Abteilung Lastanalyse und Entwurf
Die Abteilung Lastanalyse und Entwurf befasst sich mit Fragestellungen, die sich im Rahmen des Entwurfs von Flugzeugen hinsichtlich aeroelastischer Eigenschaften bzw. aeroelastischer Erfordernisse ergeben.
TU Berlin, FMRA
TU Berlin, FMRA
Das Fachgebiet für Flugmechanik, Flugregelung und Aeroelastizität (FMRA) der Technischen Universität Berlin entwickelt einen unbemannten Flugversuchsträger mit hochflexiblen Tragflächen hoher Streckung, TU-Flex. Das DLR-Institut für Aeroelastik unterstützt die Entwicklung des Flugzeuges durch Simulations- und experimentelle Aktivitäten. Ein Flügel des Flugzeuges im Maßstab 1:1, aufgebaut in Faserverbundbauweise und ausgelegt für hohe Deformationen, wurde im Seitenwindkanal Göttingen stationär und instationär getestet.
In diesem Artikel werden neben den Windkanalversuchen zu Beginn die theoretischen Hintergründe eines Flügels hoher Streckung sowie seine Besonderheiten beim Einsatz an modernen Transportflugzeug erläutert.
Hintergrund des Projektes, das u. a. über die Luftfahrtforschungsprogramme der deutschen Bundesregierung (LuFo Klima) gefördert wird, ist die akut notwendige Reduktion von klimaschädlichen Emissionen neuer Luftfahrzeuge, insbesondere für den Passagiertransport. Diese Reduktion geht einher mit effizienteren Triebwerken, leichteren Strukturen und vor allem aerodynamisch deutlich gesteigerter Leistung durch niedrigeren Gesamtwiderstand.
Diese Einflussfaktoren lassen sich sehr gut in der Breguet‘ schen Reichweitenformel erkennen, mit der die Reichweite von motorisierten Flugzeugen abgeschätzt werden kann:
Wikipedia
Eine große Reichweite ist gleichzusetzen mit einer großen Effizienz des Flugzeuges bzw. geringeren Emissionen. In dieser Formel bedeuten V die Fluggeschwindigkeit, e der spezifische Brennstoffverbrauch und g die Gravitationskonstante. Der erste Term kann folglich erhöht werden durch Erhöhung der Fluggeschwindigkeit oder Erniedrigung des spezifischen Brennstoffverbrauchs (effizienteres Triebwerk mit hohem Nebenstromverhältnis). Der Ausdruck In (mStart / mEnde) ist das (logarithmische) Massenverhältnis von Start und Landung (die Differenz ist die Brennstoffmasse), zur Erhöhung muss die Leermasse des Flugzeuges also so klein wie möglich gehalten werden, was durch Leichtbau mit entsprechenden Materialien (bspw. Faserverbundwerkstoffen) erreicht werden kann. Schließlich bezeichnet L / D die sog. Gleitzahl des Flugzeuges (Lift over Drag), sie ist eine rein aerodynamische Größe und gibt an, wie weit ein Flugzeug bei vorgegebener Höhe gleiten kann, also wie widerstandsarm vor allem die Tragflügel sind (ein typischer Wert eines modernen Transportflugzeuges ist 18). Die größten Steigerungen der Leistung bzw. der Reichweite lassen sich bei Transportflugzeugen mit klassischem Design fast ausschließlich durch eine Erhöhung der Gleitzahl erreichen. Da der Auftrieb (Lift) aber von der Flugzeugmasse abhängt und fest vorgegeben ist, muss der aerodynamische Widerstand gesenkt werden. Der Widerstand setzt sich aus zwei Hauptkomponenten zusammen, dem Reibungswiderstand (die Grenzschicht der Luft reibt an der Oberfläche des Flugzeuges), und dem sog. induzierten Widerstand. Der erste Anteil kann dadurch reduziert werden, dass ein Großteil des Flügels (etwa die Hälfte von der Nasen- bis zur Endleiste) laminar umströmt wird – die technische Realisierung eines solchen Laminarflügels ist bei Transportflugzeugen jedoch äußerst anspruchsvoll. Der zweite Anteil, der induzierte Widerstand, ist abhängig von der Bauform des Flügels. Er wird reduziert, wenn der Tragflügel ein hohes Streckungsverhältnis Λ besitzt. Es ist definiert als:
Λ = b2 / F
Hierbei bedeuten b2 das Quadrat der Spannweite des Tragflügels und F dessen Flächeninhalt. Folglich erfordert eine Erhöhung des Streckungsverhältnisses einen schlanken Flügel. Segelflugzeuge beispielsweise weisen sehr hohe Gleitzahlen auf (bis ca. 60), was nur durch ihre charakteristischen, schlanken Tragflügel möglich ist. Bei älteren Transportflugzeugen (bspw. Airbus A300) finden sich Werte von knapp unter 8, moderne Langstreckenflugzeuge (bspw. Airbus A350) wurden mit Flügeln mit einem Streckungsverhältnis von ca. 10 entwickelt.
Aktuell wird im Rahmen verschiedener DLR-Projekte – auch in Zusammenarbeit mit der europäischen Flugzeugindustrie – die Machbarkeit von Flugzeugen mit Streckungsverhältnissen von über 15 untersucht.
Wie in einem vorherigen Fachartikel beschrieben ist, geht die Entwicklung von Tragflügeln hoher Streckung mit großen technischen Schwierigkeiten einher. Das Problem ist in erster Linie die – bei in etwa gleichem Materialeinsatz – deutlich erhöhte strukturelle Flexibilität, bereits im Reiseflug biegen sich die Tragflächen deutlich stärker nach oben. Soll die Flexibilität zur Reduktion dieser Deformationen reduziert werden, muss der Flügel schwerer gebaut werden; mit Blick auf die oben vorgestellte Breguet’ sche Reichweitenformel muss folglich ein Kompromiss zwischen (zulässiger) Deformation des Flügels im Flug und Massenzunahme gefunden werden, was umfangreiche aeroelastische Analysen im Vorentwurf des Flugzeuges nötig macht. Insbesondere die aeroelastischen Charakteristiken von Tragflügeln hoher Streckung sind seit einigen Jahren Gegenstand umfangreicher Untersuchungen.
Ein weiteres Problem von Flugzeugen mit Flügeln hoher Streckung sind deren spezifische flugmechanische Eigenschaften. Insbesondere müssen die Disziplinen Aerodynamik, Strukturdynamik, und Flugmechanik nicht nur für sich alleine, sondern besonders deren gegenseitige Beeinflussungen beachtet werden. Beispielsweise müssen für die klassischen flugmechanischen Betrachtungsweisen die meist linearisierten Faktoren (Beiwerte), die für die Ermittlung der flugmechanischen Stabilität und Steuerbarkeit des Flugzeuges verwendet werden, aufwendig für die verschiedenen Flugzustände (z. B. Reiseflug, Kurvenflug oder Böen) des Flugzeuges ermittelt werden, insbesondere wird die strukturelle Flexibilität des (hochgestreckten) Flügels zu einem wichtigen Parameter. Neuere und genauere Analyseverfahren für die Flugmechanik und Aeroelastik, die für zukünftige Flugzeuggenerationen notwendig werden (es ist anzunehmen, dass insbesondere Transportflugzeuge der kommenden Generationen nicht ohne hochgestreckte Flügel auskommen werden) formulieren die Abhängigkeiten der Disziplinen von vornherein in Form nichtlinearer Zusammenhänge und Gleichungen. Dies ist eines der aktuellen Forschungsthemen des FMRA an der TU Berlin. Der Flugversuchsträger TU-Flex wurde genau hierfür konzipiert, denn er besitzt einen hochgestreckten Flügel hoher Flexibilität, dessen niedrigste strukturelle Eigenfrequenzen bereits in der Nähe von flugmechanischen Eigenfrequenzen (Anstellwinkelschwingung und Taumelschwingung) liegen. Somit tritt im Flug eine Kopplung von Flugmechanik und Aeroelastik auf. Eine derartige Auslegung würde bei einem konventionellen Transportflugzeug mit verhältnismäßig hoher Steifigkeit des Flügels nicht auftreten, aber bei TU-Flex wird sie bewusst in Kauf genommen. Denn für eine dynamische Analyse zur Vorhersage oder zum Ausschließen dieser Kopplungen sind Simulationsmodelle notwendig, die die korrekte Interaktion zwischen Flugmechanik und Aeroelastik auch mit nichtlinearen Effekten beinhalten. Mit modernen Flugregelungsverfahren, die ebenfalls am FMRA der TU Berlin entwickelt werden, sollen eine Entkopplung der flugmechanischen und elastischen Schwingungen sowie weitere Funktionen der Bahn- und aeroelastischen Regelung im Flugversuch demonstriert werden, um letztlich einem Flugzeug mit hochgestrecktem Flügel in puncto Steuerbarkeit zum Durchbruch zu verhelfen.
Trotz genauer Analysemethoden und den Möglichkeiten, die die numerische Simulation bietet, müssen die Ergebnisse des Flugzeugentwurfes kritisch verifiziert werden; dies gilt umso mehr für hochflexible Konfigurationen, für die bis heute deutlich weniger Erfahrungen für die Auslegung vorliegen. Typischerweise werden zur Minimierung des Risikos im Entwurf bereits verschiedene Komponenten des Flugzeuges – in erster Linie die Tragflügel – im Windkanal getestet. Dieses Vorgehen wurde ebenso für den Flügel des TU-Flex Flugversuchsträgers gewählt. Im Anschluss an den umfangreichen Entwicklungsprozess des Flügels (strukturelle Auslegung und Optimierung) wurde ein Flügel gebaut, mit aufwendiger Sensorik ausgestattet, und im Seitenwindkanal Göttingen (SWG) des DLR Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik am DLR Standort Göttingen sowohl stationär als auch instationär bei verschiedenen Windgeschwindigkeiten und Anstellwinkeln getestet. Der Windkanalflügel ist dabei nicht skaliert, sondern im Maßstab 1:1 gebaut (die Spannweite beträgt 1,8 m), wodurch exakt die Geschwindigkeiten und Parameter der Luft (Dichte, Druck, Temperatur) im Windkanal eingestellt werden können, wie sie auch im späteren Flugbetrieb von TU-Flex herrschen. Das Modell wurde nach den Vorgaben der TU Berlin von Weberschock Development in Faserverbundbauweise aufgebaut. Für den Flügel von TU-Flex wurde, um Beulprobleme effektiv zu mindern, ein Kern aus hochfestem Schaumstoff verwendet, des Weiteren wurden Faserlagen (Glasfasern und Kohlenstofffasern) mit definierten Winkeln als Deckschichten sowie ein Holm verwendet.
Unter anderem wurden Sensoren zur Messung von Dehnungen, Beschleunigungen und Drehraten an ausgewählten Positionen des Flügels entlang der Spannweite eingesetzt. Somit stehen im Nachgang zum Windkanalversuch viele Messdaten für die Validierung mit numerischen Simulationsmodellen zur Verfügung. Des Weiteren besitzt der Flügel drei Hinterkantenklappen, die von sehr leistungsfähigen und präzisen Aktuatoren angesteuert werden können.
Im Anschluss an den Bau des Flügels werden dessen strukturdynamische Eigenschaften, die sich aus der Steifigkeits- und Massenverteilung ergeben, genauestens untersucht. Es geht darum, die (geringfügigen) Abweichungen des realen, gebauten Modells zum theoretischen Modell, das für die Auslegung verwendet wurde, zu ermitteln. In der strukturellen Auslegung und Optimierung werden vereinfachende Annahmen getroffen, deren genaue Auswirkungen man am realen Modell quantifizieren kann. Die strukturdynamischen Untersuchungen – die im ruhenden Windkanal ohne Luftkräfte durchgeführt wurden – bestehen aus einem statischen und einem dynamischen Test. Beide sind wichtig, mit dem statischen Test werden die Steifigkeitseigenschaften durch Belastung des Flügels mit Gewichten entlang der Spannweite ermittelt, mit dem dynamischen Test (der sog. Modalanalyse) werden die Schwingungsformen (Moden) und zugehörigen Frequenzen bestimmt. Zur Schwingungsanregung wurden ein Impulshammer verwendet, die strukturellen Beschleunigungen wurden mit Beschleunigungssensoren gemessen, die dicht verteilt auf der Flügeloberfläche angebracht wurden.
Nach der erfolgreichen Strukturidentifikation wurden die Windkanalversuche im SWG (Seitenwindversuchsanlage) des DLR Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen durchgeführt. Der SWG bietet hervorragende Voraussetzungen für diesen Test: Eine große Messtrecke (Breite 2,4 m, Höhe 2 m), einen niedrigen Turbulenzgrad und einen passenden Geschwindigkeits- bzw. Reynoldszahlenbereich. Begonnen wurde die Messkampagne mit stationären Tests, bei denen Polaren des Flügels für eine Vielzahl von Anstellwinkeln und Reynoldszahlen gemessen wurden. Hierbei zeigte sich deutlich die große Flexibilität des Flügels bei hohen Staudrücken und großen Anstellwinkeln. Für die instationäre Anregung des Modells wurde neben den drei Hinterkantenklappen ein Nickversuchsstand verwendet, mit dem der zeitliche Verlauf des Nickwinkels des Flügels beliebig vorgegeben werden kann. Insbesondere wurden zeitabhängige Nickwinkel in Form eines „1-cos“ Profils vorgegeben, wie sie auch – als Approximation einer diskreten Böe – für die Lastanalyse von Transportflugzeugen verwendet werden. Die instationären Messergebnisse sind besonders wertvoll, da die numerische Simulation eines solchen Vorgangs sehr anspruchsvoll ist und nur mit modernen, aufwendigen Simulationsmethoden mit hoher Genauigkeit nachgebildet werden kann.
Die Ergebnisse der Struktur- und Windkanaltests sowie erste Vergleiche mit Simulationsergebnissen wurden bereits auf internationalen Konferenzen präsentiert [1]. Eine weiterer Bericht dieser Aktivität ist auch auf der Homepage des FMRA zu finden.
[1] Gonzalez, Pedro und Barbosa, Guilherme und Quesada, Álvaro und Stavorinus, Gerrit und Silvestre, Flavio J. und Hilger, Jonathan und Hanke, Charlotte und Voß, Arne und Krüger, Wolf R. (2024) Wind tunnel testing and modal validation of TU-Flex's high aspect-ratio wings. International Forum on Aeroelasticity and Structural Dynamics IFASD, Den Haag, Niederlande, 2024.
Markus Ritter, Abteilung Lastanalyse und Entwurf, DLR-Institut für Aeroelastik