Automatisierten Straßengüterverkehr neu denken - Speditionen brauchen fahrerlose Lkw
- Ergebnisse der ATLaS-Studie der TU Hamburg und des DLR zeigen, dass ein hoher Bedarf für den Einsatz von automatisierten und vernetzten Lkw besteht - jedoch für fahrerlose Fahrzeuge.
- Damit ändern sich auch die Anforderungen an das sogenannte Platooning, also das elektronische Koppeln von Lkw, die dann in engen Abständen hintereinander fahren können.
- Es ist für Logistikunternehmen dann interessant, wenn nur ein Fahrer den Platoon steuert und damit Lastspitzen bedient werden können.
- Basierend auf den Ergebnissen der Studie entwarfen die Forscher Szenarien für den Einsatz von vollautomatisierten Lkw im Güterverkehr.
- Schwerpunkt(e): Digitalisierung, Automatisierung, Verkehr, Vernetzung
Wenn es nach den Logistik- und Speditionsunternehmen geht, kann der fahrerlose, vernetzte Lkw auf Deutschlands Straßen bald Realität werden. Soll diese neue Technologie im Güterverkehr Einzug halten, ist es allerdings dringend notwendig, hierfür die Weichen zu stellen - das heißt die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie mögliche Infrastrukturinvestitionen in die Wege zu leiten. Dies zeigen Ergebnisse des Projektes ATLaS (Automatisiertes und vernetztes Fahren in der Logistik - Chancen für mehr Wertschöpfung) der TU Hamburg und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Transportunternehmen favorisieren fahrerlose Lkw
"Wir müssen die Nutzerperspektive unbedingt verstärkt in die Technologieentwicklung mit einbinden", sagt Dr. Stephan Müller vom DLR-Institut für Verkehrsforschung. "Im Moment besteht noch eine Diskrepanz zwischen der Vision der Nutzer und den Fahrzeugen, die von den Entwicklern auf den Teststrecken demonstriert werden. In letzter Zeit sehen wir aber, wie sich führende Entwickler zunehmend den Herausforderungen von hochautomatisierten Lkw stellen. Dass dies in der Tat der nutzerorientierte Weg ist, zeigen auch unsere Forschungen."
Im Projekt befragten die Wissenschaftler Führungskräfte von Logistikunternehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass die künftigen Nutzer von automatisierten Lkw kein teilautomatisiertes Fahrzeug wollen, bei dem das Führerhaus als "mobiles Büro" fungiert und der Fahrer während der Fahrt noch Aufgaben, beispielsweise administrativer Art, ausführen kann. Dagegen sprechen der akute Fahrermangel bei den Logistik- und Speditionsunternehmen, die verhältnismäßig hohen und ansteigenden Kosten für die Fahraufgabe und der Bedarf an effizienten Prozessen in einer ohnehin bereits hochautomatisierten Logistikwelt. Vielmehr benötigen die Unternehmen ein vollautomatisiertes Transportmittel ohne Fahrer.
Platoons könnten Lastspitzen abfangen
Damit verändert sich auch die Bedeutung des sogenannten "Platooning" der Lkw. Platooning bedeutet, dass mehrere Fahrzeuge mit jeweils einem Fahrer im Fahrzeug in sehr geringen Abständen von etwa zehn Metern hintereinander fahren. Damit wird Treibstoff gespart und der Fahrer wird entlastet. Für die Logistikunternehmen würde sich dieses Szenario jedoch nur dann lohnen, wenn tatsächlich nur ein Fahrer den kompletten Zug steuert. Diese Transportmöglichkeit ist allerdings nur dann interessant, wenn es darum geht, Lastspitzen abzufangen. Neben dieser betriebswirtschaftlichen Perspektive der Logistiker gibt es ein weiteres gewichtiges Argument gegen ein großflächiges Platooning: "Die Produktionsprozesse der Kunden von Logistikunternehmen sind heute auf die Lkw-Größe abgestimmt. Es nützt wenig, wenn auf einmal vier oder sechs Lkw gleichzeitig an der Rampe auf dem Industriehof stehen. Das überfordert die vorgehaltenen Lagerkapazitäten und den Produktionsprozess", berichtet Stephan Müller aus den Interviews mit den Unternehmen.
Autobahnen als rentables Einsatzgebiet für automatisierten Güterverkehr
Als Einsatzgebiete für vollautomatisierte, vernetzte Lkw sehen die Wissenschaftler die Autobahnstrecken im sogenannten Systemverkehr zwischen Depots und Logistikzentren oder deren Autobahn-Zufahrtsstrecke. Hier ist der Transport in hohem Maße standardisiert und bietet sich deswegen für die Einführung der neuen Technologie an: Die Waren werden täglich zwischen den Depots und Lagern transportiert und gelangen typischerweise innerhalb von 24 Stunden vom Versender zum Empfänger. Die Lohnkosten für die Fahrer machen dabei etwa 30 bis 40 Prozent der Transportkosten aus. Während im Systemverkehr mit Serviceleistungen durch den Fahrer beim Kunden kaum Geld verdient werden kann, sind diese auf der ersten und der letzten Meile sehr lukrativ für Logistikunternehmen. Deshalb und weil die Fahrten dort weniger standardisiert ablaufen, haben automatisierte und vernetzte Lkw auf diesen Strecken mittelfristig geringe Durchsetzungschancen.
Zukunftsszenarien für den Einsatz von fahrerlosen Lkw
Das Projektteam ist noch einen Schritt weiter gegangen: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich auch mit der Frage beschäftigt, wie verschiedene Szenarien aussehen können, bei denen vollautomatisierte Lkw auf Deutschlands Straßen unterwegs sind. In einem ersten Szenario wurde unterstellt, dass nur auf Autobahnen automatisch gefahren werden darf. Für den Anfahrtsweg vom Depot zur Autobahn würden immer noch bemannte Lkw eingesetzt. Damit sind spezielle Flächen an der Autobahn nötig, auf denen die Fahrer die Fahrzeuge abstellen. Von dort startet dann die automatische Fahrt auf der Autobahn. Um diese Flächen zu bauen, sind entsprechende Infrastruktur-Investitionen notwendig. Gleichzeitig würden jedoch Lkw-Parkflächen entlang der Autobahn wegen der wegfallenden Lenkzeitenregelung nicht mehr benötigt und könnten nachfragegerecht zurückgebaut werden.
Im zweiten Szenario werden die fahrerlosen Fahrzeuge auch auf der Anfahrtsstrecke zwischen Depot und Autobahn eingesetzt. Spezielle Umschlagflächen sind hier nicht mehr notwendig. Im Hinblick auf die Bedürfnisse der Nutzer sieht Stephan Müller dringenden Handlungsbedarf: "Wenn wir den Aufwand für die Infrastrukturinvestitionen vermeiden möchten, müssen wir deutlich anders denken. Wir müssen uns fragen, wo außer auf der Autobahn können fahrerlose Fahrzeuge noch unterwegs sein. Außerdem müssen die Rahmenbedingungen zum fahrerlosen Fahren geklärt werden." Wer darf ein solches Fahrzeug beispielsweise für eine Kontrolle anhalten? Wer hat Zugriff auf die Daten? Oder wie werden die Daten geschützt? Dies sind für Müller wichtige Fragen, wenn automatisiertes und vernetztes Fahren Realität werden soll. Es sei wichtig, dass für die Branche klare Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Das Forschungsprojekt ATLaS
Im Projekt ATLaS untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Hamburg und des DLR, wo Unternehmen, die im Güterverkehr aktiv sind, Chancen für mehr Wertschöpfung durch Digitalisierung und Automatisierung sehen. ATLaS wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. Das Projekt ist im November 2017 gestartet und endet im Juni 2019. In einem ersten Schritt haben die Forscher verschiedene Akteure in der Logistikbranche befragt. Dabei wurden sie vom LogistikNetz Berlin Brandenburg e.V. unterstützt. Die Wissenschaftler untersuchten, welches Level der Automatisierung von den Nutzern favorisiert wird, welche Triebkräfte oder Hürden sie für den Einsatz von automatisierten Technologien im Güterverkehr sehen und welche Eckpfeiler und Rahmenbedingungen relevant sind. Darüber hinaus werden im Projekt auch die Wirkungen von verschiedenen Szenarien des automatisierten und vernetzten Fahrens untersucht und entsprechende Handlungsempfehlungen erarbeitet.