Aeroelastische Experimente
Die Abteilung Aeroelastische Experimente widmet sich der Planung, Durchführung und Analyse von Windkanal-Experimenten.
Bei Hubschraubern wurde seit je her auf eine einfache rechteckige Grundrissform von Rotorblättern gesetzt. Diese funktionierte und hatte sich als Hubschrauberrotorblattprinzip bewährt. Verändert man jedoch die Grundrissform von Rotorblättern, so lassen sich Rotorlärm sowie Vibrationen signifikant reduzieren und gleichzeitig die aerodynamische Effizienz verbessern.
Wie bereits im vorangegangenen Beitrag [1] erwähnt, eigenen sich hierfür speziell geformte Rotorblätter mit einem Knick [2] im äußeren Bereich. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen im Bezug auf das aeroelastische Verhalten. Dabei spielt insbesondere der dynamische Strömungsabriss eine entscheidende Rolle. Hierbei handelt es sich um ein aerodynamisches Abrissphänomen, welches an auftriebserzeugenden Flächen auftritt, wenn diese schnelle und große Änderungen des Anstellwinkels erfahren. Dieses Phänomen tritt bei Hubschraubern im Manöver und im schnellen Vorwärtsflug auf. Genauer gesagt an dem Rotorblatt, das sich gerade entgegen der Flugrichtung nach hinten bewegt. Die Folgen dieses Phänomens sind sehr hohe Werte im aerodynamischen Auftrieb, Widerstand und Nickmoment. Dadurch werden Rotorblätter und benachbarte Rotorkopfbauteile sehr hohen Torsions- und Biegemomenten ausgesetzt.
Aeroelastische Experimente im Allgemeinen haben schon einen relativ komplexen Versuchsaufbau. Will man nun die Aeroelastik von Hubschrauberrotoren experimentell untersuchen, kommt das Messen an einem schnell rotierenden Rotorsystem erschwerend hinzu. Hier bietet die Rotortestanlage Göttingen (RTG) der Abteilung Hubschrauber vom Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik die Möglichkeit, den dynamischen Strömungsabriss sowie den Schwebe- und leichten Steigflug eines Hubschrauber-Rotors aeroelastisch zu untersuchen, siehe Abbildung 1. Dazu werden die neuartigen Rotorblätter in den Rotorkopf des RTGs eingespannt und mit einer konstanten Geschwindigkeit in Drehung versetzt. Um den dynamischen Strömungsabriss hervorzurufen, durchlaufen die Rotorblätter einmal pro Umdrehung eine definierte Auf- und Abnickbewegung, also ein Auf- und Zudrehen des Nick- bzw. Einstellwinkels (dynamischer Messpunkt). Zur Abbildung des Schwebeflugs oder eines leichten Steigflugs wird hingegen für alle Rotorblätter ein fester Nickwinkel Θ, kollektiver Einstellwinkel genannt, an der Rotorblatteinspannung vorgegeben (stationärer Messpunkt).
Durch Experimente und Untersuchungen mittels numerischer Strömungssimulation in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass der dynamische Strömungsabriss aerodynamisch äußerst komplex ist. Mittlerweile kann der Wirkmechanismus dieses Phänomens für zweidimensionale Strömungen gut nachvollzogen werden [3,4]. Im dreidimensionalen Fall steigt hingegen die Komplexität deutlich an [5]. Bei Rotorblattversuchen kommen nun zusätzlich zur erhöhten dreidimensionalen Komplexität auch noch radiale Effekte hinzu [6]. Daher muss für aeroelastische Untersuchungen von Rotorblättern eine Vielzahl von verschiedensten Messtechniken kombiniert werden, um ein umfangreiches Gesamtbild der Aerodynamik und der Struktur zu bekommen. Zu den eingesetzten Messtechniken zählen Dehnungsmessstreifen (DMS), optische Marker zur Verformungsmessung, instationäre Drucksensoren, Temperatursensoren, instationäre drucksensitive Farbe, 6-komponenten Waage und Beschleunigungssensoren, genauere Informationen dazu in [7].
Bei Rotorblättern ist es üblich, die aerodynamischen Lasten, strukturelle Verformungen sowie die Einstellwinkel Θ über eine Rotorumdrehung bzw. Periode, darzustellen, siehe Abbildung 2. Hier ist für einen dynamischen Testfall zu erkennen, dass sich der Verlauf der aerodynamischen Last (grüne Kurve) und der strukturellen Verformung (blaue Kurve) stark vom Verlauf des Einstellwinkels (rote Kurve), unterscheidet. Weicht die strukturelle Verformung derart signifikant vom Einstellwinkelverlauf ab, spricht man von einem nicht linearen Verhalten der Rotorblattantwort (strukturelle Verformung). Dies lässt sich im Experiment und in der aeroelastischen Simulation beobachten [7,8,9].
Die Antwort auf dieses nichtlineare Verhalten lässt sich in der Rotorblattaerodynamik finden. Dazu wird die globale Druckverteilung auf dem Rotorblatt mittels Drucksensoren und drucksensitiver Farbe gemessen, zu sehen in Abbildung 3. Diese Daten ermöglichen Rückschlüsse auf das aerodynamische Verhalten. Beim neuartigen Rotorblatt mit Knick lässt sich erkennen, dass der maximale Auftrieb bereits vor dem maximalen Einstellwinkel erreicht wird, siehe Abbildung 2. Danach beginnt die Strömung auf dem rückwärts gepfeilten Teil des Rotorblattes abzureißen, was in Abbildung 3 ersichtlich ist. Während der Abnickbewegung beginnt sich die Strömung am rückwärts gepfeilten Teil des Rotorblattes wiederanzulegen. Dies führt dazu, dass der Auftrieb nochmals ansteigt und das Rotorblatt sich erneut hochbiegt. Das alles passiert vor dem Erreichen des minimalen Einstellwinkels, zu erkennen in Abbildungen 2. und 3. Somit wirkt die aerodynamisch erzeugte Kraft zeitlich verschoben zur definierten Auf- und Abnickbewegung des Rotorblattes, Einstellwinkelverlauf und Rotorblattverformung weichen voneinander ab.
Durch dieses Verformungsverhalten schwingt das Rotorblatt einmal pro Rotorumdrehung auf und ab. Allerdings nicht einfach nur hoch und runter, sondern so wie es in Abbildung 2 (blaue Kurve) zu erkennen ist. Dieser Verlauf setzt sich genauer gesagt aus zwei einzelnen Schwingungen zusammen, die sich überlagern. Eine davon sieht aus wie die rote Kurve in Abbildung 2, das Rotorblatt schwingt einmal hoch und runter. Beim zweiten Schwingungsanteil schwingt das Rotorblatt zweimal hoch und runter während einer Umdrehung. Dieses Verhalten muss in der Auslegung und Konstruktion von Rotorblättern mit bedacht werden, zumal weitere aeroelastische Herausforderungen hieraus resultieren [1]. Diese, mit neuartigen Rotorblättern einhergehenden aeroelastischen Fragestellungen, werden in zukünftigen Rotorversuchen an einem geplanten Gesamthubschrauber Experiment im DLR-Projekt URBAN Rescue mit dem neuartigen Rotorblatt im Niedergeschwindigkeitskanal (NWB) Braunschweig weitergehend untersucht.
Martin, Michael Müller, DLR-Institut für Aeroelastik, Abteilung: Aeroelastische Experimente