DLR-Daten zeigen, wo Menschen durch Naturkatastrophen bedroht sind
- In Zusammenarbeit mit der Weltbank wurden alle afrikanischen Siedlungen mit mehr als 10.000 Einwohnern aus dem All erfasst.
- Erdbeobachtungsdaten helfen, kritische Entwicklungen zu erkennen und Städte besser auf Naturgefahren vorzubereiten.
- Das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) verknüpft seine World Settlement Footprint (WSF) Produkte mit anderen Datenbanken. Methoden des Maschinellen Lernens helfen bei der Verarbeitung der riesigen Datenmengen.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Digitalisierung, Sicherheit, Erdbeobachtung, Klimawandel, Big Data, Künstliche Intelligenz (KI)
Viele Menschen in Afrika sind durch Naturkatastrophen gefährdet – insbesondere in Städten, die schnell und unkontrolliert wachsen. Dort leben die Bewohnerinnen und Bewohner auf engstem Raum und die Infrastruktur ist häufig unzureichend. Daher wirken sich die Folgen von Überschwemmungen, Stürmen oder Erdbeben hier besonders verheerend aus. Aber wo wachsen die Städte gerade rasant? Sind neue Siedlungsflächen in gefährdeten Gebieten entstanden? Und wie viele Menschen sind in diesem Fall bedroht? Bisher gab es oft keine ausreichenden Antworten auf diese Fragen. Deswegen hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einem gemeinsamen Projekt mit der Weltbank Erdbeobachtungsaufnahmen vom gesamten Kontinent ausgewertet und sie mit weiteren Datenquellen kombiniert. Ziel war es, für Planer und Politiker vor Ort aktuelle und verlässliche Zahlen zur Situation und Entwicklung in den Städten zu liefern. So können kritische Veränderungen frühzeitig erkannt werden.
Städte mit funktionierenden Infrastrukturen sind für Afrikas Zukunft wichtig. Das gilt zum Beispiel für Kumasi in Ghana mit 3,3 Millionen Einwohnern. Oder für Matola in Mosambik mit 1,7 Millionen Einwohnern. Beide breiten sich schnell aus, wozu aber kaum Daten vorlagen. „Das Defizit an aktuellen und räumlich detaillierten Informationen war bislang das größte Problem, um die Gefährdung der Bevölkerung durch Naturgefahren abzuschätzen. Gerade in weniger entwickelten Ländern kommt regelmäßigen Kartierungen auf Basis offener und freier Satellitendaten daher bei der Anpassung an Extremereignisse eine zentrale Rolle zu. Die neuen Daten werden nicht nur Fachleuten, sondern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein“, erklärt Dr. Anke Pagels-Kerp, Bereichsvorständin Raumfahrt im DLR.
Satelliten liefern aktuelles Bildmaterial in hoher Auflösung
Im Rahmen des Projekts „Satellite-based Monitoring Service of Urbanization in Africa“ (Satellitengestützter Dienst zur Beobachtung der Urbanisierung in Afrika) hat das DLR-Team Satellitendaten durch Methoden des Maschinellen Lernens mit Hochleistungscomputern verarbeitet. Die riesigen Datenmengen stammen vor allem von den europäischen Sentinel-Satelliten und dem US-amerikanischen Landsat-Programm. Diese Erdbeobachtungsmissionen sammeln täglich Petabyte an hochaufgelöstem, kostenfreiem Bildmaterial. Das DLR hat Verfahren entwickelt, um aus Hunderttausenden Satellitenaufnahmen die passenden Informationen zu gewinnen. „Mit den Ergebnissen kennen wir nun die Dynamik der Siedlungsentwicklung in ganz Afrika über die letzten drei Jahrzehnte. In Kombination mit Gebäudeinformationen konnten wir sogar die Bevölkerungsverteilung für jedes einzelne Gebäude auf dem Kontinent modellieren“, erklärt Dr. Thomas Esch vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) in Oberpfaffenhofen.
Monatliche Updates zeigen Entwicklungen
Zum DLR-Material gehören detaillierte Karten aller Städte und Siedlungen. Sie zeigen unter anderem die Verteilung von bebauten Arealen und Freiflächen. Außerdem wird die jährliche Ausdehnung aller Siedlungsgebiete seit 1985 dargestellt. Eine 3D-Siedlungsstruktur dient als Grundlage für die Berechnung der Siedlungsdichte. Für mehr als 100 afrikanische Städte liegen außerdem Studien zum Wachstumsmuster und zur Zersiedelung vor. In Regionen wie Maradi (Niger) sind zum Beispiel innerhalb eines Jahres zahlreiche Gebäude um den traditionellen Stadtkern herum entstanden. Solche oft ungeplanten Veränderungen sind durch Satellitendaten nachvollziehbar. „Auf Grundlage dieser Informationen sind Städte besser in der Lage, die heutige Exposition gefährdeter Gemeinden zu charakterisieren, ihr aktuelles Katastrophenrisiko zu bewerten und Trends genauer vorherzusagen. Diese Daten können zu besseren kommunalen Dienstleistungen beitragen, den künftigen Infrastrukturbedarf umreißen und einen evidenzbasierten Ansatz zur Risikominderung unterstützen, zum Beispiel durch rechtzeitige Anpassung der Infrastruktur an neue Bedingungen“, erklärt Niels B. Holm-Nielsen von der Weltbank.
„Der Datenschatz des DLR ist einzigartig“
„Bei den anspruchsvollen Analysen profitieren wir von unserer Erfahrung bei der Erstellung nutzerorientierter Informationsprodukte. Der Datenschatz des DLR ist einzigartig“, sagt Thomas Esch. Alle aktuellen Produkte des World Settlement Footprint (WSF) sind in die Analysen eingeflossen. Dazu zählen der WSF 2015, WSF 2019, WSF evolution, WSF imperviousness, WSF 3D und WSF population. Die Produkte der WSF Kartierungen werden seit vielen Jahren vom DLR weiterentwickelt und von internationalen Institutionen wie der Weltbank oder den Vereinten Nationen genutzt. Die Daten charakterisieren die Siedlungsstruktur, zeigen Entwicklungen, bilden Höhe, Dichte und Volumen der Bebauung ab und beschreiben die Verteilung der Bevölkerung.
Datenbank mit fast 20.000 afrikanischen Städten und Siedlungen
Mittlerweile hat das DLR zentrale Merkmale zu allen Siedlungen in Afrika mit mehr als 10.000 Einwohnern in einer Datenbank erfasst. Dieses Register beinhaltet aktuell 9.472 Städte sowie 10.159 weitere Siedlungen, die in naher Zukunft über 10.000 Einwohner anwachsen werden. Durch eine Kombination verschiedener Datenquellen können die DLR-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sogar die Einwohnerzahl für jedes einzelne Gebäude abschätzen. Außerdem enthält die Datenbank flächendeckende Angaben zur Intensität von Naturgefahren, wie Überschwemmungen, Erdrutschen und Erdbeben auf dem afrikanischen Kontinent.
Aufträge an Ortsansässige zur Überprüfung der Berechnungen
Um sicherzustellen, dass die berechneten Daten stimmen, hat die Weltbank Kleinaufträge an die Einwohnerinnen und Einwohner verschiedener afrikanischer Städte vergeben. „Verlässliche Vergleiche sind wichtig, um Algorithmen erfolgreich zu trainieren und um die daraus resultierenden Geoinformationen objektiv zu validieren“, sagt Thomas Esch. Die Beteiligten konnten ihr Wissen über die Umgebung einbringen und wurden für die Situation in ihren Städten sensibilisiert. Zugleich hat die Mitarbeit im Projekt zur Sicherung des monatlichen Einkommens während der Corona-Zeit beigetragen.
Zum Projekt
Das Projekt „Satellite-based Monitoring Service of Urbanization in Africa“ wird über das ACP-EU Natural Disaster Risk Reduction Program der EU finanziert. Die Koordination hat die Global Facility for Disaster Reduction and Recovery (GFDRR) bei der Weltbank übernommen. Die hier verwendeten WSF-Elemente sind vom DLR in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA und dem Google Earth Engine Team entwickelt worden. Die Datensätze zu den Gebäudeumrissen werden durch Ecopia.AI/Maxar Technologies und Google bereitgestellt. Die Think-Hazard Initiative steuert die Informationen zur Intensität von Naturgefahren bei.
Unterstützt wurde das DLR-Projektteam von der Forschungsgruppe des DFD, die auf die Entwicklung von Umwelt- und Kriseninformationssystemen spezialisiert ist. Die DLR-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben gemeinsam eine webbasierte Anwendung entwickelt, über die Weltbank-Mitarbeitende und Planer vor Ort auf alle Daten, Indikatoren und Analysen zugreifen können.
Die Weltbank und das DLR werden ihre Zusammenarbeit fortsetzen. Die Produkte WSF 2015, WSF 2019 und WSF evolution sind über den EOC Geoservice zum Download kostenfrei nutzbar. Die WSF-Daten wurden seitens der Weltbank bereits erfolgreich für weitere Fragestellungen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz eingesetzt.