13. Januar 2022

Wie kann beim Flugzeug durch Ausschlagen der Steuerflächen Gewicht eingespart und die Lebensdauer verlängert werden?

Dickenverteilung am Flügelkasten der D150-Konfiguration - mit Lastabminderung
Beim aktiven Flugzeug sieht man, dass das Flügelmaterial etwas dünner ist, hier also Gewicht eingespart wird.
Dickenverteilung am Flügelkasten der D150-Konfiguration - ohne Lastabmibderung

In der Luftfahrtforschung ist eine Verringerung des Strukturgewichts ein Kernthema, da der Treibstoffverbrauch und der CO2-Ausstoß dadurch verringert werden können. Die Struktur selber wird so ausgelegt, dass sie den Lasten am Flugzeug standhält. Das heißt, wenn die Lasten kleiner werden, kann die Struktur leichter gebaut werden. Doch dabei müssen die Randbedingungen der Zulassung erfüllt bleiben.

Anforderungen an die Flugzeugstruktur

Laut der Zulassungsvorschriften für große Passagierflugzeuge muss die Struktur unter anderem das 2,5-fache Flugzeuggewicht tragen und sehr starke Turbulenzen und Böen aushalten können, die erwartungsgemäß einmal im Flugzeugleben (ca. 30 Jahre, kann je nach Flugzeugtyp und Einsatz variieren) [1] auftreten. Das sind die zwei Hauptfaktoren, die die größten Lasten am Flügel hervorrufen und das Flügelgewicht treiben.

Manöverlastabminderung

Bei einem Flugzeug erzeugt der Flügel Auftrieb mit einer mehr oder weniger elliptischen Verteilung, siehe Abbildung 1. Lasten in Höhe vom 2,5-fachen Flugzeuggewicht bei Abfangmanövern stellen eine große Belastung für den Flügel dar. Um diese zu reduzieren, kann der Auftrieb bei solchen Manövern durch koordinierte Steuerflächenausschläge umverteilt bzw. in Richtung der Flügelwurzel verschoben werden, siehe Abbildung 2. Durch diese Umverteilung des Auftriebs wird das Flügelbiegemoment, welches ein wichtiges Maß für die Auslegung ist, reduziert. Diese Funktion wird Manöverlastabminderung (maneuver load alleviation, MLA) genannt.

Abbildung 1: Auftriebsverteilung am Flügel ohne Manöverlastabminderung
Abbildung 2: Auftriebsverteilung am Flügel mit Manöverlastabminderung

Böenlastabminderung

Ein ähnliches Prinzip gilt bei Turbulenzen. Ein Sensor an der Flugzeugnase misst den Anstellwinkel, und falls eine Böe oder Turbulenz detektiert wird, werden die Steuerflächen durch den Flugzeugcomputer dynamisch ausgeschlagen, um die maximale Flügelbelastung zu verringern, siehe Abbildung 3. Diese Funktion wird Böenlastabminderung (gust load alleviation, GLA) genannt.

Abbildung 3: Vergleich des Flügelbiegemoments beim Böendurchflug mit und ohne Böenlastabminderung (GLA)
Simulation Böendurchflug
Beim Böendurchflug schlägt das Flugzeug die Steuerflächen am Flügel aus, um die Belastung abzumindern.

Gewichtsreduzierung am Flügel

Falls die MLA und GLA bereits im Entwurfsprozess eines Flugzeugs berücksichtigt werden, kann in der Struktur etwas Material eingespart werden, welches eine Gewichtsreduzierung mit sich bringt. Im Falle von zwei Mittelstreckenkonfigurationen, jeweils einer mit einem rückwärts und einer mit einem vorwärts gepfeilten Flügel (siehe Abbildung 4 und Abbildung 5), ergeben sich Masseneinsparungen für den Flügelkasten von 2,8% bzw. 6,1%. Auf den ersten Blick scheinen die nicht viel, dennoch sind es 130,5 kg bzw. 410,4 kg.

Abbildung 4: Geometrie der D150-Konfiguration, eines typischen Mittelstreckenflugzeugs
Abbildung 5: Geometrie der vorwärts gepfeilten ALLEGRA-Konfiguration, die auf der LamAir-Konfiguration basiert

Erhöhung der Flugzeuglebensdauer

Neben den Maximalbelastungen, die das Strukturgewicht treiben, spielen Ermüdungslasten am Flugzeug ebenfalls eine wichtige Rolle, denn durch diese Lasten wird die Lebensdauer des Flugzeugs begrenzt (ca. 40000 Flüge, kann je nach Flugzeugtyp und Einsatz variieren). Die Haupttreiber der Ermüdung sind Wechselbelastungen durch Boden-Luft-Boden-Zyklen und Turbulenzen. Zum Ersteren: am Boden erzeugt der Flügel kein Auftrieb, und beim Abheben produziert der Flügel etwa so viel Auftrieb wie das 1,3-fache des Flugzeuggewichts. Zum Letzteren: bei typischen Flügen mit leichten oder moderaten Turbulenzen wird die Struktur zwar nicht stark belastet, jedoch ist die Anzahl an Strukturschwingungszyklen, die dadurch hervorgerufen werden, hoch. Mit MLA und GLA kann die Strukturbelastung in beiden Fällen abgemindert werden, und bei den untersuchten Referenzflugzeugen erhöht sich die Lebensdauer jeweils um 28% bzw. 12%, zusätzlich zu der Masseneinsparung.

Weiterleseempfehlung:

Autor:

Vega Handojo, DLR-Institut für Aeroelastik, Abteilung Lastanalyse und Entwurf

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Wolf-Reiner Krüger

Leitung Lastanalyse und Entwurf
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aeroelastik
Bunsenstr. 10, 37073 Göttingen