Wasserstoff tanken, wo sonst Diesel fließt
Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie im EU-Projekt NEMESIS2+ ein neues Verfahren entwickelt, um Wasserstoff aus Diesel und Biodiesel herzustellen. Es kann in Zukunft überall dort zum Einsatz kommen, wo Wasserstoff dezentral benötigt wird – beispielsweise für das Betanken von Brennstoffzellenfahrzeugen oder für Prozesse in der Glas- und Stahlindustrie. Im Zuge des Projekts wurde außerdem ein Anlagenprototyp gebaut und erfolgreich getestet. Er besitzt die Größe eines Transportcontainers und kann somit ohne größeren Aufwand in bereits bestehende Infrastruktur eingebunden werden.
Brückentechnologie für nachhaltige Wasserstoffmobilität
"Eine vielversprechende Anwendung ist die Herstellung von Wasserstoff aus Diesel und Biodiesel direkt vor Ort an konventionellen Tankstellen, um das Betanken von Brennstoffzellenautos zu ermöglichen und so den Durchbruch dieser Technologie zu unterstützen", beschreibt Projektleiter Stefan Martin vom DLR-Institut für Technische Thermodynamik in Stuttgart. Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb können die Mobilität der Zukunft nachhaltiger gestalten: Die Brennstoffzelle wandelt in einem elektrochemischen Prozess Wasserstoff und Sauerstoff in Wasser und Strom um. Der so gewonnene Strom wird im Elektromotor in Bewegungsenergie umgewandelt. Aktuell existieren in Deutschland erst rund drei Dutzend Wasserstofftankstellen – ein Grund, weshalb sich Brennstoffzellenfahrzeuge beim Schritt in den Markt noch schwer tun. "Die im Projekt NEMESIS2+ entwickelte Technologie kann als Brückentechnologie dazu beitragen, die benötigte Wasserstoffinfrastruktur zum Betanken von Brennstoffzellenfahrzeugen in der Fläche zu schaffen", fasst DLR-Forscher Martin zusammen.
Anstatt Wasserstoff per LKW in Druckgasflaschen anliefern zu lassen, nutzt das von den DLR-Wissenschaftlern untersuchte Verfahren die bestehende Infrastruktur für Lagerung und Transport von Diesel und Biodiesel. Neu hinzu kommt lediglich die kompakte Anlage zur Wasserstofferzeugung. Im Vergleich zu Druckwasserstoff zeichnen sich flüssige Brennstoffe wie Diesel durch ihre rund sieben Mal höhere volumetrische Energiedichte aus, sie sind einfacher zu transportieren und zu lagern. Der vom HyGeargebaute Prototyp erzeugt in einer Stunde aus 20 Litern Biodiesel rund 4,4 Kilogramm Wasserstoff – was in etwa der Tankfüllung eines B-Klasse F-Cell-Fahrzeugs entspricht.
Herausforderungen: stabiler Prozess und hohe Reinheit
In industriellem Maßstab wird Wasserstoff bisher hauptsächlich durch Dampfreformierung aus Erdgas hergestellt. Bei diesem Verfahren werden die im Erdgas enthaltenen Kohlenwasserstoffe bei hoher Temperatur in ein wasserstoffreiches Gasgemisch umgewandelt. Der Wasserstoff wird danach in einem separaten Prozeßchritt abgetrennt. "Die Herstellung von Wasserstoff aus Diesel und Biodiesel mittels Dampfreformierung ist wesentlich anspruchsvoller. Grund dafür ist die Deaktivierung des im Prozess verwendeten Katalysators durch die Ablagerung von Kohlenstoff und Schwefel auf der Oberfläche des Katalysators. Dadurch verschlechtert sich die Ausbeute an Wasserstoff", erklärt Stefan Martin. Mit Hilfe von Laborexperimenten und Simulationen haben die DLR-Forscher deshalb den gesamten Prozess systematisch untersucht und so die optimalen Betriebsbedingungen ausfindig gemacht. "Mit diesen Erkenntnissen können wir jetzt sehr hochwertigen Wasserstoff mit einer Reinheit von 99,999 Prozent herstellen und haben erstmalig nachgewiesen, dass sich Wasserstoff in einem langfristig stabilen Prozess aus Diesel und Biodiesel herstellen lässt", so Martin weiter. Der Wirkungsgrad des Verfahrens – vom Einsatzstoff bis zum Wasserstoff – beträgt rund 70 Prozent. Eine ebenfalls innerhalb des EU-Projekts durchgeführte techno-ökonomische Analyse ermittelte Gestehungskosten von 5,80 Euro pro Kilogramm Wasserstoff, was bereits den Anlagenprototyp in die Nähe der Wirtschaftlichkeit rückt.
Zum Projekt NEMESIS2+
Das bis Juni 2015 aufgelegte EU-Projekt NEMESIS2+ wurde koordiniert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Zu den Projektpartnern zählten zudem die beiden Forschungseinrichtungen Centre for Research and Technology Hellas - CERTH (Griechenland) undInstituto Superior Técnico(Portugal), die drei Industriepartner Johnson Matthey(Großbritannien), Abengoa Hidrógeno und Abengoa Bioenergía San Roque (Spanien) sowie das mittelständische Unternehmen HyGear (Niederlande).