Wenn es um die Linderung des Hungers in der Welt geht, um die schnelle Hilfe bei Katastrophen oder um das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen, sind neue Technologien gefragt. Manche kommen sogar direkt aus der Raumfahrtforschung: Wie die Mobil entfaltbare Pflanzenanbaueinheit, die im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt wurde. Ihre Technologie könnte in Zukunft nicht nur Astronauten im All mit Tomaten und Salat versorgen, sondern auch Menschen in einem Krisengebiet, die ihre Ernährungsgrundlage verloren haben. Oder die Steuerung, die ein Fahrzeug sicher durch das unwegsame Gelände auf dem Mars navigiert: Sie eignet sich ebenso für die wendigen Transporter, mit denen das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (UN World Food Programme, WFP) Hilfsgüter verteilt. Gemeinsam mit dem WFP hat das DLR in diesem Jahr ein Projekt gestartet, damit die Hilfen auch dort ankommen können, wo es für Lkw-Fahrer zu gefährlich ist.
Das DLR arbeitetet seit zwei Jahrzehnten immer wieder mit dem WFP zusammen. Seit Anfang 2019 besteht auch eine formelle Partnerschaft, die das Ziel hat, die humanitäre Hilfe und die technologischen Innovationen stärker zu verzahnen. Das WFP erhält in diesem Jahr den Friedensnobelpreis.
Verantwortung für globale und gesellschaftliche Herausforderungen
„Wir gratulieren unserem langjährigen Partner zu dieser großartigen Auszeichnung. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist stolz, mit einem breiten Erfahrungsschatz aus Forschung und Technologieentwicklung die überaus wichtige Arbeit des World Food Programme unterstützen zu können“, erklärt Prof. Anke Kaysser-Pyzalla, Vorstandsvorsitzende des DLR. Er sei dankbar für den Beitrag, den das DLR zur Erfüllung der lebensrettenden und lebensverändernden Missionen des WFP leiste, sagt David Beasley, Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms: „Die langjährige Zusammenarbeit des WFP mit dem DLR in den letzten 20 Jahren war für unsere Einsätze von immensem Wert.“
Mit dem Projekt Humanitäre Technologien, einer Initiative von Prof. Hansjörg Dittus, Vorstandsmitglied für Raumfahrtforschung und -technologie, nimmt das DLR seine Verantwortung für globale und gesellschaftliche Herausforderungen wahr. Rund sechs Millionen Euro werden eingesetzt, um Forschungsprojekte aus der Raumfahrt in humanitäre Anwendungsmöglichkeiten zu übertragen. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie Geoinformationen von Satelliten so aufbereitet werden können, dass Helfer schnell einen Überblick über eine Lage bekommen oder wie Künstliche Intelligenz im Katastrophenmanagement eingesetzt werden kann. DLR-Fernerkundungsdaten helfen außerdem dabei, die Auswirkungen des Klimawandels zu dokumentieren oder Ernteausfälle zu erkennen. „Das DLR nimmt mit dieser Initiative seine gesellschaftliche Verantwortung wahr, seine Forschung beispielsweise im Raumfahrtbereich in die konkrete Anwendung für humanitäre Zwecke zu bringen und zwar kostengünstig und angepasst an die Bedürfnisse von Humanitären Organisationen“, erklärt Hansjörg Dittus.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen leistet Ernährungshilfe für fast 100 Millionen Menschen in 88 Ländern pro Jahr. Im Interview berichtet Dominik Heinrich, Director of Innovation beim WFP, von seiner Arbeit und der Kooperation mit dem DLR.
Herr Heinrich, Sie sind Director of Innovation beim WFP, das heißt, Sie setzen auf Veränderung und neue Projekte. Sie blicken also in Richtung Zukunft. Was sehen Sie da?
Um bis 2030 das Ziel „Zero Hunger“ zu erreichen, müssen wir innovativ sein und uns neue Technologien zu eigen machen. Durch Konflikte und den Klimawandel nimmt der Hunger in der Welt zu. Organisationen an vorderster Front, wie das WFP, sind gezwungen, jeden Tag mehr mit weniger zu tun. Fortschritte in der Mobilfunktechnologie, Big Data und Künstliche Intelligenz können dem WFP dabei helfen, seine anspruchsvolle Aufgabe effektiver und effizienter zu erfüllen und so das Leben gefährdeter Bevölkerungsgruppen auf der ganzen Welt zu verbessern. Das WFP entwickelt praktische, bedarfsgerechte, digitale Lösungen, um die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in großem Maßstab zu erreichen, und bezieht sich dabei auf die Erfahrungen vor Ort.
In allen 88 Ländern, in denen das WFP tätig ist, wurden Neuerungen umgesetzt und Wege gefunden, um in schwierigen Umgebungen die am stärksten Benachteiligten zu erreichen und zu versorgen. Bereits in den 1990er Jahren versendete das WFP E-Mail per Funk, in den 2000er Jahren wurde mit der Verteilung von Hilfen über elektronische Gutscheine begonnen, heute werden Untersuchungen der Lage vor Ort mit Drohnen und mobiler Technologie durchgeführt. Mittlerweile bedeutet die digitale Transformation im WFP, Technologien und Daten zu integrieren, um die Effizienz, die Verantwortlichkeit und die Wirkungen unserer Arbeit zu verbessern: Es geht um die Ernährungshilfe für mehr als 97 Millionen Menschen weltweit. Das WFP stellt die Bedürfnisse der Menschen, die wir unterstützen, in den Mittelpunkt und wendet digitale Lösungen sowie die intelligente Nutzung von Daten an, um Leben zu retten und zu verändern.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen?
Unsere festen Partnerschaften ermöglichen es uns, Spitzentechnologien zu erproben und anzupassen – immer mit dem Ziel, die Nahrungsmittelketten zu stärken, die humanitären Reaktionszeiten zu verkürzen, die Hilfe effizienter zu gestalten und die Reichweite der Mittel zu erhöhen. Das WFP arbeitet mit zahlreichen Universitäten und akademischen Instituten zusammen. Die Kooperation mit Forschungsinstitutionen, insbesondere mit solchen wie dem DLR, mit dem das WFP gemeinsame Werte teilt, ist enorm wichtig, da sie wesentlich zur Verbreitung und zur Wirksamkeit von Innovationen beiträgt, um den Schwächsten zu helfen.
Was wünschen Sie sich vom DLR?
Zu Beginn der Zusammenarbeit leistete das DLR Unterstützung in Form von Satellitenbildern für die Notfallhilfe oder die Risikokartierung und Früherkennung von Klimaentwicklungen, um Bereitschafts- und Reaktionsmaßnahmen zu unterstützen. In jüngerer Zeit haben wir mit dem DLR im Projekt AHEAD kooperiert, um ferngesteuerte Geländefahrzeuge zu entwickeln, mit denen Lebensmittel und humanitäre Hilfsgüter auf der schwierigen letzten Meile sicher geliefert werden können.
Das DLR hat bereits seine Führungsrolle bei der Bereitstellung von Technologie und Innovation in der humanitären Welt unter Beweis gestellt. Für die Zukunft wäre es großartig, unsere Zusammenarbeit in Bereichen von beiderseitigem Interesse auszuweiten, darunter Erdbeobachtungstechnologien, künstliche Intelligenz, autonome Fahrzeuge, Datenwissenschaft und andere. Ich freue mich auch darauf zu sehen, wie einige der Projekte, die wir vor kurzem gestartet haben, über die Pilotphase hinaus eine andere Größenordnung erreichen.
Was ist im Moment die drängendste Aufgabe für das Welternährungsprogramm?
Der Welt drohen erneut Hungersnöte, und in den vier besonders gefährdeten Ländern werden Konflikte ausgetragen: Jemen, Südsudan, der Nordosten von Nigeria und Burkina Faso. Eine Hungersnot bricht in der Regel nur dann aus, wenn der Zugang für humanitäre Hilfen blockiert ist. Die Ernährungshilfe des WFP hat in den vergangenen Jahren fast immer dafür gesorgt, dass die Bevölkerung nicht in eine Hungersnot gerät. Frühzeitiges Handeln hat im Laufe der Jahrzehnte Millionen von Menschenleben gerettet - in vielen Fällen mehrfach in denselben Ländern.
Das WFP braucht im kommenden Jahr 15 Milliarden Dollar. Davon werden fünf Milliarden Dollar benötigt, um Hungersnöte abzuwenden, und die verbleibenden zehn Milliarden Dollar zur Unterstützung unserer übrigen Arbeit. Das WFP ist hervorragend aufgestellt, um den Hunger in mehr als 80 Ländern zu bekämpfen. Indem das WFP ermittelt, welche Innovationen und Technologien am wirksamsten sind, und diese dann verantwortungsbewusst einsetzt, kann es Hungersnöte schneller, effizienter und kostengünstiger bekämpfen, Ressourcen ausweiten, die Verantwortlichkeiten stärken und so vielen Menschen wie möglich helfen.