2. September 2020

Lärmwetter: Quantifizierung des Wettereinflusses auf den Lärm in der Umgebung einer Autobahn

In der Wahrnehmung von Betroffenen hängt die Lärmbelastung stark von den momentanen Wetterbedingungen ab. Europaweit gibt es etwa ein Dutzend Normen und Rechenverfahren zur Bestimmung der Schallausbreitung, die von sehr einfachen Methoden ohne Berücksichtigung meteorologischer Einflüsse, über Regelwerke mit eingeschränkter Berücksichtigung meteorologischer Parameter bis hin zu komplizierten Methoden mit vielen z. T. sehr speziellen Eingabeparametern reichen. In Deutschland gelten verbindliche Rechenverfahren (RLS-90, RLS-19), wo meteorologische Einflüsse in Spezialfällen bisher nicht berücksichtigt werden.

Im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen wurde das Projekt mit dem Titel „Aufbau einer Datenbank zur Berechnung exemplarischer Lärmsituationen unter Einbeziehung von Geräuschemissionsdaten des Verkehrsträgers Straße und meteorologischer Daten“ in Kooperation mit dem Ingenieurbüro Möhler + Partner Ingenieure AG (Augsburg) durchgeführt.

Ziel des Forschungsvorhabens ‚Lärmwetter‘ war es daher, den Stand der Technik und der Wissenschaft bei der Berücksichtigung der Einflüsse des Wetters auf die Schallausbreitung in Rechenverfahren zu ermitteln und durch Langzeitmessungen zu verifizieren. Diese Untersuchungen wurden jetzt erfolgreich abgeschlossen. Aus Modellrechnungen und den Messungen wurde ein praktikables und einfaches Verfahren zur Beachtung des Einflusses der Meteorologie für Berechnungen nach RLS-90 bzw. RLS-19 vorgeschlagen ohne dabei den grundlegenden Ansatz der Verfahren zu verändern. Zur Absicherung dieses Vorschlages sind aber noch weitere Validierungen in unterschiedlichen Regionen nötig.

Zentraler Bestandteil der Studie waren zum einen Langzeitmessungen in einem Untersuchungsgebiet an der Bundesautobahn A8 westlich von München, wobei neben den Schallmessungen auch meteorologische Daten sowie Verkehrsdaten erhoben wurden. Zum anderen wurden ausgewählte Situationen mittels verschiedener Verfahren nachgerechnet und mit den realen Messdaten verglichen.

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Abbildung 1: Pegeldifferenzen bzgl. des Referenzschallpegels für  Windgeschwindigkeiten zwischen 1,0 und 3,0 m/s. (©DLR)

Sowohl Messungen als auch fortgeschrittene Rechenmethoden zeigten übereinstimmend, dass die Windrichtung die Schallausbreitung am maßgeblichsten beeinflusst. Die Windgeschwindigkeit hat einen geringeren Einfluss. Untersucht wurde auch der Einfluss des vertikalen Temperaturgradienten, welcher durch die Stabilität der Luftschichtung bestimmt ist. Dieser wird erst bei großen Abständen und in Verbindung mit Abschirmungen für die Schallausbreitung relevant. Abbildung 1 zeigt die Abhängigkeit des Schallpegels von der Windrichtung und der Temperaturschichtung (S1 – S5) für Messungen in ca. 250 m Entfernung von der Autobahn. Dabei erkennt man, dass unter Gegenwindbedingungen (180°) die stärkste Pegelminderung besonders unter labiler Schichtung (S1/S2, türkise und rote Kurve) auftritt und ein Pegelanstieg unter stabilen Verhältnissen (S5, gelbe Kurve) unabhängig von der Windrichtung beobachtet wurde. Somit können schallausbreitungsgünstige Bedingungen wie Mitwind und stabile Schichtungen im Gegensatz zu einem Referenzfall ohne Wind und mit einer homogenen (isothermen) Temperaturschichtung identifiziert werden.

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Abbildung 2: Vergleich der Abnahme des Schallpegels mit der Entfernung für verschiedene Rechenmethoden, jeweils für homogene und für schallausbreitungsgünstige Bedingungen. (©DLR)
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Abbildung 3: Pegeldifferenzen zum Referenzschallpegel für Windgeschwindigkeiten zwischen 1 und 3 m/s, jeweils bei Mitwind (MW) und Gegenwind (GW), ermittelt mit dem IPA wellenbasierten Modell. (©DLR)

Um die Auswirkungen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden bei der Ausbreitungsrechnung unter Variation der Meteorologie genau zu verstehen, wurden zusätzlich drei Testfälle möglichst einfacher Geometrie (eben) definiert: erstens eine gerade Straße, zweitens eine gerade Straße mit Abschirmung und drittens zwei sich kreuzende Straßen. Für diese idealisierten Fälle und den realistischen Fall wurden alle verfügbaren Rechenmethoden miteinander verglichen und der meteorologische Einfluss quantifiziert. Abbildung 2 demonstriert, wie stark sich die Rechenmethoden schon für den einfachsten Fall „gerade Straße ohne Topografie“ mit wachsendem Abstand zur Quelle unterscheiden. Unter Hinzunahme der genaueren Modelle (a) wellenbasiertes Modell des IPA und (b) Nord2000 konnte der Einfluss der Meteorologie nachvollzogen werden. Beispielhaft zeigt Abbildung 3 in einem vertikalen Schnitt, wie stark sich das Schallfeld unter Mitwindbedingungen gegenüber einem Referenzfall verändert.

Anhand dieser vielfältigen Ergebnisse und unter Beachtung der speziellen Messbedingungen dieser Studie wurde dann eine Basis zu einer detaillierteren Berücksichtigung der Einflüsse von Wind und Temperaturschichtung innerhalb der RLS-90/RLS-19 geschaffen, welche in weiteren Untersuchungen noch ihre Belastbarkeit unter Beweis stellen müssen. Dabei wurde darauf geachtet, dass der grundlegende Ansatz der Verfahren unverändert bleibt und der Berechnungsaufwand durch die neue Methode nur unwesentlich vergrößert wird.