9. Dezember 2019

MOSAiC: DLR unterstützt größte und längste wissenschaftliche Polarexpedition mit Radaraufnahmen aus dem Weltraum

Die Arktis ist besonders vom Klimawandel betroffen. Ändert sich das Zusammenspiel aus Eis, Wasser und Atmosphäre und in der Folge das arktische Ökosystem, so hat dies globale Folgen. Die MOSAiC-Kampagne (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) widmet sich diesen komplexen Zusammenhängen. Es ist die bisher größte Forschungskampagne in der Arktis. 19 Länder beteiligen sind an der Mission. Auch Wissenschaftler des EOC bringen ihre Expertise ein.

Die Forscher des EOC wollen die Analyse der Eigenschaften des Meereises mit satellitengestützten Messungen verbessern. Radarsatelliten können ganzjährig, nahezu unabhängig von Bewölkung und Tageslicht Aufnahmen der Eisschicht liefern. Radar reagiert empfindlich auf Struktur- und Feuchtigkeitsveränderungen im Eis, zeigt Tauprozesse und Spannungsrisse. Da Radar je nach Feuchtigkeitsgehalt unterschiedlich tief in Schnee und Eis eindringt, ist die Analyse komplex und es ist schwierig z.B. Meereisklassen auch unter einer Schneedecke zu unterscheiden.

Die vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) geleitete MOSAiC-Mission bietet hier eine einmalige Möglichkeit: das Forschungsschiff des AWI, die Polarstern, lässt sich im Zuge der Mission neben einer Eisscholle einfrieren und überwintert mit hunderten von Wissenschaftlern an Bord in der Arktis. Diese werden über Monate hinweg auf dem Eis kontinuierlich Bohrkerne gewinnen und die Beschaffenheit der Eisschollen untersuchen.

Am 4. Oktober 2019 (9:30 Uhr Bordzeit) erreicht die Polarstern das Ziel: Die Eisscholle, die wir einige Tage zuvor mit Hilfe des TerraSAR-X-Satelliten ausgewählt hatten
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AWI

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Ausschnitt der ALS-Schnellansichtskarte mit markierten Strukturen und Straßen.
Die rote gestrichelte Linie zeigt die lead/Scherzone an. (Aufnahmedatum: 20. Okt. 2019)
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S. Hendricks, AWI

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Solche In-situ-Daten können dann mit den parallel aufgenommenen, höchstauflösenden Radaraufnahmen des EOC gemeinsam analysiert werden. So besteht die Möglichkeit, einerseits die Wechselwirkung von Radar und Eis besser zu verstehen und andererseits die lokalen Eisbeobachtungen auf die gesamte Arktis zu übertragen. Zusammen mit satellitenbasierten Messungen zur Eisdrift entsteht so ein einzigartiger Datensatz über die jahreszeitlichen Änderungen des Meereises. Die Bildung und das Schmelzen des Eises sind letztendlich verantwortlich dafür, wieviel Strahlungsenergie die Arktis aufnehmen kann. Helles Meereis reflektiert die einstrahlende Sonnenenergie, während dunkles Meerwasser sie größtenteils absorbiert. Je mehr Energie aufgenommen wird, desto höher die Wassertemperatur, was wiederum die Bildung des Eises beeinflusst. Ein Teufelskreis, der besser verstanden werden muss.

Ein Wissenschaftler der Universität Bremen (G. Spreen) interpretiert an Deck der Polarstern ein in Nahe-Echtzeit an das Schiff gesendetes TerraSAR-X-Bild
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S. Hendricks, AWI

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Die Polarstern wird für ein ganzes Jahr im arktischen Meereis eingefroren sein und dabei, in sechs Schichten, insgesamt 600 Menschen beherbergen. Während Wind und Strömungen das Schiff voraussichtlich sehr nahe an den geographischen Nordpol bringen werden, wird die Geschwindigkeit stark variieren. Einzig bewegt durch die Drift des Eises, wird das Schiff etwa 7 km pro Tag zurücklegen. Dieses Vorhaben ist beispiellos. Die Umweltbedingungen, unter denen die Wissenschaftler ihre Messungen durchführen, sind extrem, denn die Sonne wird für mehrere Monate nicht über den Horizont steigen und die Temperaturen können bis unter -45° C fallen. Die meisten Vorgängermissionen untersuchten die Arktis nur im Sommer, wenn die Bedingungen weniger lebensfeindlich, die Instrumente einfacher zu bedienen, das Meereis dünner und der hohe Norden leichter zugänglich sind.

Während die Polarstern nun im gefrorenen Ozean treibt, wird sie aus dem All beobachtet. Die Wissenschaftler des EOC nutzen hierzu Aufnahmen der deutschen Radarsatelliten TerraSAR-X und TanDEM-X. Die Satelliten sind mit einem hochauflösenden Sensor ausgestattet – der einzige Sensortyp, mit dem die Struktur von Eisschollen ermittelt und so die aktuelle Eislage am Schiff eingeschätzt werden kann. Die Bodenstation des EOC in Neustrelitz empfängt und verarbeitet die Daten in Nahe-Echtzeit (Near Real Time, NRT) und sendet die Produkte unmittelbar an den Eisbrecher. Dort werden die Informationen dringend benötigt. Besonders zu Beginn der Expedition galt es mit Hilfe der Radaraufnahmen, eine Eisscholle zu finden, die sowohl dick genug war, schweres Gewicht zu tragen, als auch stabil genug, um vor Eisabbrüchen, der Entstehung von Eisspalten oder Eisgraten sicher zu sein. Am 2. Oktober 2019 war es dann soweit: mit Hilfe der Daten aus dem All, Hubschrauberbeobachtungen und der Unterstützung von Wissenschaftlern und Kapitän an Bord, führten die EOC-Wissenschaftler das Schiff zur idealen Eisscholle. Sie wurde "Fortress“ genannt, weil sie für die kommenden Monate ein sicherer Hafen und Heimat für das Lager der Forscher - einschließlich all ihrer empfindlichen Instrumente - sein soll.

Dort hat das Team mittlerweile in einem Radius von bis zu 50 km um das Schiff herum mehrere Hundert Messinstrumente aufgebaut. Auf dieser Fläche droht Equipment und Mannschaft ständig Gefahr durch das Abbrechen und Abdriften von Eisschollen. Die EOC-Wissenschaftler in Bremen und Neustrelitz überwachen daher Änderungen an „Fortress“ kontinuierlich mit ihren Radaraufnahmen und informieren die Wissenschaftler an Bord der Polarstern über die Eisdynamik und mögliche Gefahren. Tatsächlich brach die Fortress-Scholle bereits während zweier Stürme in zwei große und viele kleinere Teile. Aber dank der kontinuierlichen Überwachung war die genaue Lage des Hauptrisses in der Umgebung des Forschungslagers auf den folgenden Satellitenbildern sofort erkennbar.

TerraSAR-X/TanDEM-X ScanSAR Blick auf die Ziel-Eisscholle ‘Fortress’, Schollenausmaße ca. 1.5 x 2.5 km’.
Derzeit wird ein "Quick-Look"-Produkt innerhalb von 30 - 60 min nach der Bildaufnahme zum Schiff gesendet.

Die EOC-Wissenschaftler werden sich in den kommenden Monaten aber vor allem auch den In-Situ-Daten und luftgestützten Messungen widmen, die während der MOSAiC-Mission gesammelt werden. Diese werden künftig in dem DFG-Projekt ‘MOSAiCMicrowaveRS’ in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Bremen ausgewertet, um die Meereisbeobachtung jenseits großer Forschungsmissionen weiterzuentwickeln.

Das TerraSAR-X-Radar-Satelliten-Bild vom 17. November 2019
zeigt eine große Bruchzone von Norden nach Süden durch unsere Scholle (inkl. der Festung) nach einem starken Sturm.

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