Messung der Geschwindigkeit des Dendritenwachstums in Abhängigkeit von der Unterkühlung einer Al85Ni15-Legierung bei reduzierter Schwerkraft
Die Erstarrungsgeschwindigkeit wird durch die Unterkühlung der Schmelze bestimmt. Bei geringer Unterkühlung erfolgt die Erstarrung unter nahezu gleichgewichtigen Bedingungen, was einen einzigartigen Erstarrungsweg für eine stabile feste Phase darstellt. Wenn die Unterkühlung zunimmt, befindet sich die Schmelze in einem Zustand erhöhter freier Gibbs-Energie, was eine Vielzahl von Erstarrungspfaden für metastabile Feststoffe eröffnet, deren physikalische und chemische Eigenschaften sich von denen ihrer stabilen Gegenstücke unterscheiden können.
Die Phasenselektion in tief unterkühlten Schmelzen kann variabel sein und spielt eine wichtige Rolle bei der Nicht-Gleichgewichtserstarrung. Offensichtlich zeigen verschiedene Phasen unterschiedliche Kinetiken des Dendritenwachstums. Der vorliegende Vorschlag ist durch die Tatsache motiviert, dass Al-Ni-Legierungen mit abnehmendem Ni-Gehalt, d.h. im Bereich von 25-45 at. % Ni, ein anomales Erstarrungsverhalten aufweisen: Die Geschwindigkeit der Fest-Flüssig-Grenzfläche verlangsamt sich mit zunehmender Unterkühlung, was dem Zusammentreffen von Keimbildung und Wachstum entspricht. Da Al-Ni derzeit das einzige Legierungssystem ist, das Wachstumsanomalien aufweist, besteht nun die Möglichkeit, die zugrundeliegenden Mechanismen zu identifizieren und zu verstehen und qualitativ neue Erkenntnisse über den Phasenumwandlungsprozess zu gewinnen.
Die Untersuchung der Al-15 at. % Ni-Legierung ist der nächste entscheidende Schritt, da die primäre Erstarrungsphase die Al3Ni-Phase oder Al-fcc sein dürfte. Von dieser Legierung werden Informationen über die Wachstumsgeschwindigkeit, die Keimbildungsstatistik und die thermophysikalischen Eigenschaften von Al3Ni und Al-fcc erwartet. Der vorliegende Vorschlag wird als Fortsetzung unserer früheren Arbeiten betrachtet, um (i) die Grenzen der physikalischen Gründe für das anomale Erstarrungsverhalten zu ermitteln und (ii) eine direkte Anwendung dieser Legierungsklasse in der modernen Industrie zu ermöglichen, d. h., bei der Anwendung moderner additiver Technologien, z. B. bei der Technik des selektiven Laserschmelzens, die an der Fakultät für Physik und Astronomie der Universität Jena und am Otto-Schott-Institut für Materialforschung durchgeführt wird; bei der Erlangung einer Gefügeausbildung in Al-Ni-Legierungen, die intermetallische Phasen enthalten und als Werkstoffe mit erhöhten mechanischen Eigenschaften sowie als Kontaktwerkstoffe zum Schalten hoher Ströme verwendet werden.
Zur Durchführung der Tests setzen wir die elektromagnetische Levitation im TEMPUS-Gerät ein. Behälterlose Verfahren sind sehr effektiv bei der Erzeugung einer hohen Unterkühlung, da eine heterogene Keimbildung an der Behälterwand vermieden werden kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass die frei levitierten Tropfen für eine direkte Untersuchung der Eigenschaften unterkühlter Flüssigkeiten und des Erstarrungsprozesses zugänglich sind. Der Erstarrungsprozess wird durch den Wärme- und Stofftransport in der Flüssigkeit gesteuert, der wiederum stark von der Konvektion beeinflusst wird.
Vergleichende Experimente am Boden und unter reduzierter Schwerkraft bieten den Vorteil, dass zwischen den Auswirkungen der Konvektion unterschieden werden kann. Aus den Hochgeschwindigkeitsvideos lässt sich daher die Erstarrungsgeschwindigkeit bestimmen, und im Falle von Infrarotaufnahmen kann auch die Wärmeverteilung auf der Probenoberfläche ermittelt werden. Diese Informationen werden dann genutzt, um theoretische Modelle zur Vorhersage der Erstarrungskinetik zu validieren. Mit Hilfe der Rasterelektronenmikroskopie und der Transmissionselektronenmikroskopie werden die Mikrostruktur und die Verteilung der Zusammensetzung der festen Proben untersucht. Ziel ist es, dieErstarrungssequenz der verschiedenen Phasen und den Zusammenhang zwischen dem Einschluss gelöster Stoffe und der Unterkühlung genau zu verstehen.
Die Experimente werden im Rahmen des Projektes „Non-equilibrium solidification, modeling for microstructure engineering of industrial alloys“ unter der Vertragsnummer AO-2009-0829 durch ESA gefördert.