Shake-The-Box: Lagrangesches 3D-Partikel-Tracking bei hohen Partikeldichten
Shake-The-Box (STB) ist ein neuer zeitaufgelöster Lagrangescher 3D-Partikeltracker zur Vermessung von Strömungen mit hoher Seedingdichte. Der STB-Algorithmus wurde in den letzten Jahren in der Abteilung für Experimentelle Verfahren am DLR in Göttingen entwickelt. Die Vorhersage von 3D-Partikelpositionen für den jeweils nächsten Zeitpunkt wird dabei als Mittel eingesetzt, die zeitliche Information in den Partikelbildserien für eine vereinfachte und verbesserte Rekonstruktion der Partikeltrajektorien (Tracks) zu nutzen. Aus diesem Grunde kann STB auch als 4D-PTV (Particle Tracking Velocimetry) Verfahren bezeichnet werden.
Die zu rekonstruierende Partikelverteilung wird für jeden Zeitschritt aus wenigen (typischerweise drei bis fünf) Abbildungsrichtungen von Kameras aufgenommen. Vor den eigentlichen Messungen erfolgt eine 3D-Kamera-Kalibrierung, eine Volumen-Selbstkalibrierung und die Bestimmung der lokalen Optischen Transfer Funktion (OTF) der Partikel. STB überwindet das stark unterbestimmte Rekonstruktionsproblem für 3D-Partikelverteilungen bei hohen Seedingdichten (ein bei Tomo-PIV und vor allem bei klassischem PTV bekanntes Problem) durch eine teilweise Vorab-Lösung des Problems. Diese wird erreicht durch eine Extrapolation von bereits bekannten Partikeltrajektorien unter Einsatz einer geeigneten zeitlichen Filterung. Die (fehlerbehafteten) vorhergesagten 3D-Partikelpositionen werden daraufhin durch ein genaues iteratives Bildvergleichsverfahren korrigiert, welches im Wesentlichen auch bei der Technik der sog. Iterativen Partikel Rekonstruktion (IPR) zum Einsatz kommt.
Die Ausnutzung der zeitlichen Information ermöglicht die Auswertung von Partikelbildern von Strömungen mit hoher Seedingdichte (bis zu und über 0,1 Partikel per Pixel). Solche Partikelbilddichten überschreiten das ~10-fache der Begrenzung von klassischen PTV-Verfahren. Darüber hinaus ist die Rechenzeit für eine STB-Rekonstruktion etwa 5- bis 20-mal kürzer als beim aktuell schnellsten Tomo-PIV-Algorithmus (abhängig von Partikelanzahl und Volumentiefe).
Mit STB können komplette Partikeltrajektorien, die bei kleinen Stokes-Zahlen als Fluidelemente betrachtet werden können, mit hoher räumlicher Auflösung identifiziert werden. Die hohe Genauigkeit wird unter anderem durch eine nahezu komplette Unterdrückung von Geisterpartikeln erreicht. Ein geeigneter zeitlicher Filter (optimal-gewichteter 1D B-Spline) verbessert zudem die Genauigkeiten und erlaubt die Bestimmung von lokalen 3C-Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektoren als Ableitungen einer kontinuierlichen Funktion mit hoher Dynamik.
Auf Grundlage dieser räumlich hoch aufgelösten Geschwindigkeitsinformationen an irregulär verteilten 3D-Positionen in einer (turbulenten) Strömung kann ein Verfahren zur Interpolation der Geschwindigkeiten und Beschleunigungen auf ein regelmäßiges Eulersches Gitter angewendet werden. Diese liefert insbesondere bei Verwendung einer Regularisierung durch die Navier-Stokes-Gleichung im Allgemeinen bessere Ergebnisse als klassische Tiefpassfilterverfahren wie die 3D-Kreuzkorrelation. Solch ein Interpolationsverfahren, namens FlowFit, wurde parallel zum STB in der Abteilung entwickelt.
Um das 3D-Geschwindigkeitsfeld als eine kontinuierliche Funktion aus den unregelmäßig verteilten Partikel- und Geschwindigkeitsdaten zu rekonstruieren, wird die gesuchte Funktion als B-Spline dritter Ordnung modelliert und Wichtungskoeffizienten der zugehörigen kompakten Basisfunktion so berechnet, dass eine geeignete Kostenfunktion minimiert werden kann. Die Kostenfunktion ist eine Summe aus unterschiedlich gewichteten Fehlern, die die Abweichungen zwischen den rekonstruierten und den an den Partikelpositionen gemessenen Geschwindigkeiten enthalten. Als Regularisierung geht die Krümmung an jedem Gitterpunkt mit einem typischerweise niedrigen Wert als Teil in die Kostenfunktion ein. Das führt zu einem Optimierungsproblem mit einer eindeutigen Lösung. Zusätzliche Regularisierungen sind z.B. im Fall inkompressibler Strömungen möglich, bei denen die Divergenz des Geschwindigkeitsfeldes in der Kostenfunktion bestraft werden kann. Das Ergebnis des FlowFits ist eine kontinuierliche Funktion der Geschwindigkeit (und Beschleunigung), deren räumliche Ableitungen bzw. Kombinationen davon, wie Wirbelstärke oder das Q-Kriterium, ohne numerische Differenzierung direkt berechnet und auf einem beliebigen Gitter diskretisiert werden kann.
Eine nacheinander geschaltete Auswertung einer aus wenigen Abbildungsrichtungen aufgenommenen Zeitserie von Partikelbildern mit STB und FlowFit liefert die komplette volumetrische Information der Lagrangeschen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen entlang einzelner Partikeltrajektoieren (i.A. Fluidelementbahnen - als Ergebnis von STB) zusammen mit dem kompletten zeit-aufgelösten Geschwindigkeits- und Beschleunigungsgradiententensor auf einem regelmäßigen Eulerschen Gitter (als Ergebnis von FlowFit). Die STB-Ergebnisse lassen sich direkt für ein Bin-Mittelungsverfahren nutzen, welches Profile der mittleren Geschwindigkeiten und des zugehörigen vollständigen Reynolds’schen Schubspannungstensors mit einer räumlichen Auflösung im Sub-Pixel-Bereich liefert.