Interview: Antarktisreise zur Erprobung von Gewächshaustechnologien
- Am 20. Dezember 2020 beginnt die Reise mit einer einmonatigen Schiffsfahrt von Bremerhaven in die Antarktis.
- Zusammenarbeit von DLR und NASA, um die Anforderungen und Gestaltung eines zukünftigen Gewächshauses für Mond und Mars zu erforschen.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Nahrungsmittelversorgung der Zukunft, Globaler Wandel
Gastwissenschaftlerin Jess Bunchek vom Kennedy Space Center der NASA wird ab Ende Januar 2021 ein Jahr in der Antarktis verbringen, und zwar in der deutschen Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts (AWI). Gegenstand ihrer Forschung ist der Pflanzenanbau in isolierten, beengten und extremen Umgebungen wie dem Weltraum (auch „ICE“-Umgebungen genannt, für Englisch „isolated, confined, extreme“). Dabei wird sie im EDEN ISS-Gewächshaus des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeiten, das seit Anfang 2018 frisches Gemüse für wissenschaftliche Zwecke und zur Verpflegung der Überwinterungscrews produziert. In diesem Interview spricht sie über ihre Heimat USA, ihre Vorbereitungen in Deutschland während der Corona-Pandemie, die Weihnachtsfeiertage auf See und das kommende Abenteuer auf dem eisigsten Kontinent der Welt.
Interview von Falk Dambowsky
Frau Bunchek, Sie reisen in die entlegenste Gegend der Welt, um Pflanzen in der Polarnacht anzubauen, umgeben von nichts als Eis und Schnee. Woher stammt Ihr Interesse an Pflanzen, und wo kommen Sie ursprünglich her?
Meine Leidenschaft dafür begann schon sehr früh! Selbst als kleines Kind war ich immer gern draußen und habe nicht nur mit Pflanzen gespielt, sondern sie auch richtig studiert. Ich komme aus Nordwest-Indiana. Das ist in der Nähe von Chicago. An der Küste von Lake Michigan gibt es da eine ländliche Gegend, zu der auch der Indiana-Dunes-Nationalpark zählt. Es war unheimlich inspirierend, damals regelmäßig diese ursprünglichen Landschaften besuchen zu können. Ich habe mich leidenschaftlich für Biodiversität und Naturschutz in meiner Heimat interessiert, und das war der Auslöser dafür, dass ich dieses Thema dann auch studieren wollte.
Sie haben Botanik studiert, interessieren sich aber auch für Technik. Sie sind Mitarbeiterin im „Veggie“-Forschungsprojekt der NASA, in dessen Rahmen Gemüse an Bord der Internationalen Raumstation (ISS) angebaut wird. Wie passt das zusammen?
Als Kind war ich überzeugt: Ich werde Raumfahrt-Ingenieurin. Aber als ich mich dann bei der Uni beworben habe, merkte ich, dass meine wahren Interessen zu dieser Zeit woanders lagen. Stattdessen begann ich mit Botanik, was genau die richtige Entscheidung war. Ich wusste nicht, dass es in der angewandten Botanik Karrierewege mit Weltraumapplikationen gibt, bis ich zum Ende meines Masters in Agronomie kam und im Internet etwas über das Veggie-Projekt der NASA las. So ergab sich letztendlich dann doch eine einzigartige Möglichkeit, meine Leidenschaft für Pflanzen mit Raumfahrttechnologie zu kombinieren!
Klingt ja wie ein nahtloser Übergang. Woran haben Sie dann bei der NASA im Rahmen des Veggie-Projekts gearbeitet?
Ich habe meine Masterarbeit an einem Freitag in Pennsylvania verteidigt und am darauffolgenden Dienstag mein NASA-Praktikum im Kennedy Space Center in Florida begonnen. Das war also ein schneller Umzug, von einem Ende des Landes zum anderen! Als Praktikantin war ich an „VEG-04A“ beteiligt, einem Experiment mit dem Veggie-System, das für den Launch zur Internationalen Raumstation im Dezember 2018 vorbereitet wurde. Es war toll, praktische Erfahrung mit Pflanzen und Hardware sammeln zu können und mehr über den Ablauf wissenschaftlicher Arbeit im Weltraum zu erfahren. Ich arbeitete an den Flugverifizierungstests für die Studie und half sogar bei den Vorbereitungen der Payload für den Launch. Dass mein Mentor mir diese Arbeit anvertraute, bedeutete mir viel. Das „VEG-04A“-Experiment fand im Juli 2019 im Orbit statt. Dabei wurde Mizuna-Senfkraut angebaut – dasselbe wie bei EDEN-ISS in der Antarktis! Nach meinem Praktikum bin ich im Kennedy Space Center geblieben und war weiterhin mit der Vorbereitung und Unterstützung von Veggie-Experimenten und Flug-Payloads beschäftigt.
Guter Punkt – wie sind Sie denn auf das EDEN-ISS-Projekt aufmerksam geworden?
Zu EDEN-ISS bin ich über einen anderen Weg gekommen. Die Idee eines Antarktis-Aufenthalts kam mir zuerst während meines Botanikstudiums an der Purdue University. Ich wusste, dass es schwierig sein würde, aber ich wollte möglichst nicht als Touristin dort sein, sondern als Wissenschaftlerin auf einer Forschungsstation. Die Idee verließ mich nicht und wurde realistischer, als ich bei der NASA war. Zuerst recherchierte ich amerikanische Stationen wie McMurdo und Amundsen-Scott, um zu sehen, ob dort Pflanzenforschung betrieben wird. Solche Programme hat es dort gegeben, aber sie sind derzeit nicht aktiv. Dann dachte ich: Gibt es noch andere Möglichkeiten? Und als ich online nach „Pflanzenanbau in der Antarktis“ suchte, kam EDEN-ISS als erster Treffer.
Was ging Ihnen da durch den Kopf? Was war Ihr nächster Schritt?
Ich hatte Deutsch in der Schule gelernt, habe deutsche Verbindungen in meiner Familiengeschichte und hatte an einem Sommeraustauschprogramm in Wiesbaden teilgenommen. Ich dachte mir, ich verstehe die Sprache und Kultur gut genug, um diesen Weg zu probieren. Das EDEN-ISS-Projekt wird vom DLR verwaltet, und die Idee, mit einer anderen Weltraumorganisation zusammenzuarbeiten, schien mir besonders interessant. Als die Sommersaison vorbei war, habe ich das EDEN-ISS-Team kontaktiert, das gerade aus der Antarktis zurückgekehrt war. Das Team sagte, es wäre interessant, dort unten wieder jemanden zu haben, aber dass die Hauptschwierigkeit in der Finanzierung bestehen würde. Glücklicherweise besuchte ein paar Monate später ein anderer Forscher des EDEN-ISS-Teams einen Robotik-Workshop im Kennedy Space Center und hielt einen Vortrag über das Projekt. Bei der NASA wurden die richtigen Leute darauf aufmerksam, und ich konnte mir ihre Unterstützung sichern. Im Lauf des folgenden Jahrs stellten wir gemeinsam mit dem DLR die neue Kooperation auf die Beine, und jetzt bin ich hier in Deutschland und bereite mich auf die Reise in die Antarktis vor.
Für Herausforderungen wie die Antarktis muss man gut vorbereitet sein: Was bedeutet das bei diesem Überwinterungsprojekt?
Vorbereitung ist alles! Für mich ist das, was die Reise zur Neumayer-Station III so interessant macht, unsere Vorbereitungszeit. Sie ist lang verglichen mit anderen Stationen, zum Teil, weil das AWI sicherstellen möchte, dass das Überwinterungsteam gut zusammenpasst. Aber eben auch, weil wir den ganzen Winter über isoliert sein werden und auf alles vorbereitet sein müssen. Dazu gehört intensives Training wie das Berggletscher-Überlebenstraining und der Brandschutzkurs. Ich bin auch bei der EDEN-Forschungsgruppe des DLR in Bremen gewesen, um so viel wie möglich über die technischen und praktischen Aspekte von EDEN ISS zu lernen.
Was waren die besonderen Momente und Erkenntnisse der letzten Monate?
Was ich in meiner Zeit bei der NASA und bei den Vorbereitungen für diese Überwinterung gelernt habe, hat mir mögliche Zusammenhänge zwischen dieser Art von Training und dem Missionstraining von Astronauten aufgezeigt. Besonders viel Spaß hat das Bergtraining in Österreich gemacht. Dazu waren wir eine Woche auf einem Gletscher in Tirol. Da die Neumayer-Station III auf dem Schelfeis liegt, mussten wir lernen, wie man in einer Gletscherlandschaft sicher navigiert. Wir haben in der ganzen Gruppe, in kleineren Teams und zu zweit verschiedene Szenarien durchgespielt – etwa wie man jemanden rettet, der in eine Gletscherspalte gefallen ist, wie man Verletzungen versorgt, einen unterkühlten Menschen stabilisiert und transportiert und wie man nach verlorenen Besatzungsmitgliedern sucht. Gleichzeitig war das eine tolle Gelegenheit, um als Team zusammenzuwachsen. Wir mussten eine ganze Woche lang wandern – oft bei schlechtem Wetter – und dabei unsere gesamte Ausrüstung tragen. Das war eine körperliche und geistige Herausforderung, aber gleichzeitig auch eine tolle Erfahrung!
Das klingt nach einer sehr guten Grundlage, mehrere Monate in Isolation in der Antarktis zu verbringen. Wie bereitet man sich speziell auf diese Isolation vor?
Am meisten hilft, darüber zu sprechen. Die Isolation ist ein Thema, das uns alle beschäftigt. Wir haben Konflikttraining und Krisenmanagement-Kurse absolviert. Dort haben wir gelernt, wie man schwierige Situationen im Team vermeidet und bewältigt, denn wir sind ja dann über so lange Zeit in einer stressigen Umgebung zusammen. Ich persönlich mache regelmäßig Yoga, das wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Körper und Geist aus. Und wie wir in der Corona-Pandemie gelernt haben, kann uns Technologie dabei helfen, mit Freunden und Familie in Verbindung zu bleiben ...
... und Corona hat ja auch einen Einfluss auf die Missionspläne: Inwieweit unterscheidet sich die kommende Überwinterungsmission von früheren Missionen zur Neumayer-Station III?
Bei unserem Training gab es viele virtuelle Meetings. Als ich in Deutschland ankam, musste ich zuerst in Quarantäne, und sind auch vor unserer Abfahrt in die Antarktis im Dezember wieder in Quarantäne. Gewöhnlich fliegt man zur Neumayer-Station III, aber dieses Jahr nehmen wir ein Schiff. Das beeinflusst nicht nur, wie wir zur Station hinkommen, sondern auch, wie lange wir isoliert sein werden. Normalerweise beginnt die Isolationsphase im Februar oder Anfang März, aber dieses Jahr wird es erst später im März sein. Als Überwinterer werden wir auch ein ausgefüllteres Sommerprogramm haben, da für die jährlichen Wartungsarbeiten in der Sommerphase weniger Leute auf Neumayer III sein werden.
Das heißt, Sie feiern Weihnachten dann im Atlantik, auf dem Weg zur Antarktis?
Ja, die Polarstern legt am 20. Dezember in Bremerhaven ab, und wir fahren dann direkt zur Neumayer-Station III. Die Reise wird einen Monat dauern, aber wir werden unterwegs nirgendwo anlegen, damit das Virus nicht an Bord gelangen kann – das könnte die ganze Überwinterungsmission gefährden. Solange wir noch auf der nördlichen Halbkugel sind, werden wir wohl begrenzte Internet- und Telefonverbindung zur Außenwelt haben, auf der Südhalbkugel dann aber so gut wie keine. Nach dieser langen Reise am Schelfeis anzukommen und EDEN ISS zum ersten Mal selbst zu sehen wird ein ganz besonderer Moment sein.
Als DLR-Gastwissenschaftlerin arbeiten Sie immer noch mit der NASA zusammen. Welchen Nutzen wird die im Rahmen dieser DLR-NASA-Kooperation durchgeführte gemeinsame Forschungsarbeit im antarktischen EDEN ISS-Gewächshaus bringen?
EDEN ISS ist ein einzigartiges Projekt, es gibt nur wenige vergleichbare Einrichtungen in der Welt. Das extreme Klima und der Überwinterungsaspekt steigern diese besondere Stellung noch. Ziel dieser Kooperation zwischen DLR und NASA ist, das Design eines zukünftigen Mond- oder Marsgewächshauses sowie die Supportanforderungen für die Astronautencrews mitzugestalten. Das DLR nutzt EDEN ISS vorrangig zur Untersuchung der Systemtechnik. Dazu gehören Komponenten und Ressourcen wie Beleuchtung, Belüftung, Nährstofflösung sowie Aspekte wie Crew-Zeit und die Kommunikation mit Experten in Deutschland. Die NASA hat Erfahrung in der Auswahl geeigneter Pflanzen für die Raumfahrt sowie in Astronauten-Supportdiensten, Ernährung und Crew-Psychologie. Beide Organisationen betreiben mikrobiologische Forschung zum Thema Lebensmittel- und Systemsicherheit. Mit der EDEN ISS-Kooperation können die zwei Organisationen jetzt zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.
Wie stellen Sie sich Ihre erste Mahlzeit mit einem frisch aus dem EDEN ISS-Gewächshaus gezogenen Salat auf dem Teller vor? Haben Sie schon darüber nachgedacht?
Ich kann es gar nicht erwarten, einen roten Römersalat zu essen! Das ist eine der grundlegenden Anbaupflanzen im Kennedy Space Center. Da wir so viel damit gearbeitet haben, wissen wir generell, was uns erwartet. Das macht diese Salatsorte für das Testen neuer Anlagen und Umgebungen besonders wertvoll. Außerdem hat dieser sehr schöne Blätter, wächst schnell und schmeckt prima. Die anderen Überwinterer in meinem Team kennen diese spezielle Salatsorte noch nicht. Als wir bei unserem Training einmal zusammen gekocht haben, fragten sie, ob es eine bestimmte andere Salatsorte aus dem Supermarkt auch bei EDEN ISS geben würde. Da habe ich gescherzt: Nein, aber keine Angst, unser Salat in der Antarktis wird viel besser schmecken, weil er dann selbst gezüchtet ist.
Über Jess Bunchek
Jess Bunchek stammt ursprünglich aus Valparaiso im US-Bundesstaat Indiana. Sie lernte Deutsch in der Schule und nahm im Sommer 2010 an einem Schüleraustausch in Wiesbaden teil. Danach studierte sie Botanik für ihren Bachelor of Science an der Purdue University in West Lafayette, Indiana, mit Deutsch als Nebenfach. 2018 erhielt sie ihren Master of Science in Agronomie von der Pennsylvania State University und war Stipendiatin des NASA Space Grant Consortium. Im September 2018 wurde sie Mitarbeiterin beim Veggie-Projekt der NASA im Kennedy Space Center in Florida, zuerst als Praktikantin und dann als freie Mitarbeiterin. Ihre Aufgabe bestand in erster Linie darin, Astronauten beim Anbau von Pflanzen auf der Internationalen Raumstation zu unterstützen. Jetzt freut sich Jess Bunchek darauf, ein Jahr lang in der Neumayer-Station III des AWI zu leben und zu arbeiten und Gemüse im antarktischen EDEN ISS-Gewächshaus des DLR anzubauen.