Modaltests in der H135-Fertigungslinie zur Verbesserung der Vibrationsvorhersage
29. April 2024
Modaltests in der H135-Fertigungslinie zur Verbesserung der Vibrationsvorhersage
Hubschrauber sind Fluggeräte mit der Fähigkeit zu vertikalen Starts und Landungen. Aufgrund dieser Fähigkeiten werden Hubschrauber vielfach für schnellen und lokalen Lufttransport eingesetzt, wie es z.B. bei Rettungseinsätzen erforderlich ist. Die Fähigkeit für vertikale Starts und Landungen wird erreicht durch den Auftrieb drehender Flügel. Dabei dreht sich der Rotor mit den aerodynamisch geformten Rotorblättern mit konstanter Drehgeschwindigkeit. Die Möglichkeit zur Änderung des Auftriebs wird durch eine komplexe Mechanik zur Verstellung des Anstellwinkels der drehenden Rotorblätter ermöglicht.
Warum Strukturdynamik bei Hubschraubern relevant ist
Im Schwebeflug ist es ausreichend, wenn alle Rotorblätter einen konstanten Anstellwinkel haben. Beim schnellen Vorwärtsflug überlagert sich die Drehgeschwindigkeit der Rotorblätter mit der Fluggeschwindigkeit. Dabei wird das nach vorne (d.h. in Flugrichtung) drehende Blatt eine größere Anströmgeschwindigkeit aufweisen, als das nach hinten (d.h. entgegen der Flugrichtung) drehende Blatt. Bei gleichem Anstellwinkel würde damit das nach vorne drehende Blatt eine größere Auftriebskraft erzeugen, als das nach hinten drehende Blatt. Damit wäre ein Geradeausflug nicht möglich. Ein Ausgleich der Auftriebskräfte des nach vorn und des nach hinten drehenden Blattes erreicht man durch die aktive Veränderung des Anstellwinkels während eines Umlaufes. So kann der Anstellwinkel des nach vorne drehenden Blattes verringert werden, während der Anstellwinkel des nach hinten drehenden Blattes erhöht werden muss. Diese aktive Anstellwinkelsteuerung während des Umlaufes der Rotorblätter wird mit Hilfe der Taumelscheibe und Steuerstangen zur Anstellwinkeländerung erreicht.
Die aktive Veränderung des Anstellwinkels der Rotorblätter während des Umlaufs erfordert zeitperiodische, oszillierende Steuerkräfte. Diese Kräfte werden von hydraulischen Aktuatoren im festen System erzeugt, welche die Taumelscheibe verstellen und die Kräfte so in das drehende System übertragen. Die im Flug entstehenden oszillierenden Kräfte werden umgekehrt vom Rotor auch wieder über die Steuerstangen in die Taumelscheibe und dann über die Aktuatoren in das Hauptgetriebe des Hubschraubers eingeleitet. Das Hauptgetriebe ist auf dem Dach des Hubschraubers installiert. Es überträgt die Antriebsleistung der Triebwerke in eine Drehbewegung des Hauptrotors und des Heckrotors. Das Hauptgetriebe ist mit der Rumpfzelle des Hubschraubers verbunden. Über diese Verbindung werden die oszillierenden Kräfte vom Rotor in die Zelle eingeleitet.
Hubschrauber sind Leichtbaustrukturen. Als solche neigen sie zu Schwingungen. Da Hubschrauber einerseits schwingungsanfällig sind und andererseits aufgrund der oszillierenden Kräfte aus der Rotorsteuerung dynamisch angeregt werden, kommt dem Thema Vibrationen im Hubschrauberentwurf eine besondere Bedeutung zu.
Wenn Schwingungen auftreten, erschweren diese die Bedienbarkeit des Hubschraubers und können bei Missionen wie heiklen Krankentransporten oder Luftaufklärungen mit hochauflösenden Kameras stören. Um Vibrationen zu reduzieren, werden bei den derzeit produzierten Hubschraubern vielfältige Maßnahmen wie beispielsweise Rotorisolationssysteme eingesetzt. Darüber hinaus konnte Airbus Helicopters, Kooperationspartner des DLR, durch ein neu entwickeltes Fünfblattrotorsystem mit einem optimierten Frequenzbereich am Hubschraubertyp H145 bereits eine signifikante Reduktion der Vibrationen erreichen.
Simulationen sollen noch aussagekräftiger werden
Für den Entwurf eines vibrationsarmen Hubschraubers müssen zunächst die oszillierenden Lasten aus der Rotorsteuerung im Voraus genau berechnet werden. Mit dem Einsatz moderner Berechnungsverfahren wie z.B. CFD [1] und MKS [2] konnten auf diesem Gebiet wesentliche Fortschritte gemacht werden. In einem zweiten Schritt, müssen anschließend die mit modernen Verfahren berechneten Kräfte aus der Rotorsteuerung, als schwingungsanregende Kräfte in ein FE-Modell [3] der Hubschrauberzelle eingeleitet werden. Mit diesen Modellen kann anschließend geprüft werden, ob sich Vibrationen in der Hubschrauberzelle ausbreiten. Basierend auf entsprechenden Simulationen können passende Maßnahmen entwickelt werden, die sich zur gezielten Reduktion von Vibrationen eignen. Hier wurde jedoch festgestellt, dass die Vorhersagegenauigkeit derzeitiger FE-Modelle verbessert werden sollte.
FE-Modelle für Hubschrauber werden bereits in der Entwurfsphase mit Hilfe von CAD-Modellen und Werkstoffeigenschaften aufgebaut und für strukturdynamische Berechnungen eingesetzt. Am Ende der Entwurfsphase wird ein Prototyp des optimierten Entwurfs gebaut. Dessen strukturdynamisches Verhalten wird experimentell mittels eines sogenannten Shake-Tests festgestellt. Die Ergebnisse des Shake-Tests können mit Simulationsergebnissenverglichen werden, die mit Hilfe der FE-Modelle erzeugt wurden. Sind die Abweichungen zwischen Test und Simulation zu groß, müssen die Berechnungsmodelle an die Realität angepasst werden. Ein vollständiger Hubschrauber ist jedoch ein sehr komplexes System und die möglichen Fehlerquellen in den Berechnungsmodellen können zahlreich sein. Daher ist dieses Zielrecht schwierig zu erreichen.
Hier wird im LUFO [4] -Projekt eVolve vom DLR und Airbus Helicopters ein neuer Ansatz verfolgt. Dabei wird das strukturdynamische Verhalten einzelner Baugruppen eines Hubschraubers in kleineren Komponententests festgestellt. Dabei können die Berechnungsmodelle der einzelnen Baugruppen separat überprüft und verbessert werden. Anschließend werden die verbesserten Modelle einzelner Komponenten zu größeren Baugruppen zusammengesetzt. Diese können dann wiederum in einem Test hinsichtlich des strukturdynamischen Verhaltens untersucht werden. Auch die Berechnungsmodelle der Baugruppen können dann an die Testdaten angepasst werden. Auf diese Weise wird in mehreren Schritten ein hochgenaues Berechnungsmodell aus verbesserten Modellen von Komponenten und Baugruppen aufgebaut. Dieses verbesserte Berechnungsmodell eignet sich dann in besonderer Weise für die Entwicklung von noch vibrationsärmeren Hubschraubern. Um dieses Forschungsvorhaben umzusetzen, wurde ein Hubschrauber ausgewählt und in der Fertigungslinie in Donauwörth begleitet. Die Experimente fanden also nicht in Laboren, sondern an verschiedenen Montagestationen in der Fertigungslinie statt.
Der im Rahmen des Projekts eVolve begleitete Hubschrauber sollte dabei möglichst repräsentative Eigenschaften haben. Zusätzlich zur bestehenden (komplexen) Grundstruktur, kann ein Hubschrauber je nach Kundenwunsch erheblich modifiziert werden. Somit sind Hubschrauber also Einzelstücke, die basierend auf einer Basisausstattung zum Beispiel mit Seilwinde, Radar, Kamera, Krankentrage, etc. ausgerüstet werden. In der Testplanung wurde daher für die Experimente ein Exemplar ausgewählt, welches möglichst keine außergewöhnlichen Ausrüstungsgegenstände aufweist (siehe Abbildung 2).
Mit Fortschritt des Bauzustandes ändert sich das Schwingungsverhalten eines Hubschraubers. Dabei gibt es Montagestationen, an denen sich die Masse oder die Steifigkeit der Gesamtstruktur besonders stark ändern. Diese sind damit strukturdynamisch besonders relevant und in den Abbildungen 3-5 gezeigt.
Die Experimente an diesen ausgewählten Stationen wurden mithilfe von mobilem Messequipment (siehe Abbildung 6) im laufenden Fertigungsbetrieb durchgeführt. Bei den Experimenten wurde der Hubschrauber im jeweiligen Bauzustand an Gummiseilen weich aufgehängt. Durch diese Seile kann eine definierte Randbedingung gewährleistet werden, was den Vergleich mit Simulationen erleichtert. An den ersten Montagestationen besteht der Hubschrauber noch aus sehr wenigen Teilen. Hier ist die Schwingungsanregung mittels eines Impulshammers möglich. In späteren Bauzuständen ist die Nutzung elektrodynamischer Shaker erforderlich. Die Antwort wird mithilfe von piezoelektrischen Sensoren an vielen verschiedenen Stellen gemessen. Durch digitale Signalverarbeitung und Analysemethoden wird aus den Testdaten ein repräsentatives dynamisches Ersatzmodell erstellt. Die Sensorpositionen sollten an den verschiedenen Montagestationen zugänglich sein, was in der Versuchsplanung berücksichtigt werden musste. Um den Fertigungsablauf möglichst nicht zu beeinträchtigen, muss die Versuchsausrüstung, sowie alle Hilfsmittel zwischen den Montagestationen vollständig vom Hubschrauber entfernt werden.
Das DLR ist ein führender Anbieter von aufwendigen, strukturdynamischen Experimenten. Dennoch zeichnen sich diese Tests am Hubschrauber in der Fertigungslinie durch besondere Anforderungen aus. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass durch die Experimente der Fertigungsbetrieb nicht aufgehalten wird. Für aussagekräftige Ergebnisse ist es erforderlich, dass zum Zeitpunkt des Versuches alle wesentlichen Komponenten an der jeweiligen Station verfügbar bzw. montiert sind. Das erfordert funktionierende Zulieferketten, die während eVolve noch von den Auswirkungen weltweiter Krisen und der COVID19-Pandemie beeinträchtigt waren. Für den Erfolg der Messkampagne war also von allen beteiligten Partnern hohe Flexibilität gefragt.
Ergebnisse und weiteres Vorgehen
Ausgewählte Ergebnisse dieser äußerst umfangreichen Messkampagne, bei der an 10 verschiedenen Stationen mit durchschnittlich 125 Sensoren gemessen wurde, sind in den Abbildungen 8-17 dargestellt.
Es handelt sich hierbei um Eigenschwingungsformen des Hubschraubers an den entsprechenden Stationen. Jeder Pfeil repräsentiert den charakteristischen Beitrag eines Sensors zur dargestellten Eigenschwingungsform. Die deformierten farbigen Flächen zeigen die entsprechenden Simulationsergebnisse, die von Airbus Helicopters für den Hubschrauber an der jeweiligen Montagestation erstellt wurden.
Der Vergleich der simulierten und experimentellen Ergebnisse ist die Grundlage für die Anpassung der Simulationsmodelle. Diese Anpassung erfolgt, damit die Simulationsmodelle die Realität bestmöglich wiedergeben. Hierfür sind die erfassten Schwingungsdaten (Eigenschwingungsform, Eigenfrequenz, Dämpfung, etc.) wesentliche Kenngrößen. Aber auch einfach zu bestimmende und strukturdynamisch relevante Größen, wie z.B. die Masse der Baugruppe bzw. Komponente sind zu berücksichtigende Eigenschaften. Diese wurden daher an den jeweiligen Montagestationen ermittelt und mit den Simulationsmodellen verglichen. Aus der Synthese der validierten (Teil-) Modelle entsteht ein aussagekräftigeres Simulationsmodell für die Berechnung des Gesamthubschraubers.
Diese Vorgehensweise, bei der strukturdynamische Tests an sukzessive zusammengebauten Subkomponenten durchgeführt wurden, wurde im Rahmen von eVolve von DLR und Airbus Helicopters gemeinsam entwickelt und an einem aktuellen Hubschraubermodell demonstriert. Damit können nicht nur die Modelle der entsprechenden Baugruppen frühzeitig überprüft und verbessert werden, sondern für diese Baugruppen wichtige Schwingungsformen identifiziert werden. Auf diese Weise erfolgt der Entwurf des vibrationsarmen Hubschraubers mithilfe genauerer Berechnungsmodelle. Teure Konstruktionsänderungen in späten Entwurfsphasen können so vermieden werden. Airbus Helicopters plant den Einsatz dieser Vorgehensweise bei zukünftigen Hubschrauberentwicklungen.
Glossar
[1] CFD: Computational Fluid Dynamics, d.h. numerische Verfahren zur Strömungsberechnung.
[2] MKS: Mehrkörpersysteme, numerisches Berechnungsverfahren zur Analyse komplizierter Bewegungen und daraus resultierender Kräfte in Bauteilen.
[3] FE: Finite-Elemente (Methode), ein Verfahren, das häufig zur Beantwortung mechanischer Fragestellungen bei Strukturen mit komplexer Geometrie verwendet wird. Die Strukturen werden in kleinere Bereiche, sogenannte „finite Elemente“, unterteilt, für die sich die entsprechenden Gleichungen leichter aufstellen lassen.
[4] LUFO: Luftfahrtforschungsprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (VI-Programmaufruf)
Autoren:
Marc Böswald und Johannes Knebusch, Abteilung Strukturdynamik und Systemidentifikation, DLR-Institut für Aeroelastik