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das einen originalgetreuen Nachbau eines Lilienthal-Gleiters wissenschaftlich getestet hat.
Mit den Untersuchungen im Windkanal soll das Wirken des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal, der vor 125 Jahre Menschenflug - DLR und BMWi würdigen Otto Lilienthal in einem Flugzeug geflogen ist, gewürdigt werden. In einem der größten und modernsten Windkanäle der Welt, dem DNW-LLF im niederländischen Emmeloord, wurde die aerodynamische Güte des nur 20 Kilogramm schweren Gleiters mit einer Spannweite von 6,70 Metern getestet. Im DLR Göttingen fanden Schwerpunktversuche statt, um die Manövrierfähigkeit zu bestimmen. Das DLR Braunschweig hat den Gleiter am Computer simuliert.
Lilienthals Konstruktion war der Zeit weit voraus
Von den Ergebnissen waren die Forscher selbst überrascht. "Es ist erstaunlich, ein wie gutes Flugzeug Lilienthal vor über 100 Jahren ohne die modernen Mittel, die wir heute einsetzen können, gebaut hat", sagte DLR-Luftfahrtvorstand Prof. Rolf Henke. "Ihm standen weder Windkanal noch Computersimulation zur Verfügung, aber er wusste, worauf es beim Fliegen ankommt", so Henke. Lilienthal hatte systematisch den Vogelflug studiert und als erster die Vorteile eines gewölbten Flügels erkannt. Bis heute werden Flugzeuge nach von Lilienthal erkannten Kriterien wie Luftwiderstand und Auftrieb bewertet. "Lilienthal war der erste Flugwissenschaftler, als dessen Erben wir uns sehen", so Henke. Außerdem war Lilienthal auch der erste Flugzeugfabrikant - das vom DLR nachgebaute Model ist das erste Serienflugzeug der Welt, der sogenannte Normalsegelapparat, und wurde mindestens neun Mal weltweit verkauft.
Prof. Andreas Dillmann, Leiter des DLR-Institutes für Aerodynamik und Strömungstechnik, der die wissenschaftliche Ausarbeitung vornahm, ist geradezu begeistert. "Die Ergebnisse unserer Untersuchungen haben Lehrbuchcharakter. Alles, was wir gemessen haben, passt hervorragend zu den historischen Angaben: wie weit er geflogen ist, wie schnell."
So beträgt die ermittelte Gleitzahl 3,6. Dass bedeutet, dass ein Flugzeug aus einer bestimmten Starthöhe 3,6 mal so weit gleiten kann. "Das stimmt mit den historischen Angaben überein, dass Lilienthal vom 70 Meter hohen Gollenberg 250 Meter weit geflogen sei", sagte Dillmann.
"Es handelt sich um eine aerodynamisch absolut saubere Konstruktion, die in allen Flugbereichen eigenstabil war", so Dillmann. Eigenstabil nennen Luftfahrtingenieure das Verhalten von Flugzeugen, wenn sie sich von selbst bei einer Kursabweichung durch Wind oder Steuerfehler wieder ins aerodynamische Gleichgewicht bringen. Dies ist Voraussetzung für sicheres Fliegen. In dieser Hinsicht sei Lilienthals Konstruktion sogar dem Flugapparat der Brüder Wright voraus gewesen: "Der Wright-Flyer stellte sich bei Windkanaltests der Nasa als instabil bei allen Fluggeschwindigkeiten heraus", sagte der DLR-Forscher.
"Die Flugeigenschaften des Lilienthal-Gleiters gleichen denen eines typischen Schul-Segelflugzeuges der 20er und 30er Jahre - Konstruktionen, die Jahrzehnte nach Lilienthal flogen", so Dillmann.
Ungünstige Thermik wurde zum Verhängnis
Die Untersuchungen der Forscher zeigten aber auch, wo die Grenzen des Gleiters lagen. Er konnte nur bei bestimmten Bedingungen sicher geflogen werden. "Wenn die Nase des Gleiters zu hoch kommt, bäumt er sich auf und wird unbeherrschbar." Genau das könnte bei Lilienthals tödlichem Absturz am 9. August 1896 bei Stölln am Gollenberg passiert sein. Von Lilienthals Absturz wird berichtet, dass sich sein Gleiter bei einem Sonnenbö genanntem Aufwind aufrichtete, in der Luft kurz stehenblieb und dann seitlich abstürzte. Der Flugpionier hatte nur begrenzte Möglichkeiten, den Gleiter durch Beinbewegungen zu steuern. "Lilienthals Gleiter konnte gut und sicher bei Windstille oder Gegenwind fliegen. Für andere Windverhältnisse wie der Thermik an seinem Absturztag reichte die Manövrierfähigkeit einfach nicht aus. Lilienthal hätte am Unglückstag nicht fliegen dürfen."
Die Leistungen Lilienthals wurden praktisch von allen nachfolgenden Pionieren der Luftfahrt anerkannt und aufgegriffen, wie Dr. Bernd Lukasch, Leiter des Otto-Lilienthal-Museums Anklam, das den Nachbau des Gleiters im Auftrag des DLR durchführte, mitteilte. "Der Franzose Ferdinand Ferber nannte schon 1905 das Jahr 1891 als das Jahr, in dem die Geschichte des Flugzeuges begann", so Lukasch. Und die Brüder Wright, denen 1903 der erste Motorflug gelang, bezeichneten Lilienthal als "ohne Zweifel größten unserer Vorgänger".
Hinweis an die Redaktionen:
Sendetaugliches TV-Footage kann beim DLR-Filmarchiv heruntergeladen werden.