30. November 2021

Neuartige Aeroelastische Instabilitäten an Laminarflügeln

Laminarflügel-Windkanalmodell in der Messstrecke des Transsonischen Windkanals Göttingen, Blickrichtung stromabwärts

Bis zum Jahr 2050 soll die Luftfahrt in Europa klimaneutral werden. Ein wichtiger Bestandteil hierfür ist die Reduzierung des Strömungswiderstandes von zukünftigen Flugzeugen, wobei den Tragflügeln eine große Bedeutung zukommt. Die Flügel erzeugen nicht nur den notwendigen Auftrieb eines Flugzeuges, sie tragen auch wesentlich zum Gesamtwiderstand und damit zum Treibstoffverbrauch bei. Neue Flügelformen mit sogenannten Laminarprofilen können das Fliegen umweltfreundlicher gestalten. In Windkanalversuchen wurden aber auch neuartige aeroelastische Instabilitäten beobachtet, deren industrielle Relevanz für moderne Verkehrsflugzeuge und damit Entwurf von Laminarflügen noch dringend genauer erforscht werden muss.

Laminarflügeltechnologie

Der Gesamtwiderstand eines Flugzeuges entsteht ungefähr zur Hälfte durch Reibungseffekte. Dieser Reibungswiderstand ist dabei vom Zustand der Grenzschicht, einer viskosen Übergangsschicht an der Oberfläche umströmter Körper, abhängig. Diese Grenzschichtströmung kann entweder laminar sein, oder durch eine laminar-turbulente Grenzschichttransition in eine turbulente Grenzschicht umschlagen.

Laminarflügelprofile nutzen den deutlich kleineren Reibungswiderstand einer laminaren Grenzschicht aus und verschieben durch eine spezielle Formgebung die Grenzschichttransition möglichst weit stromabwärts. Die Ausdehnung einer turbulenten Grenzschicht wird so minimiert und eine lange laminare Lauflänge erzielt. Im Vergleich mit einem konventionellen Flügelprofil führt dies zu einem geringeren Reibungswiderstand.

Laminar-turbulente Grenzschichttransition an einem konventionellen Flügelprofil im Vergleich zu einem Laminarprofil

Diese Widerstandsreduktion tritt bei Laminarprofilen aber nur in einem begrenzten Flugbereich, also für bestimmte Strömungsgeschwindigkeiten und Anstellwinkel auf. Wird dieser Bereich verlassen, versagt die Laminarerhaltung und die laminar-turbulente Grenzschichttransition setzt bereits deutlich weiter stromauf ein.

Genau in diesen Übergangsbereichen (Auftrieb-Plateaus in der Flügelpolare) ändert sich also mitunter schlagartig das Strömungsfeld um einen Laminarflügel und das wirkt sich direkt auf die aerodynamischen Kräfte aus. Insbesondere das Nickmoment wird von der Änderung der Grenzschicht stark beeinflusst, was zu Schwingungen des Tragflügels führen kann - der Laminarflügel beginnt zu flattern.

Aeroelastische Windkanaltests mit Laminarflügelprofilen

Das Institut für Aeroelastik ist weltweit führend auf dem Gebiet der Aeroelastik von Laminarflügeln und verfolgt bereits seit mehreren Jahren eine langfristige Strategie, um die Auswirkungen der laminar-turbulenten Grenzschichttransition auf das Schwingungsverhalten und die aeroelastische Stabilität von Tragflügeln zu erforschen.

Im Transsonischen Windkanal in Göttingen (TWG) wurde in diesem Rahmen die Aerodynamik und das Flatterverhalten eines Laminarprofils bei Strömungen nahe der Schallgeschwindigkeit untersucht. Dafür stehen einzigartige Versuchsstände zur Verfügung, mit deren Hilfe der Laminarflügel einerseits in eine zwangserregte Bewegung versetzt wurde, um das Verhalten der Strömung auf diese Bewegung zu beobachten. Andererseits wurde der Tragflügel in ein System aus Federn aufgehangen und so untersucht, wann und wie der Laminarflügel zu flattern beginnt. Mehr als 100 Sensoren die in dem Laminarflügel, den Versuchsständen und dem Windkanal installiert sind, messen kontinuierlich alle wichtigen Parameter wie Strömungsgeschwindigkeit, Druck, aerodynamische Kräfte und auch den Zustand der Grenzschicht.

Transitionsflattern und Transitionsbuffet

Dabei gelang es dem Team aus Technikern und Wissenschaftlern bei schallnahen Strömungsgeschwindigkeiten die Bewegung der Grenzschichttransition auch dann genau zu messen, wenn der Laminarflügel mit großen Amplituden und hohen Frequenzen flattert. So konnten erstmalig zwei bisher noch unbekannte Phänomene genauer beobachtet und untersucht werden.

Bewegung des Laminarflügels mit den beiden Freiheitsgraden Drehung (grün) und Schlag (blau) sowie Entwicklung des Nickomentes (cyan) und des Auftriebs (rot) bei einem Übergang vom Transitionsbuffet ins Transitionsflattern
Das Windkanalmodell wurde zu Beginn mit einer Bremse festgehalten, die dann geöffnet wurde (schwarz gestrichelte Linie).

Wird der Laminarflügel festgehalten - der Flügel selbst kann also keine Schwingungen ausführen - tritt bei bestimmten Strömungsbedingungen im Übergangsbereich der Laminardelle eine Schwingung der aerodynamischen Kräfte auf. Solche instationären, also zeitlich variierenden Umströmungen von Tragflügeln werden vor allem durch Schwingungen von Verdichtungsstößen hervorgerufen und daher auch als Stoß- bzw. Shock-Buffet bezeichnet. Bei dem hier beobachteten Phänomen treten jedoch nur sehr vereinzelt schwache Verdichtungsstöße auf, so dass diese als Ursache ausgeschlossen wurden. Vielmehr wurde beobachtet, dass die laminar-turbulente Grenzschichttransition anfängt zu schwingen und sich periodisch auf der Oberseite des Laminarflügels stromauf und -ab bewegt. Dieses neue Phänomen wurde daher auch als Transitionsbuffet bezeichnet. Als Passagier würde man diese Instationarität der Grenzschichttransition mitunter als starke Vibration wahrnehmen.

Polare des Laminarflügels
Im rot markiertem Bereich sind während der Windkanalversuche Grenzzyklusschwingungen (LCOs) aufgetreten. Dieser Bereich entspricht dem Übergangsbereich der Laminardelle.

Wird bei gleichen Strömungsbedingungen der Laminarflügel dann mit Federsystemen elastisch gelagert, beginnt der Flügel zu flattern und führt so genannte Grenzzyklusschwingungen (LCO) aus, also Schwingungen mit einer begrenzten Amplitude. Dabei tritt dieses Flatterverhalten nur lokalisiert im Übergangsbereich der Laminardelle auf und verschwindet, sobald die Grenzschichttransition an der Vorderkante des Laminarflügels fixiert wird. Vergleichende Flattermessungen mit einer solchen fixierten Transition bestätigen dabei die Eigenständigkeit dieses Transitionsflatterns.

Die gewonnen Ergebnisse zeigen, dass der laminar-turbulenten Grenzschichttransition eine weitaus wichtigere Rolle für die Aeroelastik zukommt, als dies bislang angenommen wurde und eine vollständige aeroelastische Systembewertung auch Grenzschichtphänomene mit berücksichtigen muss. Für die Zukunft sind weiterführende Experimente in größeren Windkanälen, wie dem Europäischen transsonischen Windkanal (ETW) in Köln geplant. Dabei werden die bisherigen wie auch zukünftige experimentelle Ergebnisse dazu dienen, Verfahren und Methoden zu entwickeln, mit denen in numerischen Simulationen das dynamische Verhalten der Grenzschichttransition korrekt abgebildet werden kann. Mit diesen Methoden kann dann einerseits bei der Auslegung von Tragflügeln und Flugzeugen mit Laminarprofilen eine valide Beurteilung der möglichen aeroelastischen Risiken erfolgen. Andererseits stehen somit auch Verfahren und das Wissen zur Verfügung, um durch eine gezielte Optimierung des Designs von Laminarflügeln, etwaige Risiken bereits vor dem Erstflug zu minimieren und auch für zukünftige Flugzeuge und Tragflügel eine aeroelastische Systemsicherheit zu gewährleisten.


Weiterleseempfehlung:

Autor:

Marc Braune, DLR-Institut für Aeroelastik, Abteilung Aeroelastische Experimente

Kontakt

Dr. rer. nat. Holger Mai

Leitung Aeroelastische Experimente
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aeroelastik
Bunsenstr. 10, 37073 Göttingen