5. November 2020

90 Kilometer über der Antarktis – niedrigste Temperaturen seit Messbeginn

Seit 2013 betreibt das Earth Observation Center gemeinsam mit dem Alfred-Wegener-Institut in der Antarktis eine Messstation, um in 90 Kilometer Höhe die Temperatur der Atmosphäre zu erfassen. Während an der Erdoberfläche weltweit Rekordwärmen gemessen werden, sind 2020 die Temperaturen hoch über der Antarktis so tief wie noch nie seit Beginn der Messungen. Die EOC-Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang dieser Extremwerte mit dem Klimawandel.

Die Temperaturmessung in der Grenzschicht zwischen Atmosphäre und Weltraum erfolgt über ein Spektrometer. Dieses kann das sehr schwache Leuchten wahrnehmen, das in 90 Kilometer Höhe entsteht. Hydroxyl-Moleküle (OH), eine Verbindung aus atomarem Sauerstoff und atomarem Wasserstoff emittieren hier – für Menschen nicht sichtbar – Infrarot-Strahlung.

Die Wellenlängenzusammensetzung dieser Strahlung im Bereich von ca. 1,5 Mikrometer können die Wissenschaftler wie einen Fingerabdruck lesen. So können sie auf die Spurenstoffkonzentrationen und die Temperatur in diesem Höhenbereich schließen. Das hierfür genutzte GRIPS-Spektrometer (GRound Based Infrared P-Branch Spectrometer) wird vom EOC an mehreren Standorten weltweit eingesetzt. Die Messungen an der Antarktis-Station Neumayer III wurden durch einen, 2013 mit dem Betreiber der Station, dem Alfred-Wegener-Institut (AWI), geschlossenen Kooperationsvertrag möglich. Einmal im Jahr werden die neuen Überwinterer des AWI in Oberpfaffenhofen im Umgang mit dem Instrument geschult, bevor sie in die Antarktis aufbrechen. Die nächtlichen Messungen erfolgen dort alle 15 Sekunden vollautomatisch. Die Messdaten werden unmittelbar nach Oberpfaffenhofen übertragen, automatisch ausgewertet und veröffentlicht.

Die nächtlichen Temperaturmittelwerte (Abbildung 1) zeigen, dass es in 90 Kilometer Höhe im Winter durchschnittlich 50°C wärmer ist als in den Sommermonaten. Im Sommer werden hier Temperaturen von bis zu minus 120°C erreicht – der kälteste Ort der Erde! Die Temperaturen an der Erdoberfläche und in diesem Höhenbereich sind antikorreliert. Im arktischen Sommer, wenn die Sonne rund um die Uhr am Himmel steht, fehlen die Messungen, da das Instrument das schwache Infrarotsignal tagsüber nicht messen kann.

Die Darstellung der jährlichen Temperaturmittelwerte (Abbildung 2) zeigt den Tiefstwert im Jahr 2020 und eine auffällige Abweichung im Jahr 2017. 2017 brach die Temperatur in der Atmosphäre um etwa 4°C bis 5°C ein. Auch an der Erdoberfläche wurden damals außergewöhnliche Anomalien beobachtet: die mittlere Temperatur der Antarktis lag bis zu +1,5°C über dem langjährigen Mittel und in Folge nahm die Ausdehnung des antarktischen Eisschildes massiv ab und schrumpfte um etwa 106 km2 gegenüber dem Vorjahr.

Ein Grund für die beobachtete Abkühlung in den großen Höhen ist das Treibhausgas CO2.  Durch Kollision mit anderen Molekülen nimmt das CO2 Energie auf und strahlt diese in den Weltraum ab. So geht der Atmosphäre hier Energie verloren und die Temperatur sinkt. Ganz anders in der tieferen Atmosphäre. Dort sorgen dreiatomige Moleküle wie CO2 und Methan dafür, dass weniger Wärmestrahlung ins All ausgestrahlt wird und sich die Erde erwärmt. Und doch sind die Prozesse in 90 Kilometer Höhe noch längst nicht vollständig verstanden. So beeinflusst etwa das Zusammenziehen der Atmosphäre in Folge der Abkühlung die Messungen des Spektrometers. Es bleibt noch eine Vielzahl ungelöster Fragestellungen.

Die Atmosphäre ist ein gekoppeltes System. Vorgänge in den verschiedenen Höhenbereichen sind miteinander in Wechselwirkung. Teilweise sind sie jedoch in den oberen Stockwerken der Atmosphäre besser und früher zu beobachten. Die Luftdichte beträgt dort nur noch etwa ein Millionstel derjenigen am Erdboden. Trends in der Temperatur fallen daher in der sogenannten Mesopause viel größer aus und sind damit früher erkennbar.

Das EOC nutzt diese Eigenschaft der Mesosphäre auch für Anwendungen und arbeitet an Verfahren, um dort etwa Tsunamis oder vulkanische Aktivität früher erkennen zu können. Die EOC-Wissenschaftler untersuchen darüber hinaus, ob Zugbahnen von schweren Stürmen mit Hilfe der Mesopause besser vorhergesagt werden könnten und welchen Einfluss der Klimawandel auf die atmosphärischen Strömungen hat. Das globale Netzwerk NDMC, Network for the Detection of Mesospheric Change, zu dem die Messstation in der Antarktis gehört, hilft, Licht in die komplexen Vorgänge im Klimagefüge unseres Erdsystems zu bringen.

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Kontakt

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Michael Bittner

Abteilungsleitung
Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum (DFD)
Atmosphäre
Oberpfaffenhofen, 82234 Weßling
Tel: +49 8153 28-1379