DLR testet Filtersystem zur Verringerung der Virenlast in Räumen
DLR testet Belüftungskonzept für Klassenzimmer.
Auftrag von OHB und HT Group.
Schwerpunkt: Corona-Forschung
Ein Belüftungskonzept mit Filtersystem für Klassenzimmer, Restaurants und Kinos hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen getestet. Der Test fand im Auftrag der OHB System AG, der HT Group und DASTEX statt und bestätigte die Effizienz des untersuchten Lüftungssystems im Vergleich zu einer Fensterlüftung.
Das Risiko, sich mit Krankheitserregern, die primär über die Atemwege übertragen werden, anzustecken, steigt in geschlossenen Räumen mit der Menge an Aerosolen (die sogenannte Quellenstärke) und der Aufenthaltszeit an. Je höher die Menge an Aerosolen ist, desto höher ist das Ansteckungsrisiko. Um dem entgegen zu wirken, muss die Anzahl der Viren örtlich und zeitlich reduziert werden. Dies kann durch Verdünnung mit Frischluft (Lüften) oder gefilterter Luft (Raumluftfilter) erfolgen. Das OHB-HT-Konzept setzt auf das Prinzip der Verdrängungslüftung sowie effiziente Filtrierung der potentiell belasteten Raumluft.
Bei dem untersuchten Lüftungskonzept handelt es sich um ein Spin-Off aus der Raumfahrt und Medizintechnik, genauer gesagt einem Konzept für ein wirksames Filtersystem für Räume. Das Konzept „Next Generation Class Room“ ist ein möglichst einfach einzubauender Nachrüstsatz für Räume, der die Virendichte (z.B. Corona und Grippe) und damit das Übertragungsrisiko reduzieren soll. Erreicht wird dies durch ein sogenanntes vertikales Lüftungskonzept. Dabei wird Frischluft am Boden eingebracht, an der Decke abgesaugt und nach Filterung wieder bodennah zugeführt. Zusätzlich wird die vertikale Strömung in Richtung der Absaugung durch die Auftriebsströmung verstärkt, welche die im Raum befindlichen Menschen durch ihre Wärmeabgabe bewirken. So wird die Atemluft effektiv einem Filtersystem zugeführt, und die in der Atemluft enthaltenen virenbelasteten Aerosole können sich nicht unkontrolliert im Raum ausbreiten.
Verantwortlich für das neue Konzept ist Dr. Axel Müller von der OHB System AG im Bereich Cleanliness. Vereinfacht gesagt sorgt er dafür, dass Satellitenbauteile keine Verunreinigung (chemisch, partikular oder biologisch) aufsammeln und dass Wärmeeinflüsse bei hochpräzisen Messungen nicht stören. Mittel der Wahl ist eine optimierte Luftführung, die den störenden Einfluss von Wärme und Kontaminationsquellen auf das zu schützende Bauteil ausschließt.
Genau das war für Müller die Idee, für Klassenzimmer, Arztpraxen und sonstige Räume eine Ausrüstung zu konzipieren, die die Sicherheit der sich dort aufhaltenden Personen erhöht: „Zielsetzung ist, potentiell virenbelastete Luft gezielt schnell zu filtrieren und eine unkontrollierte Durchmischung im Raum zu vermeiden“, erklärt Müller.
„Als Strömungsforscher bescheinigen wir dem Konzept ein großes Potential und halten es für besser als das Lüften per Fenster“, sagt Dr. Andreas Westhoff vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen, der die Tests durchführte. Beim Fensterlüften handelt es sich um ein sogenanntes horizontales Lüften – die Luft gelangt seitlich in den Raum, verwirbelt und kann mit weiteren Personen in Kontakt kommen.
Am DLR-Institut in Göttingen, das auf eine jahrzehntelange Expertise für Lüftungssysteme insbesondere in Fahrzeugen zurückgreifen kann, hat Westhoff die erste, mehrtägige Phase der von der OHB System AG beauftragten Messkampagne betreut: „Die Untersuchung des OHB-HT-Raumlüftungskonzepts hat gezeigt, dass mit Hilfe des getesteten Prototypen eine stabile Strömung vom Menschen direkt zur Absaugung realisiert werden kann. Die vom Menschen erzeugte Auftriebsströmung unterstützt diesen Effekt. Eine unkontrollierte Ausbreitung von viren- und bakterienbelasteten Aerosolen aus der Atemluft wird reduziert. Außerdem wird die virenbelastete Luft effektiv der Filteranlage zugeführt“.
Die Messungen wurden mit beheizten Menschmodellen durchgeführt – schwarzen Dummies, die mit einem Heizdraht umwickelt sind und die Wärmeabgabe eines typischen sitzenden Menschen simulieren. „Diese Wärmeabgabe jedes Menschen erzeugt eine Auftriebsströmung, die die Strömung in einem Raum wesentlich beeinflusst“, so Westhoff. Zusätzlich wurde ein Dummy mit einem am DLR Göttingen entwickelten Atemsimulator ausgestattet.
In mehreren Szenarien (ein Klassenzimmer, ein Arzt-Warteraum, ein Gastro-Bereich sowie Kinobestuhlung) saßen bis zu 15 Dummies an Tischen. Zum Funktionsnachweis des Lüftungskonzeptes wurde eine sogenannte Rauchvisualisierung durchgeführt, um die Luftströmung sichtbar zu machen. Ergänzend hierzu wurde CO2 als Tracer-Gas in den Raum eingelassen, um damit die Verbreitung von Aerosolen zu simulieren. Mit Hilfe von CO2-Konzentrationsmessungen kann die Ausbreitung von virenbelasteten Aerosolen untersucht werden.
Mit dem „Next Generation Class Room“-Demonstrator erfolgen in den nächsten Wochen in Göttingen weitere Tests. So soll unter anderem auch die Ausbreitung menschlicher Spucke-Partikel simuliert werden. Parallel plant das Konsortium, den Praxistest in einer Schule oder einem Restaurant.
So funktioniert das OHB-HT-Konzept
Eine Niedrigimpuls-Belüftung wird im Raum installiert und saugt die potentiell virenbelastete Atemluft ab, filtert sie und führt sie dem Raum wieder zu. Dazu benötigt man einen Lüfter, eine HEPA-Filtereinheit (Feinstpartikelfilter) und einen Luftschlauch aus in der Raumfahrtindustrie verwendetem Textil. Optional sind eine Temperaturstabilisierung für die Sommermonate durch Kälteregister sowie LED-Bänder am Textil zur flächendeckenden energiesparenden Ausleuchtung.
HEPA-Filter und Textilschläuche sind wiederverwertbar und können nach fest vorgegebenen Zyklen ausgetauscht und durch fachmännische Reinigung bzw. Desinfektion wiederaufbereitet werden.
Das OHB-HT-Konzept zielt nicht nur auf den aktellen Coronavirus ab, das System ist außerdem dafür ausgelegt, die Luftqualität hinsichtlich Pollen-, Bakterien-, Pilze und Feinstaubbelastung zu optimieren.