Marsmond Phobos: von Opposition und Heiligenschein
- Die Stereokamera HRSC an Bord von Mars Express liefert nicht nur Aufnahmen von der Marsoberfläche, sondern auch von seinen Monden Phobos und Deimos.
- Die Animation zeigt den größeren der beiden Monde, Phobos, aus rund 2400 Kilometer Entfernung.
- Die Aufnahmen wurde aus unterschiedlichen "Phasenwinkeln" gemacht. Durch den unterschiedlichen Schattenwurf und die bei verschiedenen Winkeln variierende Menge an reflektiertem Sonnenlicht können wertvolle Rückschlüsse auf die Materialbeschaffenheit, vor allem auf die Rauigkeit und Porosität der Oberfläche gezogen werden.
Seit Januar 2004 liefert die hochauflösende Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express nicht nur Bilder des Roten Planeten, sondern auch Aufnahmen von seinen beiden Monden Phobos und Deimos. Die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebene Kamera verfügt unter anderem über eine spezielle Lupenfunktion, den sogenannten Super Resolution Channel (SRC). Die hier gezeigte Animation wurde aus 41 SRC-Aufnahmen vom 17. November 2019 erstellt. Darin fliegt Phobos an der Sonde vorbei, und ihre Kamera "schaut" dem Mond nach dem Rendezvous hinterher. Das leichte Auf-und-Ab-Ruckeln des Mondes in der Animation rührt daher, dass Mars Express noch etwas nachschwingt, nachdem sie sich vom Mars Richtung Phobos gedreht hat. Der Abstand zwischen Raumschiff und Mond betrug bei diesem Vorbeiflug rund 2400 Kilometer. Daher haben die Bilder eine Auflösung von etwa 21 Metern pro Bildpunkt. Dennoch sind zahlreiche Details auf dem unregelmäßig geformten Körper zu erkennen, wie Einschlagskrater und kilometerlange Schrammen und Furchen. Der mit zehn Kilometern Durchmesser größte Krater auf Phobos, Stickney, ist in dieser Ansicht genau in der Mitte zu sehen.
Auf den ersten Blick mag die Animation recht unspektakulär erscheinen. Man sieht den bis zu 26 Kilometer großen Körper aus verschiedenen Blickwinkeln, wobei der Mond erst immer heller und dann wieder dunkler wird. Für Wissenschaftler sind solche Aufnahmen, die unter verschiedenen Phasenwinkeln (Winkel zwischen Sonne und Beobachter, siehe Abbildung 1) aufgenommen werden, aber ganz besonders interessant: Durch den unterschiedlichen Schattenwurf und die bei unterschiedlichen Winkeln variierende Menge an reflektiertem Sonnenlicht können wertvolle Rückschlüsse auf die Materialbeschaffenheit, vor allem auf die Rauigkeit und Porosität der Oberfläche gezogen werden.
Auch planetare Körper "können Opposition"
Besonders interessant ist dabei eine Beobachtung bei einem Phasenwinkel von exakt null Grad, also wenn die Sonne genau im Rücken des Beobachters steht (Skizze B in Abbildung 1): Dann wird die Oberfläche vom Sonnenlicht genau senkrecht beschienen und alle Schatten verschwinden. Das führt zu einer erhöhten Flächenhelligkeit in der Bildmitte. Ist der Schatten des Beobachters auf der Aufnahme abgebildet, entsteht eine Art Heiligenschein um dessen Kopf im Zentrum der Aufnahme. Da dieses Phänomen nur auftritt, wenn die Sonne als Lichtquelle genau im Gegenpunkt (Opposition) zum aufgenommenen Objekt steht, wird diese Erscheinung Oppositionseffekt genannt.
Er kann bei Vollmond sogar von der Erde leicht beobachtet werden, weil dann nicht nur eine größere Fläche des Mondes beschienen wird, sondern Sonne, Erde und Mond sich ziemlich genau auf einer Linie befinden (also einander gegenüber = in Opposition) und auf der Mondoberfläche somit keine sichtbaren Schatten entstehen. Dadurch erscheint der Vollmond bis zu zehnmal heller als der Halbmond. Viele haben vielleicht auch schon beobachtet, dass man, wenn man aus einem Flugzeug auf den Boden schaut, einen hellen Schein oder "Halo" um den Schatten des Flugzeugs sieht. Ein weiteres bekanntes Beispiel sind Fotos von der Mondoberfläche, wenn die Sonne genau im Rücken der fotografierenden Apollo-Astronauten steht und im Gegensonnenpunkt, also um den Kopf ihres Schattens, ein „Heiligenschein“ entsteht. All diese Erscheinungen sind auf den Oppositionseffekt zurückzuführen. Aussagen über die Beschaffenheit des Oberflächenmaterials lassen sich anhand der Stärke des auftretenden Effekts ableiten.
Was man von "der Opposition" alles lernen kann
Bei schräg auftreffendem Sonnenlicht wird ein größerer Anteil des Lichts von Unebenheiten hin und her reflektiert, ehe das Licht dann mit einem kleinen Verlust an Helligkeit zurück ins All reflektiert oder in Hohlräumen teilweise "verschluckt" und gar nicht mehr abgestrahlt wird. Bei Opposition hingegen wird der ganze, senkrecht auf die Oberfläche treffende Anteil des Lichts, der nicht vom Oberflächenmaterial absorbiert wird (bei heller Oberfläche ist der absorbierte Anteil geringer als bei einer dunklen), ins All zurückgestrahlt. Das führt zu einer deutlichen Aufhellung der Oberfläche und lässt Strukturen erkennen, die bei schräg auftreffendem Licht nicht zu sehen sind - beispielsweise strahlenartige Auswurfmuster an Einschlagskratern (siehe Abbildung 2). Die Untersuchung des Verlaufs des Reflexionsvermögens einer planetaren Oberfläche, ihrer sogenannte Phasenkurve, macht es möglich, Aussagen über die Materialeigenschaften zu treffen. Ein Beispiel ist der Verwitterungsgrad des 'Regolith' genannten Staubes, der durch Mikrometeoritenbeschuss über viele Millionen Jahre nachdunkelt.
Planetenoberflächen reflektieren das Sonnenlicht ganz unterschiedlich: Bei der Vollmondscheibe, die in einer klaren Nacht extrem hell erscheint, sind es nur 12 Prozent des Sonnenlichts. Wissenschaftler geben diesen Wert, die 'geometrische Albedo', als prozentualen Anteil des Sonnenlichts bei null Grad Phasenwinkel an. Die von der Sonne angestrahlte Mondscheibe steht in starkem Kontrast zum Schwarz des Weltalls. In Wirklichkeit erreicht uns auf der Erde über den "Spiegel" der Mondscheibe nur ein Millionstel des Sonnenlichts, das die Erde direkt erreicht. Bei der Erde beträgt die durchschnittliche Albedo 36,7 Prozent, beim Mars sind es 15 Prozent und beim Marsmond Phobos sind es sogar nur 7 Prozent. Über die Ursache hierfür zerbrechen sich Wissenschaftler seit Jahrzehnten den Kopf. Möglicherweise ist dieser große Helligkeitsunterschied ein Indiz dafür, dass Phobos kein Trümmerteil eines gigantischen Einschlags auf den Mars ist, sondern dass es sich bei dem unförmigen Körper um einen von der Schwerkraft des Planeten eingefangenen Asteroiden handelt.
Seltene Gelegenheiten mit großem Nutzen
Solche Lagekonstellationen zwischen Sonne, Mars Express und Phobos, bei der der Mond bei null Grad Phasenwinkel zu beobachten ist, sind sehr selten (Konstellationen mit Phasenwinkeln kleiner als ein Grad treten etwa drei Mal im Jahr auf). Deshalb nehmen die HRSC-Aufnahmeplaner jede Gelegenheit wahr, diese Aufnahmen zu machen – unabhängig davon, wie groß der Abstand zum Mond ist und auch bei Phasenwinkeln nahe (und nicht gleich) null Grad. Bei der hier gezeigten Aufnahme liegt der geringste Phasenwinkel (das hellste Bild in der Mitte der Animation) bei 0,92 Grad. Die nächsten Gelegenheiten für solche Aufnahmen werden sich erst wieder im April und September 2020 ergeben. Bei letzterem Termin wird sogar eine Beobachtung bei exakt 0,0 Grad in einem Abstand von 2900 Kilometern und einer Auflösung von 120 Metern pro Bildpunkt möglich sein.
Neben der Charakterisierung der Oberfläche und der Erforschung ihrer Herkunft dienen die Aufnahmen der Marsmonde auch zur genauen Bestimmung der Ephemeriden - ihrer Umlaufbahn um den Mars. Dafür werden vor allem Aufnahmen genutzt, auf denen einer der Monde zusammen mit einem anderen Objekt, etwa einem Stern oder einem anderen Planeten, abgebildet ist. Die genaue Position dieser Körper ist nicht zuletzt für Raumfahrtmissionen unabdingbar, die die Monde zum Ziel haben. Derzeit ist eine japanische Mission (MMX – Martian Moons eXploration) in Planung, die die Monde nicht nur beobachten, sondern sogar Proben von einem von ihnen zurück zur Erde transportieren soll. Dazu soll ein vom DLR und der französischen Raumfahrtagentur CNES gemeinsam entwickelter Rover auf einem der Monde landen und die Oberfläche in Vorbereitung für die spätere Probennahme genau charakterisieren. Durchgeführt wird die Mission von der japanischen Raumfahrtagentur JAXA, die den Start derzeit für 2024 plant. Zur Missionsvorbereitung sind die mit der HRSC und dem SRC gewonnenen Erkenntnisse über die Monde unabdingbar.