DLRmagazin 156: Messen, Vorhersagen, Handeln
Interview mit DLR-Klimaforscherin Prof. Dr. Veronika Eyring
Die Modelle zur Vorhersage des Klimawandels werden immer genauer. Sie verarbeiten riesige Datenmengen, bewerten Informationen und verknüpfen sie zu einem Gesamtbild. Wie das aussieht, hat der Weltklimabericht gezeigt: „Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die Landflächen erwärmt hat“, stellt der Bericht den wissenschaftlichen Kenntnisstand dar. Das Ausmaß der Veränderungen im gesamten Klimasystem ist demnach seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos. Dass die Aussagen so deutlich ausfallen, hängt mit der Arbeit von Prof. Veronika Eyring zusammen. Sie ist Koordinierende Leitautorin des Kapitels „Menschlicher Einfluss auf das Klimasystem“. Die Wissenschaftlerin vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Universität Bremen forscht auf dem Gebiet der Erdsystemmodellierung und Modellbewertung. Sie nutzt Erdbeobachtungsdaten aus der Raumfahrt und wendet Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) an, um belastbare Klimavorhersagen und Technologiefolgenabschätzungen zu erhalten.
Im schottischen Glasgow beraten Vertreterinnen und Vertreter von 197 Staaten aktuell über Maßnahmen gegen den Klimawandel: Die Klimakonferenz COP 26 findet vom 31. Oktober bis 12. November 2021 statt.
Dürren und Starkregen nehmen zu, Eis in den Meeren schmilzt, die Atmosphäre heizt sich auf: Wie können die mehr als 230 internationalen Fachleute, die an dem sogenannten Sechsten IPCC-Sachstandsbericht gearbeitet haben, so sicher sein, dass die Aktivitäten des Menschen den Klimawandel verursachen? „Die Beweislinien sind über die Zeit immer stärker geworden. Nicht nur für die Temperatur, sondern für viele weitere Klimaänderungen“, sagt Veronika Eyring. „Wir haben in dem Bericht den Realitäts-Check geliefert. Die Erwärmung ist bereits auf 1,1°C im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten angestiegen. Das heißt, wir sind von dem 1,5°C-Ziel nicht mehr weit entfernt. Der Bericht zeigt auch, dass jeder kleine Anstieg der Erwärmung zu weiteren und schwerwiegenderen Auswirkungen des Klimawandels führt. Dies sind eindeutige Belege für die Dringlichkeit des Handelns. Es geht nun also darum, die Treibhausgas-Emissionen sofort, schnell und drastisch zu reduzieren. Ansonsten wird es nicht mehr möglich sein, die Erwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen“, erklärt Veronika Eyring.
Um die Ergebnisse von Klimamodell-Simulationen darzustellen, entwickelt das DLR-Institut für Physik der Atmosphäre in Oberpfaffenhofen gemeinsam mit mehr als 70 internationalen Forschungseinrichtungen federführend das Earth System Model Evaluation Tool (ESMValTool). Das Computerprogramm erlaubt eine umfangreiche Bewertung der Klima- und Erdsystemmodelle im Vergleich mit Beobachtungsdaten. Mit dem ESMValTool wurden die Simulationen der neuesten Generation der sogenannten CMIP6 Modelle ausgewertet und auch das Problem riesiger Datenmengen adressiert. „Wir konnten zeigen, dass sich die Klimasimulationen verbessert haben“, sagt Veronika Eyring, die das CMIP6-Projekt von 2014 bis 2020 leitete. Die Datenprodukte von CMIP6 stellen neben Beobachtungsdaten eine wichtige Quelle für Klimainformationen im IPCC-Bericht dar.
Trotzdem bestehen noch immer Unsicherheiten in den Vorhersagen des Klimawandels und seinen Auswirkungen auf globaler und regionaler Skala. Dies liegt insbesondere daran, dass kleinskalige Prozesse wie Wolkenbildung nicht explizit aufgelöst und daher nur näherungsweise in Parametrisierungen dargestellt werden können. Um dieses Problem zu lösen, setzt Veronika Eyring auf KI.
Das interdisziplinäre Team von USMILE (Unterstanding and Modelling the Earth System with Machine Learning) entwickelt maschinelle Lernverfahren, um das Verständnis und die Modellierung des Erdsystems weiter zu verbessern. Hier geht es um eine Darstellung von Prozessen in Wolken und auf der Landoberfläche. So sollen Unsicherheiten in Klimavorhersagen reduziert werden. Außerdem arbeitet das Team daran, Klimaschwankungen und Extremereignisse, zum Beispiel Dürren, mit Methoden wie Deep Learning auf kausale Zusammenhänge hin zu untersuchen. „Maschinelles Lernen hat hier ein außerordentliches Potenzial, um die Klimaforschung voranzubringen und neue Forschungsfelder zu erschließen“, sagt Veronika Eyring.
Der Abgleich von Erdbeobachtungsdaten und Erdsystemmodellen gilt als wichtige Grundlage für die Verbesserung von Klimavorhersagen. „Wir sind im DLR prädestiniert für die Entwicklung dieser Anwendungen. Wir haben die Daten und die Infrastruktur, mit denen wir die Analysen durchführen können“, erklärt Prof. Dr. Markus Rapp, Direktor des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre. Je umfangreicher und genauer die Modelle werden, desto mehr Daten werden verarbeitet und überprüft. Das Team im DLR-Institut für Physik der Atmosphäre erstellt neue Verfahren, erweitert statistische Methoden und nutzt Künstliche Intelligenz (KI), um die Unsicherheit in den Vorhersagen und in den Modellen weiter zu verringern. „Die KI hilft uns, komplexe Systeme zu verstehen“, sagt Veronika Eyring.
Veronika Eyring betreut ein Dutzend Doktorandinnen und Doktoranden im Bereich Klimamodellierung. „Viele arbeiten am Interface zwischen Klimaforschung und KI, also an der Verbindung von Physik und Informatik. Die junge Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird noch viel bewegen“, ist Veronika Eyring sicher. Sie selbst hat Physik studiert. Als sie 1995 ihre Diplomarbeit schrieb, warnten internationale Klimaforscherinnen und -forscher schon vor dem vom Menschen verursachten Klimawandel. Veronika Eyring begann, die theoretische Physik mit der Klimaforschung zu kombinieren. 2021 erhielt sie für ihre herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Klimamodellierung den renommierten Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, weil sie maßgeblich dazu beigetragen hat, das Verständnis sowie die Genauigkeit von Klimavorhersagen durch prozessorientierte Modellierung und Modellevaluierung zu verbessern. Das Forschungspreisgeld in Höhe von 2,5 Millionen Euro fließt in die Weiterentwicklung der Klimamodelle durch KI für eine verbesserte Technologiefolgenabschätzung und Politikberatung – und in die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. „Die Anwendung von KI zum Verständnis und zur Modellierung des Erdsystems steht noch am Anfang. Es ist ein vielversprechender Bereich, der eine neue Generation von Forschenden erfordert, die an der Schnittstelle von Klimawissenschaft und künstlicher Intelligenz ausgebildet ist“, sagt Veronika Eyring.