Erdnaher Asteroid Ryugu: ein fragiler kosmischer 'Schutthaufen'
- Asteroid hat große Ähnlichkeit mit kohlenstoffhaltigen, 4,5 Milliarden Jahre alten Meteoriten in den irdischen Sammlungen.
- Großer Teil von Ryugu von Hohlräumen durchzogen.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Exploration
Im Sommer 2018 bekam der nur 900 Meter große Asteroid Ryugu Besuch von der japanischen Raumsonde Hayabusa2. An Bord: die zehn Kilogramm schwere deutsch-französische Landesonde MASCOT (Mobile Asteroid Surface Scout), nur so groß wie eine Mikrowelle und bestückt mit vier Instrumenten. Am 3. Oktober 2018 wurde MASCOT, gesteuert aus dem Kölner Kontrollzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), aus 41 Metern Höhe von der Muttersonde abgetrennt, berührte nach sechs Minuten zum ersten Mal die Asteroidenoberfläche und kam elf Minuten später wie ein Würfel auf einem Spielbrett in Zeitlupe zum Stillstand. Inmitten von groben Steinblöcken führte MASCOT über 17 Stunden und an verschiedenen Stellen seine Experimente aus. Die Auswertung von Bilddaten der DLR-Kamera MASCam vom Abstieg und auf Ryugus Oberfläche zeigen nun im Detail einen fragilen 'Schutthaufen' aus zwei verschiedenen, fast schwarzen Gesteinstypen mit geringem inneren Zusammenhalt. Das berichten Wissenschaftler um DLR-Planetenforscher Ralf Jaumann in der aktuellen Ausgabe von SCIENCE.
"Würde Ryugu oder ein ähnlicher Asteroid der Erde einmal tatsächlich gefährlich nahe kommen und wir müssten versuchen, ihn abzulenken, dann sollten wir sehr vorsichtig mit ihm umgehen. Denn wenn wir zu fest auf ihn 'draufhauen' zerfällt der ganze, eine halbe Milliarde Tonnen schwere Asteroid in unzählige Bruchstücke. Dann prasseln lauter tonnenschwere Einzelteile auf die Erde", interpretiert Prof. Ralf Jaumann, verantwortlich für das Experiment MASCam (MASCOT Camera), vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof, die Beobachtungen. Der Asteroid hat offensichtlich große Ähnlichkeit mit kohlenstoffhaltigen, 4,5 Milliarden Jahre alten Meteoriten in den irdischen Sammlungen. Mit einer durchschnittlichen Dichte von nur 1,2 Gramm pro Kubikzentimeter ist Ryugu nur wenig 'schwerer' als Wassereis. Da der Asteroid aber aus unzähligen unterschiedlich großen Gesteinsbrocken zusammengefügt ist, bedeutet dies, dass ein großer Teil seines Volumens von Hohlräumen durchzogen sein muss, die den diamantenförmigen Körper vermutlich extrem zerbrechlich machen. Darauf deuten auch Messungen hin, die mit dem DLR-Radiometerexperiment MARA und MASCOT durchgeführt und vor kurzem veröffentlicht wurden.
Wissenschaftler schreiben Raumfahrtgeschichte
"Das sind hochinteressante Ergebnisse, die wir jetzt durch die Auswertung der MASCOT-Experimente sehen. Es ist faszinierend, was diese kleine Hightech-Box in 300 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde auf Ryugu geleistet hat", freut sich Prof. Hansjörg Dittus, DLR-Vorstand für Raumfahrtforschung und -technologie. "Gemeinsam mit unseren japanischen und französischen Kollegen haben wir mit MASCOT ein kleines Kapitel Raumfahrtgeschichte geschrieben."
MASCOT bewegte sich mit einem eingebauten Schwungarm über die Oberfläche. "Nach der Landung und ersten Ruheposition musste MASCOT eine Lagekorrektur durchführen, um die wissenschaftlichen Experimente passend auf die Asteroidenoberfläche auszurichten", erklärt MASCOT-Projektleiterin Dr. Tra-Mi Ho vom Institut für Raumfahrtsysteme. "Danach folgten drei weitere Positionsänderungen mit nachfolgenden Messungen."
Zwei unterschiedliche Gesteinstypen aber kein Staub
Auf den Bildern, die während des Abstiegs von MASCOT und auf der Oberfläche mit der Kamera aufgenommen wurden, sind hauptsächlich dunkle dezimeter- bis metergroße kantige, manchmal aber auch glatte Felsblöcke zu sehen. Felsblöcke mit glatten Bruchflächen und scharfen Kanten sind dabei etwas heller als Brocken mit einer unregelmäßigeren, blumenkohlartigen und teilweise krümeligen Oberfläche. Ryugu reflektiert nur viereinhalb Prozent des Sonnenlichts, vergleichbar mit Holzkohle, und er gehört damit zu den dunkelsten Objekten im Sonnensystem. MASCam konnte sowohl tagsüber, als auch nachts Aufnahmen machen. Dafür war das Kamerasystem mit Leuchtdioden ausgestattet, die ihre unmittelbare Umgebung in verschiedenen, klar definierten Farbwellenlängen im sichtbaren Licht und nahen Infrarot beleuchteten, um das Reflexionsverhalten der Umgebung in unterschiedlichen Spektralkanälen aufzuzeichnen.
Die beiden beobachteten Felstypen sind zu etwa gleichen Teilen auf der Oberfläche auf Ryugu verteilt. Daraus lassen sich zwei mögliche Entstehungsgeschichten ableiten: "Zum einen", erklärt Jaumann, "könnte Ryugu nach der Kollision zweier Körper aus unterschiedlichem Material entstanden sein, die dabei zerbrochen sind und die Bruchstücke sich gravitativ zu einem neuen Körper mit den zwei unterschiedlichen Felssorten zusammengefügt haben. Oder aber Ryugu ist das Überbleibsel eines einzelnen Körpers, in dem es im Inneren Zonen verschiedene Temperatur- und Druckbedingungen gab und so dort zwei Typen von Gesteinen entstanden sind."
Besonders staunten Prof. Ralf Jaumann und sein Team über das Fehlen von Staub: "Die ganze Oberfläche von Ryugu ist von Gesteinsbrocken übersät, aber nirgendwo haben wir Staub entdeckt! Der müsste wegen des Beschusses des Asteroiden durch Mikrometeoriten über Milliarden von Jahren und deren verwitternder Wirkung eigentlich vorhanden sein. Aber er ist entweder in Hohlräumen verschwunden oder bei der geringen Schwerkraft von nur einem Sechzigtausendstel der Erde ins All entwichen. Dies gibt einen Hinweis auf komplexe geophysikalische Prozesse auf der Oberfläche dieses kleinen Asteroiden."
Felsblöcke erinnern an Meteoriten mit Material der stellaren Urwolke
Bisher sahen die MASCOT-Wissenschaftler bei Ryugu eher Ähnlichkeiten mit zwei Meteoriten, die 1969 in Allende (Mexiko) und im australischen Murchison auf die Erde fielen. Diese Meteoriten enthalten jedoch, vermutlich infolge der verwitternden Wirkung von Kristallwasser, kaum helle Einsprengsel. Die jetzt beobachteten hellen Inklusionen lassen die Wissenschaftler nun zu dem Ergebnis kommen, dass die blumenkohlartigen Gesteine von Ryugu mehr Ähnlichkeiten mit Meteoriten vom Tagish-See haben. Am 18. Januar 2000 regneten nach der Explosion einer großen Feuerkugel über Kanada hunderte kleine Meteoriten auf die Erde und zahlreiche Bruchstücke wurden damals auf dem Eis des gefrorenen, namensgebenden Sees gefunden.
Dabei handelt es sich um sehr seltene Steinmeteoriten aus der Klasse der sogenannten CI-Chondriten. Das C steht für das chemische Elements Kohlenstoff, und das 'I' für die Ähnlichkeit mit dem Ivuna Meteoriten aus Tansania. Es sind mit die primitivsten und ältesten Bestandteile des Sonnensystems, Überbleibsel der ersten festen Körper, die in der stellaren Urwolke entstanden sind. Man nimmt an, dass sich aus ihnen die Körper des Sonnensystems entwickelt haben.
Asteroid Ryugu gehört zu den 'Near-Earth Objects' (NEOs), also Asteroiden oder Kometen, die der Erdbahn nahe kommen oder diese schneiden. Sie können manchmal auch auf Kollisionskurs mit der Erde geraten. Die Bahn von Ryugu um die Sonne verläuft nahezu parallel zur Erdbahn und nähert sich dieser – um 5,9 Grad geneigt – bis auf eine Entfernung von etwa 100.000 Kilometer. Allerdings kommt Ryugu dabei nie in unmittelbare Nähe der Erde. Trotzdem sind die Erkenntnisse zu den Eigenschaften von Körpern der Art von Ryugu enorm wichtig für Einschätzungen, wie solchen "Erdbahnkreuzern" im Fall der Fälle begegnet werden könnte.
Vorbereitung auf die Rückkehr zur Erde
Während die Teilmission MASCOT abgeschlossen ist, führte Hayabusa2 zahlreiche weitere, zum Teil einzigartige Manöver durch, kartierte den Asteroiden in hoher Auflösung und nahm durch Berührung der Asteroidenoberfläche mit einem Rohr zur Probennahme Bestandteile von verschiedenen Punkten auf dem urtümlichen Körper auf, die in einem Transportbehälter versiegelt mit der Sonde Ende des Jahres zur Erde zurückfliegen wird, um in einer Landekapsel Ende 2020 zu landen.
Über die Mission Hayabusa2 und MASCOT
Hayabusa2 ist eine Weltraummission der japanischen Raumfahrtagentur JAXA (Japan Aerospace Exploration Agency) zum erdnahen Asteroiden Ryugu. Der deutsch-französische Lander MASCOT an Bord von Hayabusa2 wurde vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in enger Kooperation mit der französischen Raumfahrtagentur CNES (Centre National d'Études Spatiales) entwickelt und gebaut. Die wissenschaftlichen Experimente an Bord von MASCOT sind Beiträge des DLR, des Institut d'Astrophysique Spatiale und der Technischen Universität Braunschweig. Betrieb und Steuerung des MASCOT-Landers und seiner Experimente erfolgten durch das DLR mit Unterstützung der CNES und in kontinuierlichem Austausch mit der JAXA.
Das DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen entwickelte federführend zusammen mit CNES den Lander und testete ihn. Das DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik in Braunschweig war für die stabile Struktur des Landers zuständig. Das DLR Robotik und Mechatronik Zentrum in Oberpfaffenhofen entwickelte den Schwungarm, der MASCOT auf dem Asteroiden hüpfen ließ. Das DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin steuerte die Kamera MASCam und das Radiometer MARA bei. Überwacht und betrieben wurde der Asteroidenlander aus dem MASCOT-Kontrollzentrum im Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) am DLR-Standort Köln.