30. Juni 2014

Siedlungsmuster aus dem All

Radarsatelliten erfassen weltweit die Siedlungsflächen in bisher unerreichter Genauigkeit

Wie eine Tuschezeichnung mit mal filigranen, mal kräftigen Linien und Flecken sehen die Bilder aus, die Wissenschaftler des Deutsches Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) des DLR aus den Daten der deutschen Radarsatelliten TerraSAR-X und TanDEM-X berechnet haben. In Wirklichkeit zeigen die schwarz-weißen Karten aus über 500 Kilometern Höhe weltweit Städte, Dörfer und Häusergruppen, die sich an Flussläufen entlangwinden, Straßen und Eisenbahnlinien folgen oder sich in fruchtbaren Gebieten ausbreiten - mit einer Genauigkeit, wie sie bisher für globale Auswertungen nicht erreicht wurde. "Wir gehen davon aus, dass die besiedelte Fläche weltweit größer ist als bisher geschätzt", sagt DFD-Wissenschaftler Dr. Thomas Esch. Bei einer Auflösung der zu Grunde liegenden Radaraufnahmen von drei Metern erkennen die Satelliten selbst einzelne Gebäude aus dem All. 

Stadtbilder von Los Angeles bis Tokio

2008 lebten erstmals mehr Menschen in städtischen als in ländlichen Regionen. Über neun Millionen Einwohner leben in der Metropole Tokio auf engstem Raum, in der gesamten Region sind es über 35 Millionen. Die Natur setzt dabei dem Ausufern der Besiedlung deutliche Grenzen, und so zeigt die Satellitenaufnahme eine Stadt, die kompakt in der Ebene zwischen Meer und Bergen liegt und nahtlos von Tokio in die nächste Metropole Yokohama übergeht. Lediglich einzelne Stränge der Bebauung reichen in die Bergwelt. Los Angeles hingegen setzt sich in seiner Bebauung über die Natur hinweg - Block um Block in der typischen quadratischen Anordnung bedeckt die Landschaft. Nur breite Autobahnen oder Flughafenanlagen bleiben als weiße Korridore sichtbar, weil sie mit ihren glatten Oberflächen die Radarstrahlen kaum zum Satelliten zurückwerfen.
 
"Mit der Radartechnologie und den vollautomatischen Auswerteverfahren erfassen wir die für Siedlungsflächen charakteristischen vertikalen Strukturen und somit vornehmlich die Gebäude", erläutert Thomas Esch vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD). Das können bei der Genauigkeit der Satellitenaufnahmen auch schon einmal Schornsteine, Strommasten oder Verkehrsschilder sein oder auch einzelne gewaltige Bäume in der afrikanischen Landschaft sowie Felstürme in der Wüste. Diese Fehler filtern die Wissenschaftler sorgfältig heraus - übrig bleiben die Siedlungstrukturen, die aus dem Weltall gesehen zu unverwechselbaren "Fußabdrücken" werden.

Netzwerke, Linien und Tupfen

Minneapolis - umgeben von einem Flechtwerk aus einzelnen Tupfen, die die weit auseinanderliegenden Farmhäuser abbilden. Delhi - eine Stadt, die wie eine Nervenzelle ihre Verbindungen zu riesigen Satellitenstädten aufgebaut hat. Paris - großstädtisch im scharf umrissenen Zentrum und umgeben von einem klar abgegrenzten, ländlich besiedelten Gebiet mit Haufen- und Reihendörfern. Viele Städte zeigen ihre ganz eigenen Charakterzüge, wenn sie aus dem Weltall betrachtet werden. Rund um Kairo wachsen die Dörfer immer weiter in das fruchtbare Nil-Delta und den Flusslauf entlang, während die umgebenden Wüstenlandschaften unbesiedelt und leer bleiben. Und Brüssel ist von linienförmigen Straßendörfern umgeben, die sich wie ein Netz um die Verkehrsadern legen. Einige Städte und Siedlungen folgen der Infrastruktur, andere sind der Anlass für deren Entstehung. Manche Städte werden von der Natur begrenzt, manche breiten sich ungehemmt und ohne Hindernisse aus. Oftmals spiegeln die Siedlungsmuster und -formen die Kulturgeschichte eines Landes wider, so zum Beispiel in den weitläufigen Gebieten der USA, in denen Farmer große quadratisch zugeschnittene Ländereien erwerben konnten - und ihre Farmhäuser weit voneinander entfernt errichteten.
 
Innerhalb von zwei Jahren deckten die beiden Radarsatelliten TerraSAR-X und TanDEM-X bei ihren Überflügen die gesamte Landoberfläche der Erde ab. Dies war nur möglich, da das Satellitengespann auch durch Wolken hindurch und selbst nachts Daten aufzeichnen kann. "Dies ist ein entscheidender Vorteil der Radartechnologie gegenüber optischen Satelliten", sagt DFD-Wissenschaftler Thomas Esch. "Globale Aufnahmen müssen hier erst langwierig aus wolkenfreien Szenen zusammengesetzt werden". Die Aufgabe der Wissenschaftler bestand darin, die automatische Auswertung der Bilddaten so zu justieren, dass Strukturen wie Bäume oder Laternenpfosten nicht erfasst, einzelne Häuser jedoch erkannt werden. Als Resultat entstanden Karten, die mit einer Auflösung von zwölf Metern die urbanen Strukturen und somit den Anteil von besiedelten Flächen, die räumliche Verteilung der Bevölkerung und die Anordnung von ländlichen und städtischen Gebieten zeigen.

Exakte Daten für die Wissenschaft

Insgesamt 180 000 Einzelaufnahmen und 308 Terabyte an Daten hat das Forscher-Team für die exakten "Global Urban Footprints" verarbeitet und ausgewertet. "Bisher gibt es keine andere globale Erfassung von Siedlungsstrukturen in dieser räumlichen Genauigkeit", betont Thomas Esch. Kleinere Dörfer sind bislang bei weltumspannenden Auswertungen nie erfasst worden, denn die eingesetzten Satelliten boten eine Auflösung von maximal 300 Metern. Dabei sind kleinteilige Strukturen sehr wichtig, da die zunehmende Zersiedelung in ländlichen Räumen fruchtbare Ackerflächen und Naturräume zerstört. Nach bisherigen Schätzungen sind etwa ein bis drei Prozent der Landoberfläche von Siedlungen bedeckt. Die ersten Ergebnisse der Radardaten-Auswertung zeigen jedoch, dass der Anteil der besiedelten Flächen vielfach unterschätzt wird. "Das mögen zwar nur geringfügige prozentuale Unterschiede sein, die in der Tat aber  erheblich sind, wenn man sich die enormen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Siedlungen, vor allem der städtischen Ballungszentren, vor Augen führt", sagt Thomas Esch.

Bereits ab Ende 2014 sollen die "Global Urban Footprints" Wissenschaftlern zur Verfügung stehen, beispielsweise als Basis für exaktere Modellierungen des Klimas, genauere Risikoanalysen in Erdbeben- oder Tsunamigebieten oder verbesserte Beobachtung des menschlichen Einflusses auf Ökosysteme. "Der neue Datensatz hilft somit, gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel, Verstädterung und Bevölkerungsexplosion besser zu verstehen und angemessen auf diese Entwicklungen reagieren zu können."