Reallabor Schorndorf geht zu Ende und zieht positive Bilanz
- Nach rund drei Jahren endet das Forschungsprojekt Reallabor Schorndorf.
- Im Mittelpunkt standen Entwicklung und Erprobung eines flexiblen Bedarfsbussystems gemeinsam mit den Akteuren vor Ort.
- Die Projektergebnisse liefern neue wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis, um zukunftsweisende Mobilitätskonzepte für den öffentlichen Nahverkehr erfolgreich zu gestalten und umzusetzen.
- Schwerpunkt(e): Verkehr, intelligente Mobilität, Digitalisierung
Busfahren nach Bedarf statt nach Fahrplan – im europaweit einmaligen Forschungsprojekt Reallabor Schorndorf haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit den Bürgern der Stadt Schorndorf ein flexibles und bedarfsgerechtes Bussystem entwickelt und in der Praxis getestet. Von März bis Dezember 2018 ersetzte der Bedarfsbus zwei reguläre Buslinien. Neben den bisherigen Haltestellen gab es mehr als 200 potenzielle Ein- und Ausstiegsorte. Für die Nutzerinnen und Nutzer bedeutete das: kürzere Fußwege, neue Direktverbindungen und mehr Flexibilität – gerade auch in Zeiten niedriger Auslastung.
Nach rund drei Jahren endete das Reallabor Schorndorf mit einer öffentlichen Abschlussveranstaltung am 25. Januar 2019. Zu den Partnern der DLR-Verkehrswissenschaftler zählten die Stadt Schorndorf, der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), Knauss Linienbusse, die Hochschule Esslingen sowie das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) der Universität Stuttgart.
"Im Forschungsprojekt Reallabor Schorndorf haben Wissenschaft, Kommune und Unternehmen mit Bürgerinnen und Bürgern Hand in Hand eine wegweisende Lösung für den öffentlichen Nahverkehr erarbeitet. Der flexible Bedarfsbus verknüpft auf intelligente Weise Mobilität und Digitalisierung. Solche Erfolgsbeispiele zeigen deutlich, dass Baden-Württemberg mit dem Modell Reallabor den richtigen Weg eingeschlagen hat: Hier arbeiten Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam an zentralen gesellschaftlichen Fragestellungen und erproben zukunftsweisende Lösungen in der Realität", sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zum Abschluss des Reallabors.
In Baden-Württemberg werden seit 2015 insgesamt 14 Reallabor-Vorhaben mit rund 18 Millionen Euro gefördert. Mit seinen wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen von Weltrang werde Baden-Württemberg die Zukunft der Mobilität entscheidend und nachhaltig prägen, zeigte sich die Ministerin überzeugt.
Auch der Schorndorfer Oberbürgermeister Klopfer erklärte dazu: "Für die Stadt Schorndorf ist ein attraktiver ÖPNV sehr wichtig. Wir haben durch die Realisierung des Reallabor-Projektes in unserer Stadt gezeigt, dass wir innovativen und zukunftsweisenden Projekten offen gegenüberstehen und diese aktiv mitgestalten – gemeinsam mit unseren Bürgerinnen und Bürgern. Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Reallabor-Projekt zeigen konnten, dass die Verknüpfung digitaler Systeme mit einem flexiblen öffentlichem Personennahverkehr funktioniert. Für mich ist das ein wichtiger Schritt Richtung Mobilität der Zukunft."
Die Zahlen: 10.000 Fahrgäste, halbierter Kraftstoffverbrauch, keine Leerfahrten
Während des Projekts haben die Forscherinnen und Forscher eine Vielzahl an Daten und Erfahrungen gesammelt. Deren Auswertung liefert neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wie sich zukunftsweisende Mobilitätskonzepte für den öffentlichen Nahverkehr gestalten und umsetzen lassen.
Insgesamt beförderten die beiden im Projekt eingesetzten Kleinbusse mehr als 10.000 Fahrgäste und legten über 20.000 Kilometer zurück. Durchschnittlich nutzten jedes Wochenende rund 250 Personen das Angebot. Zwei Drittel davon bestellten den Bus mittels Smartphone-App, ein Drittel nutzte den telefonischen Bestellservice. Alle weiteren Optionen – Bestellung über die Website oder in teilnehmenden Geschäften, Restaurants und Cafés – wurden nur selten in Anspruch genommen.
"Der praktische Betrieb des Bedarfsbusses hat sehr gut die Chancen und Herausforderungen eines solchen Systems aufgezeigt", bilanziert die Projektleiterin des Reallabors Schorndorf und DLR-Forscherin Mascha Brost. Im Vergleich zum Liniensystem konnten etwa zehn Prozent der Fahrzeugkilometer und gut 20 Prozent der möglichen Umläufe komplett eingespart werden, weil keine Buchungen vorlagen. Da kleinere Busse im Einsatz waren, ließ sich der Kraftstoffverbrauch um mehr als die Hälfte senken. Gerade das Vermeiden von Leerfahrten haben viele Schorndorferinnen und Schorndorfer in Umfragen sehr positiv bewertet.
Intensive Kommunikation und Begleitung als Erfolgsfaktoren
Bestätigt hat sich auch, dass Entwicklung und Betrieb eines Bedarfsbussystems viel Begleitung und Kommunikation erfordern, um alle Bevölkerungsgruppen mitzunehmen. "Der Bus fährt nur, wann und wo er gebraucht wird – das bietet viel Flexibilität. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Nutzerinnen und Nutzer: Sie müssen selbst aktiv werden, sich informieren und den Bus bestellen", fasst Mascha Brost vom DLR zusammen. Ein besonderer Schwerpunkt lag deshalb auf dem Aspekt der Partizipation. Das Team des Reallabors band Bürgerinnen und Bürger sowie kommunale Gremien intensiv in die Arbeiten ein: mit öffentlichen Informationsveranstaltungen, Befragungen, Testnutzerinnen und Testnutzern, Mobilitätswerkstätten und intensiven Kommunikationsmaßnahmen über den ganzen Projektzeitraum. "Von Beginn an waren die Schorndorferinnen und Schorndorfer Teilhaber und Mitentwickler. Ihr Wissen, ihre Wünsche und Anforderungen flossen in die Gestaltung ein. So konnten wir gemeinsam einen Bedarfsbus entwickeln, der speziell auf die Gegebenheiten vor Ort ausgerichtet war und gleichzeitig Transparenz und Akzeptanz des Vorhabens fördern", beschreibt Projektleiterin Brost. Nutzerbefragungen verzeichneten eine entsprechend positive Entwicklung: Waren im Mai 2018 rund 34 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden mit dem Bedarfsbus, stieg die Zahl im Oktober 2018 auf 50 Prozent. Deutlich zeigte sich bei den Auswertungen ein Generationensplit: Jüngere Nutzerinnen und Nutzer gaben an, mit dem System besser zurecht zu kommen und zufriedener zu sein als ältere.
Visionäre Fahrzeugkonzepte für den Bedarfsbus der Zukunft
Die Entwicklung innovativer Fahrzeugkonzepte war ein weiterer Schwerpunkt im Reallabor Schorndorf. Sie sollen möglichst optimal auf die Anforderungen eines Bedarfsbuskonzepts ausgelegt sein. Größe, Zahl der Sitzplätze, Barrierefreiheit und Innenraumgestaltung flossen dabei genauso in die Überlegungen ein wie Fragen nach Antriebstechnologie, Energieverbrauch und Emissionsausstoß. Die Reallabor-Forscherinnen und -Forscher präsentieren ihre Ideen und Visionen in einer Ausstellung, die im Zuge der Abschlussveranstaltung am 25. Januar 2019 eröffnet wurde. Die Ausstellung im Foyer des Schorndorfer Rathauses steht Besucherinnen und Besuchern bis zum 17. Februar 2019 offen.
Hintergrund: Reallabor Schorndorf
Das "Reallabor Schorndorf: Zukunftsweisender Öffentlicher Verkehr - Bürgerorientierte Optimierung der Leistungsfähigkeit, Effizienz und Attraktivität im Nahverkehr (BOOLEAN)" war eines von sieben Forschungsprojekten, die gefördert vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zukunftsfähige Lösungen für Herausforderungen in Ballungsräume erprobt haben. In den Reallaboren stießen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit Kommunen, Unternehmen und Bürgern Veränderungen in der Stadt an und begleiteten, beobachteten und analysierten diesen Innovationsprozess. Das Reallabor Schorndorf erhielt eine Förderung von rund 1,2 Millionen Euro über die Projektlaufzeit von drei Jahren.