18. Oktober 2021

Hochflexible Flügel – Und wie biegsam bist du?

Aeroelastische Untersuchungen am neuen aeroelastischen Benchmark-Flügel Pazy Wing

Das Pazy Wing Modell im Windkanal des Technion – Israel Institute of Technology (links) und bei statischen Belastungstests (rechts)
Credit:

Israel Institute of Technology

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Um den Treibstoffverbrauch und damit den CO2-Ausstoß zu reduzieren, kommen bei modernen Verkehrsflugzeugen zunehmend elastischere Flügel zum Einsatz, welche im Flugbetrieb große Deformationen an der Flügelspitze aufweisen. Aber wie groß können die elastischen Deformationen an einem Flügel werden? Welche besonderen Effekte treten bei sehr großen Deformationen auf? Und wie beeinflussen diese Effekte die aeroelastische Stabilität des Flügels? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Institut für Aeroelastik in Zusammenarbeit mit dem Technion, dem Imperial College London, der University of Michigan, der TU Delft und der NASA.

Flexibilität durch Leichtbauweise

Bei der Entwicklung moderner Flugzeugflügel stehen heutzutage zwei Kriterien im Mittelpunkt. Zum einen ein möglichst geringes Gewicht, welches durch die Verwendung neuer Bauweisen in Verbindung mit Leichtbaumaterialien (z.B. faserverstärkte Kunststoffe wie CFK) ermöglicht wird. Zum anderen steht ein reduzierter Widerstand im Fokus, was einen schlanken Flügel mit großer Spannweite und hoher Streckung erfordert. In Kombination führt beides zu einer sehr weichen, elastischen Flügelstruktur und damit unter bestimmten Flugbedingungen auch zu einer starken Durchbiegung. Die dabei auftretenden großen Deformationen verbieten jedoch die Anwendung herkömmlicher Berechnungsverfahren. Diese sogenannten linearen Verfahren beruhen auf vereinfachenden strukturdynamischen und aerodynamischen Annahmen, die bei großen Verformungen nicht mehr erfüllt werden.

Das Pazy Wing Finite-Element Modell

Der Pazy Wing im Aeroelastic Prediction Workshop

Für die Berechnung sehr flexibler Flügel müssen daher neue, komplexere Methoden entwickelt werden. Ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung ist dabei der Vergleich von Berechnungsergebnissen mit experimentellen Daten. Dafür wird beim 3rd Aeroelastic Prediction Workshop (AePW3) der NASA ein hochflexibles Windkanalmodell, der sogenannte Pazy Wing, untersucht. Der Flügel selbst wird am Technion – Israel Institute of Technology – entwickelt und experimentell getestet. Durch die spezielle Bauweise können erstmals auch sehr große Verformungen im Windkanal untersucht werden. Der Aufbau ist dabei bewusst sehr einfach gehalten, damit die beteiligten Wissenschaftler Simulationsmodelle des Flügels aufbauen und bei Bedarf das Modell auch schnell und kostengünstig selbst nachbauen können.

Deformationen bis zu 50 Prozent der Flügelspannweite

Während die Windkanalversuche am Technion durchgeführt werden, liefern das DLR und weitere Gruppen des AePW3 die dazugehörigen Simulationsergebnisse. Die Verformungen des Flügels im aeroelastischen Gleichgewicht werden mit einem am DLR-Institut für Aeroelastik entwickelten Simulationstool ermittelt. Für die Berechnung der aerodynamischen Kräfte wird dabei ein geometrisch nicht-lineares Wirbelleiterverfahren verwendet. Die daraus berechneten Kräfte werden anschließend an ein nicht-lineares Finite-Elemente-Programm weitergegeben, welches die resultierenden Deformationen berechnet. Die Verwendung nicht-linearer Verfahren ist unter anderem deshalb notwendig, da bei linearen Verfahren der Flügel künstlich verlängert wird. Im Falle des Pazy-Flügels ist das besonders wichtig, denn dieser erreicht bei hohen Geschwindigkeiten eine vertikale Deformation von bis zu 50 Prozent bezogen auf die Spannweite. Zum Vergleich: Die Boeing 787, das zurzeit flexibelste Verkehrsflugzeug, erreicht unter extremen Flugbedingungen eine maximale Durchbiegung von 28 Prozent. Die Ergebnisse der Simulationen stimmen sehr gut mit Daten anderer Mitglieder des Workshops überein.

Vergleich einer linearen mit einer nicht-linearen Finite-Elemente-Simulation eines generischen Balkens mit Belastung am Balkenende
Gut zu erkennen ist die künstliche Verlängerung des Balkens bei der linearen Simulation.

Große Deformationen beeinflussen die aeroelastische Stabilität

Neben den Verformungen soll auch die dynamische Stabilität des Flügels untersucht werden. Kommerzielle Programme zur Bestimmung der aeroelastischen Stabilität bzw. der Flattergeschwindigkeit betrachten meist nur den undeformierten Zustand eines Flügels. Deshalb wurde im Rahmen einer Masterarbeit eine Methode zur Stabilitätsanalyse hochflexibler Flügel entwickelt. Dabei wurde festgestellt, dass sich das Eigenschwingungsverhalten der Struktur durch die Deformationen stark verändert. Dies hat auch deutliche Auswirkungen auf die aeroelastische Stabilität. Je stärker sich der Flügel verbiegt, desto kleiner wird die sogenannte Flatter- geschwindigkeit und damit der Geschwindigkeitsbereich, in dem der Flügel stabil betrieben werden kann.

Abhängigkeit der Flattergeschwindigkeit von der Deformation an der Flügelspitze
Veränderung der Eigenfrequenzen mit zunehmender Deformation an der Flügelspitze

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Autor:

Jonathan Hilger, DLR-Institut für Aeroelastik, Abteilung Lastanalyse und Entwurf

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Wolf-Reiner Krüger

Leitung Lastanalyse und Entwurf
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aeroelastik
Bunsenstr. 10, 37073 Göttingen