Churyumov-Gerasimenko: "Häutung" in der Glut des Südens
Bis zu 20 Meter seiner obersten Schicht könnte Komet Churyumov-Gerasimenko auf seiner bisher unbeleuchteten Südseite verlieren, wenn dort ab Mai 2015 die Sommerhitze herrscht. Die "Schlankheitskur", bei der der Komet Gas und Material seines Kerns ins All schleudert, wird durch die intensive Erwärmung bei der Annäherung an die Sonne ausgelöst. Die nördliche Hemisphäre hingegen verliert deutlich weniger, schätzen die Kometenforscher Dr. Horst Uwe Keller und Dr. Stefano Mottola vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die die mögliche Erosion von Churyumov-Gerasimenko aus Daten der OSIRIS-Kamera berechneten. Die Modellrechnung zeigt: Mit jeder seiner fast sechseinhalbjährigen Umlaufbahnen um die Sonne verliert der Komet gegenwärtig gewaltig an Oberfläche - und dies vor allem auf der Südseite, mit einem kurzen, aber sehr intensiven Sommer. "Der Komet häutet sich quasi ständig und zeigt frisches, unverbrauchtes Material an seiner Oberfläche, das noch nicht durch die kosmische Strahlung gealtert ist", sagt Dr. Ekkehard Kührt, der die wissenschaftlichen Beteiligungen des DLR an der Rosetta-Mission leitet.
Extreme Jahreszeiten im Laufe eines Orbits
Sechs Jahre und fünf Monate benötigt Komet Churyumov-Gerasimenko, um einmal um die Sonne zu kreisen. Dies macht er auf einer sehr elliptischen Bahn, die ihn über lange Zeit fern der Sonne reisen lässt - und ihn zurzeit zu seinem sonnennächsten Punkt im August 2015 führt. Dies und die starke Neigung seiner Rotationsachse um 53 Grad zur Bahn um die Sonne - die Erde ist im Vergleich dazu lediglich um 23 Grad geneigt - sorgen dafür, dass die Jahreszeiten auf den beiden Hemisphären sehr deutlich, aber extrem unterschiedlich ausgeprägt sind: Die nördliche Hemisphäre hat einen sehr langen, aber nicht besonders intensiven Sommer. Auf der südlichen Hemisphäre hält der Sommer jetzt erst Einzug - zwar nur für zehn Monate, aber durch die große Sonnennähe besonders intensiv. Orbiter Rosetta und Lander Philae haben dabei die beste Sicht auf den Kometen, der mehr und mehr zum Leben erwacht und Gas und Staub ins All stößt.
Um den Verlust an Kometenmaterial abzuschätzen, nutzten die OSIRIS-Wissenschaftler ein Oberflächenmodell des Kometen und unterteilten dieses in 100.000 kleine Dreiecke. So konnte berücksichtigt werden, dass es auch beschattete Flächen beispielsweise in Kraterstrukturen gibt oder die schroffen Bergwände die Sonnenstrahlung auf naheliegende Berghänge reflektieren und so verstärken. "Wir gehen in unserer Modellrechnung davon aus, dass das Wassereis in den aktiven Gebieten nur von einer sehr porösen, dünnen Staubschicht bedeckt ist", sagt DLR-Forscher Dr. Horst Uwe Keller. Zudem gehen die Forscher in ihrer Simulation davon aus, dass etwa vier Mal mehr Staub als Eis ins All geschleudert wird.
20 Meter verschwinden im All
Das Ergebnis: "Die Südseite, die zurzeit noch nicht von der Sonne angestrahlt und für die Wissenschaftler noch Neuland ist, wird in ihrem heißen Sommer bis zu 20 Meter ihrer obersten Schicht verlieren", sagt DLR-Forscher Dr. Stefano Mottola. "Auf der nördlichen Hemisphäre sieht das ganz anders aus: Dort werden bei einem Orbit um die Sonne nur die Bergspitzen und Klippen bis zu zehn Meter verlieren." Die bisher besonders aktive schmale Region zwischen den beiden größeren Kometenteilen ist nach den Berechnungen der Kometenforscher während des gesamten Orbits nur schwach beleuchtet und somit insgesamt nur mäßig aktiv.
Für Lander Philae ist der anstehende heiße Sommer von Vorteil: Er kann dann an seinem Standort nahe des Kometen-Äquators Energie tanken und wieder aus dem Winterschlaf aufwachen. Frühestens Ende März besteht die erste Möglichkeit, dass Philae sich meldet: Im Mai sind die Chancen am größten, dass das Lander Control Center des DLR wieder Kontakt mit Philae aufnehmen und ihn kommandieren kann.
Die Mission
Rosetta ist eine Mission der ESA mit Beiträgen von ihren Mitgliedsstaaten und der NASA. Rosettas Lander Philae wird von einem Konsortium unter der Leitung von DLR, MPS, CNES und ASI beigesteuert.