26. April 2020

Trotz Wettereinfluss - Corona-Effekt jetzt unstrittig

Etwa 4 Milliarden Menschen sind durch Lockdown-Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie aktuell betroffen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Beobachtungen des europäischen Satelliten Sentinel-5P global einen starken Rückgang der Luftschadstoffe zeigen. Insbesondere Stickstoffdioxid (NO2) ist ein guter Indikator für die Belastung der Luft durch industrielle Produktion und Straßenverkehr.

Doch das scheinbar Offensichtliche kann täuschen. Tatsächlich zeigen Langzeitanalysen des DLR, dass auch witterungsbedingt die Stickstoffdioxid-Belastungen regional sehr niedrig ausfallen können. Gerade zu Beginn der Corona-Maßnahmen erlebte Europa einen Kaltlufteinbruch, der saubere Polarluft weit in den Süden transportierte.

Tatsächlich erlaubt erst eine kombinierte Betrachtung von Satellitenmessungen, In-situ-Daten und Computermodellierungen einen wissenschaftlich stichhaltigen Beweis des Corona-Effekts.

Die Grafik zeigt die Wochenmittelwerte der Stickoxidbelastung über der Lombardei für den Zeitabschnitt Januar bis April. In Blau die Werte der letzten Wochen, in Rot die Durchschnittswerte der letzten zwölf Jahre. Die rote Fläche visualisiert, wie stark die Werte in den Jahren variierten (Standardabweichung). Ab Anfang März, zeitgleich mit dem Lockdown in Italien, verlässt die blaue Kurve dauerhaft den Schwankungsbereich der langjährigen Vergleichsmessungen. Ab dem 08. März hatte die italienische Regierung in rascher Folge Quarantäne-Maßnahmen beschlossen, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen. Öffentliche Veranstaltungen wurden abgesagt, Kirchen und Museen und wenig später auch Geschäfte und viele Produktionsbetriebe wurden geschlossen.

Die hier zu sehenden Messwerte stammen von dem Sensor GOME-2 an Bord des europäischen Satelliten MetOp-A, der seit vielen Jahren ein globales Bild der Schadstoffverteilung liefert. Der Satellit erfasst dabei nicht nur die Luftschadstoffe am Boden, sondern der gesamten Luftsäule.
In zunehmender Höhe können Winde die Luftschadstoffe rasch verfrachten, verdünnen oder aber auch  Belastungen aus entfernten Regionen hereintragen. Daher ist eine schnelle, zweifelsfreie Bewertung der Messdaten nicht möglich.

Um mögliche Witterungseinflüsse auszuschließen, wurden zusätzlich Daten von 25 lokalen  Bodenstationen aus der Lombardei ausgewertet. Die in der zweiten Grafik dargestellten Werte zeigen die Durchschnittswerte über sechs Jahre. Hier zeigt sich das gleiche Bild wie zuvor. Dennoch ist es immer noch lediglich ein Indiz. Witterungseinflüsse, wie z.B. ein Kaltlufteinbruch oder das Auswaschen der Schadstoffe durch Niederschläge können nicht ausgeschlossen werden.

Abb. 2: Messungen der Umgebungsluft an 25 Bodenstationen in der Lombardei
vom 15.02 bis 15.04 als Mittel über die Jahre 2013 bis 2019 (rote Linie), sowie für das Jahr 2020 (blaue Linie) Die grau schattierte Fläche zeigt die Standardabweichung (Streuung), die hellrote Fläche den minimalen und maximalen Wertebereich der Vorjahre
Credit:

ARPA Lombardia

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Um den Wettereinfluss zu eliminieren haben die EOC-Wissenschaftler im letzten Schritt ein Computermodell genutzt. Dieses Modell kann die chemischen Vorgänge in der Atmosphäre für verschiedene Luftinhaltsstoffe berechnen und berücksichtigt dabei die tatsächlich vorliegenden Wind- und Wetterbedingungen.

Die Wissenschaftler starteten ihre Berechnung mit Schadstoffemissionswerten, die über mehrere Jahre gemittelt wurden und die durchschnittliche Normalsituation abbilden. Damit ist sichergestellt, dass das Modell von den Corona-bedingten Maßnahmen zur Reduktion der Schadstoffemissionen nichts weiß. Es berücksichtigt aber von Stunde zu Stunde die aktuelle Meteorologie. Für jede der 25 betrachteten Bodenstationen wurde so die normalerweise zu erwartende NO2-Konzentration berechnet. Die modellierte Normalsituation wurde dann von den tatsächlichen Bodenmesswerten abgezogen. Und tatsächlich: ab dem 8. März liegen die Werte deutlich im negativen Bereich. Das Modell ohne Corona-Einfluss liefert trotz gleicher Wettervoraussetzung systematisch höhere Verschmutzungen.

Das Herunterfahren des Straßenverkehres und der Wirtschaft haben demnach zu einer Reduktion der NO2-Belastung um etwa 20µg/m³ geführt, was einem Rückgang um 45 Prozent entspricht.

Abb. 3: Differenz zwischen 25 Bodenstationsmessungen der NO2-Konzentration in der Lombardei
vom 15.02 bis 20.04 mit der Simulation des Luftqualitätsmodells POLYPHEMUS/DLR. Ab 8.März ist der Rückgang der NO2-Konzentrationen deutlich ersichtlich.

Die verschiedenen Puzzleteile dieser Analyse – Messungen von Satelliten, Messungen von Bodenstationen und Simulation mit einem Computermodell – ergeben zusammengenommen ein klares Bild: Durch den Lockdown, den die italienische Regierung am 8. März eingeleitet hat, kommt es durch die deutliche Reduktion des Straßenverkehres und der Wirtschaft zu spürbaren Verbesserung der Luftqualität in der Lombardei.

Es zeigt sich, dass die Satellitenmessungen sehr gut zu den bodennah ermittelten Werten und den Modellrechnungen passen. Mit den Satelliten ist es möglich global Aussagen über Schadstoffkonzentrationen zu treffen. Doch während der Einfluss von Corona in der Lombardei wissenschaftlich einwandfrei nachweisbar ist, ist die Situation in anderen Regionen dieser Welt weniger klar. Dort liegen die derzeitigen Messwerte zum Teil innerhalb der Schwankungsbreite der letzten Jahre. Ob dies auf spezielle lokale Witterungsbedingungen oder ein spätes Einsetzen der Lock-down-Maßnahmen zurückzuführen ist, bleibt ohne genaue Analyse unklar. Trotz der hier beschriebenen Unsicherheits-Faktoren, zeigt der globale Vergleich mit dem langjährigen Mittel klare Abweichungen.

Sentinel-5P

Die hier aufgeführten, hochauflösenden Vergleiche basieren, anders als die Langzeitanalysen, auf Daten der Jahre 2019 und 2020 des Copernicus-Satelliten Sentinel-5P (Precursor). Für die Studie wurden über zwei Monate hinweg 1,2 Billionen Einzelmessungen des Sensors TROPOMI mit DLR Retrieval Algorithmen verarbeitet und auf ihre Qualität hin geprüft.

2020 liegen die gemessenen troposphärischen Stickstoffdioxid-Werte (NO2) über Süd-Ost-Asien erheblich unter den Werten im Vorjahr. Der Rückgang von teilweise mehr als 40 Prozent beschränkt sich dabei nicht auf große Städte. Die wetterbedingten täglichen Schwankungen wurden durch die Bildung von Monatsmitteln reduziert.

Asien jeweils Februar 2019 / 2020:

Auch die Konzentrationen über Europa vom 16. März bis zum 15. April 2020 zeigen im Vergleich geringere NO2-Konzentration: z.B. in den Benelux-Ländern, Westdeutschland, Norditalien und im Süden Großbritanniens. Hotspots wie die Poebene, Madrid, Paris, Mailand und Rom verzeichneten einen Rückgang des troposphärischen NO2 um mehr als 40 Prozent.

Europa, Nord- und Südamerika jeweils 16. März bis 15. April 2019 / 2020:

Die Situation in Nordamerika zwischen Mitte März und April 2020 ähnelt der in Europa. Hier liegt die Reduktion des troposphärischen NO2 an der Ostküste und insbesondere in der Region um New York in der Größenordnung von 30 Prozent.

In Südamerika ist ein Rückgang von 50-60 Prozent für Buenos Aires und Sao Paolo sowie von 20-30 Prozent für Guayaquil und Santiago de Chile messbar.

Indien zeigt für Mumbai und Delhi einen Rückgang seit Ende März in einer Größenordnung von 40-60 Prozent.

Die NO2-Reduktion in der Troposphäre in Südafrika beträgt in der Region um Johannesburg sogar mehr als 75 Prozent.

Die am DLR erzeugten TROPOMI NO2-Daten werden unter anderem in dem vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderten Projekts S-VELD genutzt, um den Einfluss von Verkehrsemissionen auf die Luftqualität in Deutschland zu analysieren.

This analysis contains modified Copernicus Sentinel-5 Precursor data (2019-2020) processed by DLR.
The operational GOME-2 data is provided by DLR in the framework of the EUMETSAT AC-SAF project.

Kontakt

Dr. Diego Loyola

Co-Abteilungsleitung (komm.)
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Methodik der Fernerkundung (IMF)
Atmosphärenprozessoren
Oberpfaffenhofen, 82234 Weßling
Tel: +49 8153 28-1367