Churyumov-Gerasimenko: Fast wie Firn und geformt im Hagel
Bereits während des langsamen Abstiegs von Lander Philae am 12. November 2014 auf Komet Churymov-Gerasimenko starteten die ersten Instrumente an Bord mit Messungen. Drei Mal setzte Philae im Laufe der spektakulären ersten Landung auf einem Kometen auf, streifte noch einen Kraterrand und kam schließlich um 18.31 Uhr mitteleuropäischer Zeit am ungeplanten Landeplatz Abydos zur Ruhe. "Wir hätten es wohl nie gewagt, eine Landung in einem so rauen Gelände wie Abydos zu versuchen“, erläutert Philae-Projektleiter Dr. Stephan Ulamec vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Doch so konnten die Instrumente an zwei unterschiedlichen Stellen des Kometen messen. Und was Philae seinen Wissenschaftlern am Boden mit den ersten jemals auf einer Kometenoberfläche erfassten Daten mitteilte, bestätigte zum Teil das bisherige Bild von Kometen - zum Teil ließ er die Wissenschaftler aber auch staunen: Eine Oberfläche, die mit grobem Material bedeckt ist, ein überraschend harter Untergrund, der es der Hammersonde MUPUS schwer machte, und Moleküle, wie man sie bisher noch nicht in der Umgebung von Kometen festgestellt hatte. "Die Experimente direkt vor Ort haben zu neuen, zum Teil unerwarteten Einsichten in die Natur des Kometen geführt“, fasst DLR-Planetenforscher Dr. Ekkehard Kührt, der den wissenschaftlichen DLR-Anteil an der Mission betreut, zusammen. "Manches lässt sich eben nur messen, wenn man ganz nah dran ist.“ In einer Sonderausgabe von "Science“ werden diese Ergebnisse am 31. Juli 2015 veröffentlicht.
Grober Schutt und Ablagerungen
Den ersten - und besten - Ausblick auf Komet Churyumov-Gerasimenko hatte die Kamera ROLIS (Rosetta Lander Imaging System), die an der Unterseite des Landers Philae montiert ist, und bereits im Landeanflug alle zehn Sekunden ein Bild der Kometenoberfläche aufnahm. "Niemals zuvor wurde eine kometare Oberfläche in einer so hohen Auflösung von bis zu einem Zentimeter pro Bildpunkt aufgenommen“, erläutert Dr. Stefano Mottola vom DLR-Institut für Planetenforschung. Die Kamera blickte am ersten Landeplatz Agilkia dabei nicht auf die erwarteten Staub-Ablagerungen, sondern vielmehr auf eine Oberfläche mit grobem Schutt, Kies und Felsen mit Abmessungen von einigen Zentimetern bis zu fünf Metern. Die Regolith-Partikel der Kometenoberfläche sind dunkel und absorbieren in einem hohen Maß das Licht. Zudem ist die Verteilung der Partikel-Größen auf dem Kometen identisch mit der Verteilung der vom Kometen ins All geschleuderten Partikel: "Es gibt also einen wechselseitigen Austausch von Partikeln zwischen Oberfläche und Koma, das heißt der Gas- und Staubhülle des Kometen“, erläutert der wissenschaftliche Leiter der ROLIS-Kamera, Stefano Mottola.
An Hindernissen wie dem Fünf-Meter-Brocken nahe Agilkia bilden sich zudem kleine "Wind tails“, das sind Anhäufungen, die der Wind nicht abgetragen hat - vergleichbar mit Formationen auf dem Mars. "Auf Churyumov-Gerasimenko geschieht dies allerdings überraschenderweise ohne Wind und Atmosphäre - es muss ein anderer Mechanismus dafür verantwortlich sein.“ Eine Ursache für diese "Wind tails“ auf dem Kometen sind höchstwahrscheinlich Staub und gröbere Teilchen, die bei den Gas-Ausstößen des Kometen mitgerissen werden, in größerer Entfernung wieder zurückfallen und wie ein "Partikel-Hagel“ die Oberfläche abschleifen - es sei denn, es besteht ein Schutz beispielsweise hinter größeren Brocken. Dies berechneten die DLR-Planetenforscher mit Computermodellen. "Die Beobachtungen mit der ROLIS-Kamera deuten darauf hin, dass es auf Kometen großflächige Bewegungen des Materials gibt, die durch die Kometen-Aktivitäten ausgelöst werden.“
Bodenhärte wie irdischer Firn
Auch die vergeblichen Versuche der Hammersonde des Experiments MUPUS (Multi-Purpose Sensors for Surface and Sub-Surface Science), sich in den Kometenboden zu hämmern, ergeben für die Wissenschaftler wertvolle Daten: "Wir sind auf eine deutlich härtere Oberfläche gestoßen, als wir uns vorgestellt haben“, sagt Prof. Tilman Spohn, Planetenforscher am DLR und wissenschaftlicher Leiter des MUPUS-Teams. Unter einer vermutlich wenige Zentimeter dünnen Staubschicht stieß die Sonde auf poröses, aber dennoch festes Eis. "Ähnlich wie Firn auf der Erde, also wie alter, fester Schnee, der verdampft und wieder gefroren wurde.“ Bei diesen Sinterprozessen "verbacken“ zuvor lockere Bestandteile miteinander. Vergleichbar ist das Material auch mit Glasschäumen, die in der Bau-Industrie zum Dämmen verwendet werden. "Vielleicht kann man es als die größte Überraschung des Kometen bezeichnen, dass Abydos einen so harten Boden hat“, schätzt DLR-Planetenforscher Tilman Spohn. "Die gemessenen vier Megapascal sind der höchste Wert, der je für Kometen gemessen wurde.“
Die Temperaturmessungen, die MUPUS vorgenommen hat, liegen zwischen minus 180 und minus 140 Grad Celsius - und bestätigen die Erwartungen. "Wir sind ja auch in einer dunklen, kalten Ecke gelandet.“ Die Wärmeleitfähigkeit des Bodens, das heißt das Vermögen, Wärmeenergie durch das Material zu leiten, scheint etwas höher zu sein als vermutet - liegt aber im Rahmen dessen, was die Wissenschaftler von Kometen und Asteroiden erwarten. Abydos könnte eventuell eine etwas staubigere oder porösere Oberfläche haben als der übrige Komet.
Abprallen statt Versinken
Die erstaunliche Festigkeit des Kometen bestätigt auch das Team des Lander-Kontrollzentrums des DLR in Köln. "Man kann diese Festigkeit der Oberfläche nicht aus der Ferne messen, sondern muss tatsächlich vor Ort sein“, sagt Dr. Jens Biele vom DLR-Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC).Vor der Landung auf Churyumov-Gerasimenko war unter den Kometenforschern die fast einhellige Meinung, der Lander würde auf recht weichen Kometenboden treffen. "Stattdessen sind wir mehrfach abgeprallt, nachdem die Harpunen des Landers nicht auslösten, um den Lander im Boden zu verankern.“ Mit den Daten des Landers und den Daten der bereits im Flug aktiven Instrumente rekonstruierte ein Team um DLR-Wissenschaftler Jens Biele den Weg, den Philae nach dem ersten Abprallen genommen hat sowie die Festigkeit des ersten Landeplatzes.
Fehlende Magnetisierung und unerwartete Moleküle
Die Bildung von Kometen verstehen die Wissenschaftler beispielsweise durch ROMAP (Rosetta Lander Magnetometer and Plasma Monitor) nun besser: Das Instrument registrierte bereits während des Abstiegs auf den Kometen, dass dieser kein eigenes, messbares Magnetfeld besitzt. "Das bestätigt uns, dass bei der Bildung von Kometen aus dem solaren Nebel die vorhandenen Magnetfelder nicht stark genug waren, um die einzelnen Staubteilchen magnetisch auszurichten und im Kometenmaterial eine dauerhafte Magnetisierung zu erzeugen“, erläutert DLR-Kometenforscher Dr. Ekkehard Kührt. "Keine überraschende, aber eine wichtige Erkenntnis für die Entstehungsmodelle.“
Das Instrument COSAC (Cometary Sampling and Composition) hat in die Vergangenheit des Sonnensystems “hineingeschnüffelt". Eventuell könnten sogar kleine Staubteilchen in die an der Bodenplatte des Landers installierten Rohre gelangt sein und dort ausgegast haben. Insgesamt 16 organische Molekülarten spürte COSAC auf - darunter vier, die noch nie zuvor in Kometen festgestellt wurden. "Einige davon sind präbiotische Moleküle, also Bestandteile, die eine Rolle bei der Entstehung von Leben spielen“, sagt Dr. Stephan Ulamec, DLR-Wissenschaftler und Mitglied im COSAC-Team.
Kometenwand von Nahem
Neben der ROLIS-Kamera war zudem mit CIVA (Comet Infrared and Visible Analyzer) ein Panorama-Kamerasystem im Einsatz, dass die direkte Umgebung von Philae an seinem eher ungemütlichen Landeplatz abbildete. Der "Rundumblick“ von CIVA sieht unter anderem auf die Risse in der Kometenwand, an der der Lander nun steht. Dabei zeigt das Kometenmaterial eine komplexe Struktur und unterschiedliche Korngrößen. Erkennbar sind auch weiße Flecken, die auf eine unterschiedliche Zusammensetzung hinweisen.
Wissen für zukünftige Missionen
Der Verlauf der Landung und die Messungen der verschiedenen Instrumente werden nicht nur unsere Vorstellung von Kometen verändern und auf den neuesten Stand bringen, sondern auch bei der Planung zukünftiger Missionen helfen. So besteht beispielsweise bei der NASA Interesse, das Wissen über den Kometen und seine Oberfläche für geplante, zukünftige Kometenmissionen zu verwenden. "Wir haben auf jeden Fall eines mit dieser ersten Kometenlandung gelernt: Das Abprallen ist ein größeres Problem als das mögliche Versinken im Boden“, sagt Philae-Projektleiter Dr. Stephan Ulamec.
Die Mission
Rosetta ist eine Mission der ESA mit Beiträgen von ihren Mitgliedsstaaten und der NASA. Rosettas Lander Philae wird von einem Konsortium unter der Leitung von DLR, MPS, CNES und ASI beigesteuert.