15. November 2012

"Monsterwellen" in der Nordsee

Rund zwei Schiffe pro Woche sind weltweit in den letzten Jahren wegen schlechten Wetters verloren gegangen. In vielen Fällen sind sie vermutlich "Monsterwellen" zum Opfer gefallen. Dies sind einzelne Wellen von außergewöhnlicher Höhe oder abnormaler Form, denen die Konstruktion der Schiffe kaum etwas entgegenzusetzen haben. Die Existenz der Monsterwellen wurde lange Zeit bezweifelt. Allerdings zeigen die neuesten Fernerkundungsdaten und kontinuierlichen Beobachtungen an Offshore-Plattformen viele Fälle von solchen extremen Ereignissen auf offener See. Forschungsarbeiten am Earth Observation Center des DLR helfen, das Phänomen besser zu verstehen.

Forscher des EOC zeigten, dass in der Nordsee Wellengruppen mit einer abnormalen Höhe mit atmosphärischen Effekten verbunden sind. Systeme von Windböen mit einer Ausdehnung von etwa 30 Kilometer und mehr können einzelne Gruppen von sehr hohen und langen Wellen verursachen. Dafür müssen sich die Böen ähnlich schnell wie die langen Ozeanwellen über die Nordsee bewegen. So führt der Wind den Wellen kontinuierlich Energie zu und lässt sie stetig wachsen. Die verantwortlichen Windböen gehen einher mit charakteristischen Wolkenformationen.

Während die Wolkenformationen mit Hilfe optischer Satellitensensoren vermessen werden können, wird der oberflächennahe Wind mit Mikrowellen (Synthetisches Apertur Radar, SAR) bestimmt. Das am EOC entwickelten Verfahren nutzt die Rauheit der Meeresoberfläche, um die Windgeschwindigkeit abzuleiten. Über Sturmgebieten, in denen extrem hohen Einzelwellen auftraten, zeigten Satellitenaufnahmen im thermalen Infrarot und im sichtbaren Spektralbereich auffällige, ringförmige, 30 bis 90 Kilometer große Wolkenformationen. Diese „offenen Zellen“ entstehen im Zuge von Kaltluftausbrüchen aus dem Norden über der relativ warmen Nordsee. SAR-Messungen belegen, dass die offenen Zellen an der Meeresoberfläche eine lokale Erhöhung des Windes verursachen. Der stärkste Windanstieg tritt entlang ihrer Vorderkante auf. Die Wissenschaftler verglichen die Daten zweier Radarsatelliten in einem Zeitabstand von 30 Minuten und konnten so auch die permanente Bewegung der offenen Zellen mit den Böensysteme zeigen und ihre Geschwindigkeit abschätzen. Anhand der Erdbeobachtungsdaten konnten sie nachweisen, dass die offenen Zellen sich als organisiertes System ungefähr mit der Geschwindigkeit der langen Ozeanwellen ausbreiten. In den heutigen Wettervorhersagen sind offene Zellen und zugehörige Böen noch nicht enthalten. Daher können die daraus entstehenden Monsterwellen nicht vorhergesagt werden. Eine sehr kurzfristige Warnung ist nunmehr möglich, wenn das Windfeld der offenen Zellen in die Routinevorhersage übernommen wird, sobald die Zellen im Satellitenbild in der nördlichen Nordsee gesichtet werden.

Das Forscherteam des EOC arbeitet daher an einer Lösung, wie zukünftig vor solchen Extremwellen gewarnt werden kann. Sie simulierten den Sturm Britta vom November 2006 am Computer. Damals beschädigten Extremwellen das Deck der Forschungsplattform FiNO-1 in 18 Meter Höhe. Für die Simulation im numerischen, spektralen Seegangsmodell wurden die Windfelder aus einem herkömmlichen atmosphärischen Modell durch Böenmessungen, die aus SAR-Daten gewonnen wurden, modifiziert. Die Simulationen zeigten, dass eine einzelne wandernde „offene Zelle“ einen lokalen Anstieg der signifikanten Wellenhöhe von etwa 3 m verursacht. Eine Gruppe von Zellen dagegen führt zu einer lokalen Erhöhung der signifikanten Wellenhöhe um bis zu 6 m. Dabei ergab sich eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Gruppe extremer Wellen mit einer Wellenlänge von ca. 400 m. Eine solche Gruppe sollte in einem schmalem Streifen von etwa 2,5 km auftreten und im Fußabdruck einer Zelle an einer festen Position (z.B. einer Plattform) nur während eines kurzen Zeitfensters von etwa 10 - 20 min (beim Passieren der Zelle) beobachtet werden. Dies entspricht genau den Beobachtungen während des Sturms „Britta“.

In Zukunft könnten dank dieser Forschungsergebnisse Frühwarnsysteme entstehen, die vor Monsterwellen warnen und so helfen, Schiffsunfälle und Schäden an Plattformen oder Offshore Windanlagen zu vermeiden oder zu verringern.

Vertiefende Informationen zu dem Thema finden Sie in der Veröffentlichung "Sturmbeobachtungen durch Fernerkundung und Einfluss von Windböen auf Seegang und Generierung der Monsterwellen" von A. Pleskachevsky, S. Lehner und W. Rosenthal, sowie in "Synergetische Nutzung von Radar-und optischen Satellitenbildern zur Vorhersage schwerer Stürme für die Sicherheit der Offshore Windparks" von S. Brusch, S. Lehner und J. Schulz-Stellenfleth (als Download in der rechten Marginalspalte).

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