Ergebnisse des Reallabors in Charlottenburg

Stadtplatz Klausenerplatz Kiez

Klausenerplatz Kiez
In einem Realexperiment wurde der Platz vorübergehend für Autos gesperrt. Anwohnende und Nutzende des Platzes können so experimentieren, wie sie den Platz lieber nutzen möchten.
  • Teilnehmende der Haushaltsbefragung verfügen über hohe Bildungsabschlüsse, leben insbesondere in Ein- und Zweipersonenhaushalten und höhere Altersgruppen sind im Vergleich zum Planungsraum Schlossstraße überrepräsentiert.
  • Die Mobilität ist durch den Fuß- und Radverkehr geprägt; die Pkw-Besitzquote liegt höher im Vergleich zur Pkw-Besitzquote der Haushalte in der inneren Stadt.
  • Mehr als die Hälfte der Befragten bewertet den temporären Stadtplatz als positiv oder neutral, 43% der Befragten als negativ (insbesondere Personen aus höheren Altersgruppen).
  • Die TOP 3 Auswirkungen des temporären Stadtplatzes betreffen das Finden eines Parkplatzes, die Nutzung des öffentlichen Raums und die Aufenthaltsqualität. Dabei hat sich ersteres nach Meinung der Befragten verschlechtert, während die anderen beiden Punkte eine Verbesserung erfahren haben.
  • Realexperiment als Mittel zur Verkehrswende

    Das Realexperiment EXPERI im Berliner Bezirk Charlottenburg ist abgeschlossen. Wie haben die Menschen auf die temporäre Umwandlung der Kreuzung in einen Stadtplatz reagiert?

    Die Verkehrswende betrifft insbesondere Metropolregionen. Doch wie genau es hier zu sozio-technischen Transformationsprozessen des Verkehrssystems kommen kann, ist noch ungewiss. Realexperimente sollen helfen, mehr darüber zu erfahren, wie die Verkehrswende auch in Städten gelingen kann. Denn immer mehr Menschen zieht es in die Urbanität, die Lebensqualität ist hier jedoch aufgrund von Lärm, Luftschadstoffen und Bewegungsmangel gleichzeitig deutlich eingeschränkt.  Eine große Rolle spielt hierbei auch der öffentliche Raum, der eine knappe Ressource in Städten ist und mit unterschiedlichen Nutzungsansprüchen verbunden wird. In der inneren Stadt von Berlin verfügen beispielsweise weniger als die Hälfte der Haushalte über einen Pkw und der Großteil der täglichen Wege (82%) wird zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt (Quelle: SrV 2013). Gleichzeitig ist das innerstädtische Bild an vielen Orten von Autos geprägt. Somit stellt sich die Frage, wie der öffentliche Raum gestaltet werden kann, um möglichst vielen Menschen zugute zu kommen und aktive Mobilität zu fördern.

    Klausenerplatz temporär umgestaltet

    Um die urbane Aufenthaltsqualität zu erhöhen, öffentliche Räume für die Stadtbewohner*innen zu schaffen und eine gesundheitsfördernde Fortbewegung zu ermöglichen, wurde im Rahmen von EXPERI eine Kreuzung in Berlin Charlottenburg für fünf Wochen im Herbst 2020 in einen Stadtplatz umgewandelt. Durch partizipative Formate und gemeinsame Gestaltungsaktivitäten wurde die Nachbarschaft dazu angeregt, eigene Ideen und Gestaltungswünsche einzubringen und umzusetzen. Die temporäre Transformation des öffentlichen Raums wurde mithilfe von qualitativen und quantitativen Methoden begleitet. Im Folgenden werden die Ergebnisse der groß angelegten Haushaltsbefragung vorgestellt.

    Um die Nutzung und Akzeptanz des temporären Stadtplatzes zu untersuchen, wurden zwei Haushaltsbefragungen durchgeführt. Bevor die Kreuzung in einen Stadtplatz umgewandelt wurde, wurde eine Information zusammen mit einem Fragebogen in den angrenzenden vier Blöcken verteilt. Zudem wurden die Haushalte nach Abschluss des temporären Stadtplatzes erneut befragt. Dabei wurden jeweils 1.763 Haushalte in den umliegenden Straßen gebeten, an der schriftlichen Haushaltsbefragung teilzunehmen. In der ersten Befragungswelle haben 204 Personen und in der zweiten Welle 263 Personen teilgenommen, sodass sich eine Rücklaufquote von 12% bzw. 15% ergibt. Dies ist für eine schriftliche Befragung ein zu erwartendes bis gutes Ergebnis.

    Untersuchungsgebiet der Haushaltsbefragungen um den Klausener Platz
    Die Anwohnenden im Gebiet um die Kreuzung Wundtstraße/Horstweg wurden im Rahmen von EXPERI zur Umgestaltung der Kreuzung in einen Stadtplatz befragt.
    Credit:

    Google Maps

    Steckbrief der Teilnehmenden

    Anhand der soziodemographischen Daten zeigt sich, dass sich die Befragten insbesondere aus Ein- und Zweipersonen-Haushalten zusammensetzen, über hohe Bildungsabschlüsse verfügen und tendenziell älter sind. So sind nur knapp ein Viertel der Befragten Familien und die Altersgruppen ab 40 Jahren sind überrepräsentiert im Vergleich zur Grundgesamtheit des Planungsraums Schlossstraße.

    Altersverteilung im Planungsraum Schlossstraße
    Die Altersverteilung im Planungsraum Schlossstraße wurde in zwei Befragungen ermittelt (Daten: DLR 2020, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg).

    Mehr als zwei Drittel der Befragten haben mindestens einen Pkw im Haushalt und 20% verfügen über einen eigenen Pkw-Stellplatz. Im Vergleich zum Durchschnitt der Haushalte, die in der inneren Stadt von Berlin (etwa innerhalb des Berliner S-Bahnrings) leben, liegt die Pkw-Besitzquote damit etwas höher, denn hier verfügt weniger als die Hälfte der Haushalte über einen Pkw (Quelle: SrV 2013). Dennoch ist die Mobilität der Befragten in erster Linie durch das Zufußgehen und Radfahren geprägt.

    Meinung zum temporären Stadtplatz und zur Nutzung des öffentlichen Raums

    In der ersten Befragungswelle wurde die Frage gestellt, wie der öffentliche Raum generell aufgeteilt und welche Verkehrsteilnehmer:innen am meisten Platz erhalten sollten. Hier waren sich die Befragten relativ einig, dass Fußgänger:innen am meisten Platz erhalten sollten. 79% wollten dem Fußverkehr am meisten Platz zugestehen, was sich beispielsweise mit einer Umfrage des ADAC in Großstädten deckt.  Hier stimmen 42% der Befragten voll und ganz zu, dass die Flächen für den Verkehr in der Stadt zu Gunsten von Fußgängern und Fahrradfahrern neu verteilt werden sollten (ADAC 2020). Weitere 34% stimme dieser Aussage teilweise zu.

    Bewertung des temporären Stadtplatz in Charlottenburg
    Die Diagramme zeigen links die Einstellungen im Gesamtbild. In den Balkendiagrammen sind die Einstellungen nach Haushaltstyp, abhängig davon, ob Pkw vorhanden sind, und nach Altersgruppen aufgeschlüsselt (Daten: DLR 2020).

    Bei der Frage, wie die Meinung zum temporären Stadtplatz ausfällt, haben 42% eine positive und 13% eine neutrale Einstellung genannt. Gleichzeitig sehen 43% der Befragten den temporären Stadtplatz negativ und 2% haben sich (noch) keine Meinung gebildet. Ist mindestens ein Pkw im Haushalt verfügbar, fällt die Meinung zu einem temporären Stadtplatz weniger positiv aus als bei den Haushalten ohne eigenen Pkw. Dennoch zeigt sich, dass immerhin knapp die Hälfte der Befragten mit Pkw im Haushalt den Stadtplatz positiv bzw. neutral sehen.

    Besonders interessant ist die Abstufung anhand der Altersgruppen. Je älter die Befragten sind, desto stärker nimmt die positive Meinung über den Stadtplatz ab.

    Bewertung des temporären Stadtplatzes in Charlottenburg (gewichtet nach Altersgruppen)
    Das Diagramm zeigt die Einstellung der Befragten zum temporären Stadtplatz (Daten: DLR 2020).

    In der Altersgruppe der 18 bis 29-Jährigen bewerten mehr als zwei Drittel den Stadtplatz positiv, wohingegen in der Altersgruppe der 75-Jährigen und Älteren weniger als ein Drittel eine positive Meinung hat. Vor dem Hintergrund, dass die jüngeren Altersgruppen in der Befragung unterrepräsentiert sind, würde bei einer repräsentativen Besetzung der Altersgruppen die positive Meinung noch stärker zum Ausdruck kommen. Werden die Einstellungen zum temporären Stadtplatz nach Altersgruppen gewichtet, fallen die positiven Einstellungen mit 48 Prozent gegenüber 39 Prozent negativen Einstellungen deutlich höher aus.

    So könnten beispielsweise die knappen zeitlichen Ressourcen von Familien zu einer selteneren Teilnahme an der Haushaltsbefragung führen*. Gleichzeitig wird durch die abnehmende Zustimmung bei zunehmendem Alter deutlich, dass im Falle einer Umgestaltung insbesondere auch die Bedürfnisse älterer Menschen in den Blick genommen werden sollten, um im Rahmen einer intergenerationalen Stadtentwicklung Räume zu schaffen, die für eine Vielfalt an Menschen nutzbar sind.  

    * Schnell, Rainer. Nonresponse in Bevölkerungsumfragen: Ausmaß, Entwicklung und Ursachen. Opladen 1997.Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Esser, Elke. Methoden der empirischen Sozialforschung. München 2013. Stoop, Ineke/Billiet, Jaak/Koch, Achim/Fitzgerald, Rory. Improving Survey Response: Lessons learned from the European Social Survey. Chichester 2010

    Partizipationsveranstaltung am Stadtplatz
    Anwohnende äußern ihre Meinung zur Umgestaltung der Kreuzung und bringen weitere Ideen ein.
    Credit:

    DLR / Uta Bauer

    Nutzung des Stadtplatzes und veränderte Bedeutung

    Knapp ein Drittel der Befragten hat den Stadtplatz nicht genutzt. Bei der Untersuchung der Nutzungshäufigkeiten verschiedener Aktivitäten zeigt sich, dass die Diskussion auf dem schwarzen Brett sehr häufig verfolgt wurde, Austausch in der Nachbarschaft häufig auf dem Stadtplatz stattfand und an den Veranstaltungen (z.B. Flohmarkt, Kultur-Samstag, offene Diskussionsrunden) teilgenommen wurde. Hierdurch hat sich womöglich auch der Eindruck des Stadtplatzes verändert. Vor der Durchführung der Kreuzungsumgestaltung wurde der kleine Dreiecksplatz auf der Kreuzung in erster Linie als Transitraum verstanden. Nach der temporären Umgestaltung sehen mehr Personen die Fläche als Ort der Zusammenkunft/Nachbarschaft und als Wohlfühlort.

    Verschönerungsarbeiten am öffentlichen Platz
    Es wurden Baumscheiben am Stadtplatz gemeinsam begrünt, neue Sitzgelegenheiten gebaut und in offenen Versammlungen mit Kindern und Erwachsenen weitere Gestaltungsideen diskutiert.
    Credit:

    Nähring 2020

    Auswirkungen des Stadtplatzes: Finden eines Parkplatzes, Aufenthaltsqualität und die Nutzung des öffentlichen Raums sind die TOP 3

    Im Folgenden wird dargestellt, welche Auswirkungen der Stadtplatz aus der Sicht der Befragten hatte. Hierbei wird für insgesamt 19 Effekte gefragt, ob sich die Situation durch den temporären Stadtplatz verbessert, verschlechtert hat oder unverändert geblieben ist (Abbildung 5). Zudem konnten die drei individuell wichtigsten Effekte angekreuzt werden. Hier zeigt sich, dass das Finden eines Parkplatzes, die Aufenthaltsqualität und die Nutzung des öffentlichen Raums am häufigsten als wichtigste Effekte ausgewählt wurden. Bei der Situation der Parkplatzsuche hat sich nach Meinung der Befragten die Situation eindeutig verschlechtert, die Aufenthaltsqualität und die Nutzung des öffentlichen Raums haben sich hingegen verbessert.

    Insgesamt hat sich die Situation rund um den Autoverkehr – also die Bedingungen für den Autoverkehr sowie der Verkehr in angrenzenden Straßen – verschlechtert. Deutlich verbessert hat sich hingegen die Situation für Kinder/Familien, die Bedingungen für den Fußverkehr, die Verkehrssicherheit und die Querung des Platzes.

    In Bezug auf das Thema Lärm lässt sich feststellen, dass der Verkehrslärm durch den temporären Stadtplatz abgenommen hat. Gleichzeitig zeigt sich eine Verschlechterung in Bezug auf das Thema Freizeitlärm.

    Auswirkungen des temporären Stadtplatzes
    Das Diagramm zeigt, wie sich der temporäre Stadtplatz im Kiez um den Klausener Platz ausgewirkt hat. Die roten Umrandungen markieren Verbesserungen oder Verschlechterungen der Einschätzung von 50% und mehr (Daten: DLR 2020).
    Umgestaltung am temporären Stadtplatz
    Zur Umgestaltung gehörten auch Entspannungsecken mit Informationsboards und Bepflanzungsmöglichkeit.
    Credit:

    Nähring 2020

    Gestaltungsideen für einen dauerhaften Stadtplatz

    Ob der temporäre Stadtplatz in eine dauerhafte Variante überführt werden sollte, wurde ebenfalls unterschiedlich gesehen. 45% der Befragten haben hierzu eine positive Meinung geäußert, 9% stehen dieser Veränderung neutral gegenüber und 45% sehen eine dauerhafte Umgestaltung kritisch (siehe Abbildung 6). Dabei zeigt sich deutlich, dass die Anwohner:innen, die näher am Stadtplatz leben (Gebiet A) das Vorhaben kritischer sehen als die Anwohner:innen des äußeren Straßenrings.

    Einstellung zu einer dauerhaften Umgestaltung des Klausenerplatzes
    Befragungen zur Wahrnehmung des Stadtplatzes zeigen, dass die Anwohnenden die Umgestaltung entfernungsabhängig unterschiedlich aufnehmen (Daten: DLR 2020).

    Dies kann möglicherweise durch die Sorgen einiger Befragten erklärt werden, die insbesondere die direkten Anwohner:innen betreffen. In einem Freitextfeld wurden hier die wegfallenden Parkplätze, Müll sowie das Thema Lärm („Nachtlärm“, „Kinderlärm“) als Probleme benannt. Zudem wurden die Gestaltung und die Passierbarkeit durch Einsatzfahrzeuge genannt. Diese beiden Themen würden sich allerdings bei einer dauerhaften Umgestaltung erledigen, da dies spezifische Themen der temporären Gestaltung waren. Insgesamt zeigt sich, dass – wie bei anderen Umgestaltungen im öffentlichen Raum (z.B. Fußgängerzone am Lausitzer Platz) die wegfallenden Parkplätze sowie das Thema Lärm die hauptsächlichen Sorgen der Anwohner:innen sind, sodass hier innovative Lösungen im Rahmen der Umgestaltung des öffentlichen Raums gefragt sind.

    Werden die Einstellungen zur Einrichtung eines dauerhaften Stadtplatzes  nach Alter gewichtet, fallen positive Einstellungen noch einmal wesentlich höher aus.

    Einstellung zu einer dauerhaften Umgestaltung zum Stadtplatz (nach Altersgruppen gewichtet)
    Das Diagramm zeigt die Einstellung der Befragten zu einer dauerhaften Umgestaltung des Klausenerplatzes, gewichtet nach dem Alter (Daten: DLR 2020).

    Bei der Befragung zur Gestaltung eines dauerhaften Stadtplatzes haben die Anwohnenden klare Vorstellungen. Es zeigt sich, dass die wichtigsten Gestaltungselemente und Nutzungen die folgenden sind: Begrünung/Biodiversität, Ort zum Ruhen/Sitzen, Spielen/Aufenthalt für Kinder und Veranstaltungen, (z.B. Kulturveranstaltungen, Markt). Hervorzuheben ist, dass sich diese Aussagen über alle Altersgruppen konstant verhalten. Das bedeutet, dass diese Elemente bei allen Altersgruppen unter den ersten drei meistgenannten Variablen wiederzufinden sind, es ergeben sich nur geringfügige Unterschiede in der Rangfolge. Sofern bei einer Verstetigung des Stadtplatzes diese Elemente berücksichtigt werden, können somit die Bedürfnisse aller Altersgruppen befriedigt werden. Zusätzlich wurden auch hier noch in einem offenen Textfeld Anregungen hinterlassen, wie beispielsweise sichere Radwege, Reinigungs-/Pflegekonzept oder alternative Parkplätze.

    Gestaltungsideen im Rahmen einer dauerhaften Umgestaltung zum Stadtplatz
    Die Anwohnenden wurden ebenfalls befragt, wie eine dauerhaft Umgestaltung genau aussehen könnte. Die meistgenannten Elemente sind dabei über alle Altersgruppen hinweg konstant (Daten: DLR 2020).

    Kontakt

    Dr. Uwe Drewitz

    Abteilungsleiter
    Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
    Institut für Verkehrsforschung
    Räume in Mobilitäts- und Transportsystemen
    Rudower Chaussee 7, 12489 Berlin

    Team der Öffentlichkeitsarbeit

    Kommunikation & Presse
    Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
    Institut für Verkehrsforschung
    Instituts- und Strategieplanung
    Rudower Chaussee 7, 12489 Berlin