30. Juni 2015

Studie "SpaceCOT": Bedingungen wie auf der Internationalen Raumstation ISS

28 Stunden lang müssen die sechs Probanden liegen bleiben, den Kopf zwölf Grad niedriger als die Beine. Zeitweise leben und schlafen sie in kohlendioxidangereicherter Umgebungsluft. Mit der Studie "SpaceCOT" untersuchen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das amerikanische National Space Biomedical Research Institute (NSBRI) derzeit, wie sich die Verschiebung der Körperflüssigkeiten zum Kopf hin sowie der erhöhte Kohlendioxidgehalt in der Luft auf das menschliche Gehirn und die Augen auswirken. Beides könnte dafür verantwortlich sein, dass bei rund 70 Prozent der Astronauten während und nach mehrmonatigen Langzeitmissionen Sehbeeinträchtigungen auftreten. Die DLR-Forschungseinrichtung :envihab wird dabei zur irdischen Raumstation, in der die Bedingungen, unter denen Astronauten in der ISS forschen und leben, simuliert werden.

Auswirkungen von Schwerelosigkeit und Kohlendioxid

Auch wenn sich die Schwerkraft auf der Erde nicht ausschalten lässt - auf die Kopftieflage reagiert der Körper mit einer Verlagerung der Flüssigkeiten in Richtung Oberkörper und Kopf. Dies ist vergleichbar mit einem Aufenthalt in der Schwerelosigkeit, wenn wegen der fehlenden Schwerkraft sich das Blut nicht mehr in der unteren Körperhälfte ansammelt. Im :envihab wird zudem kontrolliert eine Atmosphäre geschaffen, die der kohlendioxidreichen Umgebungsluft in der Internationalen Raumstation ähnelt. Auf der Erde liegt der Kohlendioxidgehalt bei 0,04 Prozent, auf der ISS ist er um das 20-fache erhöht. Bei Astronauten, die diesen Bedingungen über längere Zeit ausgesetzt sind, wurden unter anderem eine Veränderung der Sehschärfe im Nahbereich, Veränderungen der Faserschichten der Netzhaut und ein Anschwellen der mit Flüssigkeit gefüllten Kammer rund um den Sehnerv festgestellt. "Die Beeinträchtigung des Sehvermögens bei Astronauten könnte durch einen erhöhten Druck im Schädel entstehen, das Kohlendioxid erweitert zudem die Blutgefäße und könnte einen Anstieg des Drucks auf das Gehirn bewirken", erläutert DLR-Mediziner Dr. Edwin Mulder, der die Studie im :envihab für das NSBRI umsetzt.

Liegen für die Wissenschaft

Um besser verstehen zu können, wie sich Flüssigkeiten im Gehirn und den Augen bewegen und verteilen, werden sechs männliche Probanden im Alter zwischen 33 und 47 Jahren für 28 Stunden in einer Kopftieflage mal der irdischen Umgebungsluft und mal einer Atmosphäre mit 0,5 Prozent Kohlendioxid-Gehalt ausgesetzt. Über zwei Stunden wird der Anteil des Kohlendioxids zudem über eine Atemmaske auf drei Prozent erhöht. Während der Liegephase müssen die Probanden strikte Vorgaben beachten: Sitzen oder Stehen ist verboten, stattdessen muss die gesamte Zeit liegend - mit mindestens einer Schulter an der Matratze - verbracht werden. Um Einflüsse durch unterschiedliche Ernährung auszuschließen, erhalten alle Probanden eine kontrollierte, einheitliche Diät.

Messungen von Blutfluss bis hin zu Augenform

Die neurologischen Veränderungen erfassen die Wissenschaftler mit zahlreichen Messungen. "Das Problem der Sehstörungen ist ein großes Risiko, das verringert werden muss, bevor wir Astronauten auf Langzeitmissionen schicken können", sagt NSBRI-Direktor Dr. Jeffrey P. Sutton. Zu den Untersuchungen gehören die Nahinfrarot-Spektroskopie sowie Messungen mit dem C-Flow-Monitor, um den Blutfluss im Gehirn zu messen. Mit der Volumetrischen integralen Phasenverschiebungsspektroskopie können Veränderungen des Flüssigkeitsvolumens im Schädel erfasst werden. Anhand von Magnetresonanz-Bilder werden unter anderem der Durchmesser des optischen Nervs, die Form des Auges, das Volumen des Gehirns oder auch Gefäßdurchmesser festgestellt. Ein spezielles Mess-System ermittelt den Hirndruck über die Messung der Blutflussgeschwindigkeit. Mittels "Riech-Tests" wird untersucht, wie sich die Wahrnehmung von Gerüchen verändert, Kognitionstests stellen beispielsweise die sensomotorische Geschwindigkeit, die räumliche Orientierung, das Erkennen von Emotionen oder auch das Arbeitsgedächtnis auf die Probe. Selbst das im All übliche "Puffy face" - das aufgedunsene Gesicht - wird durch Ultraschallmessungen des Stirngewebes erfasst.

Versteht man die Vorgänge im menschlichen Gehirn besser, profitieren nicht nur Astronauten von der Studie "SpaceCOT": Auch Patienten, die beispielsweise nach Hirnverletzungen an einem erhöhten Druck im Schädel leiden, könnten schonender und gezielter behandelt werden.

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Dr. Edwin Mulder

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Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin
Linder Höhe, 51147 Köln