Theorie und Simulation
Wir untersuchen viskose Flüssigkeiten, Schmelzen und eine breite Palette von Systemen aus weicher und aktiver Materie mit Hilfe von Computersimulationen und statistischer Physik im Nichtgleichgewicht. Ein Hauptaugenmerk liegt darauf, zu verstehen, wie dynamische Prozesse auf der mikroskopischen Skala die makroskopischen Materialeigenschaften beeinflussen und wie diese dynamischen Prozesse durch starke äußere Kräfte (z.B. durch Schwerkraft angetriebene Strömungen) beeinflusst werden, die dazu führen, dass das System weit vom thermischen Gleichgewicht entfernt ist und stark nichtlineare Reaktionen zeigt.
Die von uns untersuchten Systeme zeichnen sich durch starke kollektive Effekte aus, die eine zeitverzögerte Reaktion verursachen. Wir verwenden einen theoretischen Rahmen, der die daraus resultierenden geschichtsabhängigen Materialeigenschaften ab der mikroskopischen Skala vorhersagt, und wir kombinieren diese theoretische Beschreibung mit kontinuumsmechanischen Simulationen, um die Materialreaktion über die Skalen bis zur makroskopischen Ebene vorherzusagen.
Aktive Materie ist eine von biologischen Systemen inspirierte Materialklasse, bei der die einzelnen Bestandteile des Materials über einen internen Antriebsmechanismus verfügen, der Energie in gerichtete Bewegung umwandeln kann. Diese Prozesse spielen in vielen Aspekten des Lebens eine wichtige Rolle, sei es für die Wundheilung in Geweben oder für den Transport von Gütern wie Medikamenten in Lebewesen. Wir untersuchen kollektive Effekte zwischen aktiven Partikeln und führen auch Experimente auf Mikrogravitationsplattformen durch, um die von der Theorie vorhergesagten Regime zu erreichen, die frei von Sedimentation oder anderen unerwünschten, durch die Schwerkraft verursachten Effekten sind. In enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) verfolgen wir auch physikalische Theorien für biologische Systeme im Zusammenhang mit der Muskeldynamik.
Molekulardynamische Simulationen werden verwendet, um mikroskopische Prozesse in Modellmetallschmelzen zu untersuchen. Dabei werden effektive Wechselwirkungspotentiale verwendet, die mit Hilfe von Machine-Learning-Ansätzen abgeleitet und anhand verfügbarer experimenteller Daten kalibriert werden. Die Simulation ermöglicht es dann, die Trends zu erklären, die im Experiment beobachtet werden, zum Beispiel bei einer Änderung der Zusammensetzung der geschmolzenen Legierung, und diese in Bezug auf die Beziehung zwischen Dynamik und Flüssigkeitsstruktur zu rationalisieren. Der Ursprung der zugrundeliegenden mikroskopischen Prozesse, ob thermodynamisch oder kinetisch, entropisch oder energetisch, kann so erforscht werden. Verschiedene empirische Materialgesetze, wie die Verbindung von Selbst- und Interdiffusion, von Diffusion und Viskosität, können getestet werden, um den Bereich bzw. die Grenzen ihrer Gültigkeit zu verstehen. Im Rahmen von MD-Simulationen befassen wir uns auch mit den Auswirkungen des Fließens auf die Erstarrung von Metallschmelzen, wobei wir ein empfindliches Zusammenspiel zwischen thermodynamischen Antriebskräften und kinetischen Prozessen in der fließenden Schmelze aufdecken.
Die theoretischen Beschreibungen beruhen auf der Theorie der Modenkopplung des Glasübergangs (MCT). In Kombination mit MD-Simulationen bietet diese theoretische Modellierung wichtige Einblicke in die allgemeinen Aspekte der Flüssigkeitsdynamik. Die MCT beschreibt die Dynamik einer Flüssigkeit auf der Grundlage von Informationen über ihre statische Struktur. Wir kombinieren die Theorie mit experimentell gemessenen Informationen über die statische Struktur, um "First-Principles"-Vorhersagen der Massentransportprozesse in realistischen Modellsystemen für Mehrkomponenten-Legierungen zu liefern. Die Theorie wird auch verwendet, um die Dynamik von Systemen aus weicher Materie zu beschreiben, die sich im Fluss befinden. Sie liefert eine mikroskopische Beschreibung der nichtlinearen Rheologie von kolloidalen Suspensionen oder von bewegter granularer Materie. Diese Systeme neigen zu starken nichtlinearen Effekten, die im Vergleich zum linearen Verhalten nahe dem Gleichgewicht qualitativ neue Phänomene hervorrufen.
Um zu verstehen, wie diese mikroskopischen Phänomene die makroskopischen Materialeigenschaften beeinflussen, kombinieren wir MCT mit meso- und makroskaligen Simulationstechniken wie der Finite-Elemente-Methode (FEM). Insbesondere bei glasbildenden Schmelzen und Suspensionen, die ein ausgeprägtes viskoelastisches Verhalten zeigen, werden Memory-Effekte wichtig. Diese führen zu Materialeigenschaften, die von der Verarbeitungsgeschichte des Materials abhängen und die von den Materialgesetzen erfasst werden müssen, die in die Gleichungen der Kontinuumsmechanik eingehen und die wir aus mikroskopischen Prinzipien ableiten. Ein prominentes Beispiel sind eingefrorene Eigenspannungen in glasartigen Festkörpern, die durch das Fließen vor der Erstarrung verursacht werden und die Zähigkeit des fertigen Materials dramatisch verändern. Eine solche multiskalige Beschreibung der Materialeigenschaften ausgehend von den mikroskopischen Bewegungsgleichungen zu erreichen, ist eine große numerische Herausforderung in der rechnergestützten Strömungslehre.
Zu den aktuellen Forschungsthemen gehören:
- Maschinelles Lernen von Interaktionspotentialen für Metallschmelzen und komplexe Flüssigkeiten.
- Nichtlineare Rheologie visko-elastischer Flüssigkeiten, Vorhersage von Eigenspannungen in nicht-trivialen Strömungsgeometrien
- Von Tröpfchen zum 3D-Druck: viskoplastische Strömungen in der Mikrogravitation.
- Aktive Materialien in der Mikrogravitation und in silico