Bericht aus der DLR-NASA-Bettruhestudie: Wie liegt es sich 60 Tage lang?
In diesem Blog zur DLR-NASA-Bettruhestudie „Sensorimotor Countermeasures Study (SMC)” berichten wir aus dem Leben der Probandinnen und Probanden sowie von der Arbeit des großen Teams drumherum und was es bedeutet, Teil einer solch großen Studie zu sein.
Wie wirkt sich die Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper aus? Und was können wir gegen die negativen Effekte tun? Bettruhestudien dienen hier auf der Erde als Modell, um die Auswirkungen der Schwerelosigkeit bei astronautischen Missionen auf den menschlichen Körper nachzustellen – und so Reaktionen, Auswirkungen und Gegenmaßnahmen untersuchen zu können. Für die aktuelle DLR-NASA-Bettruhestudie liegen unsere Probandinnen und Probanden nach einer zweiwöchigen Eingewöhnungs- und Vorbereitungsphase, innerhalb derer sie viele Tests und Experimente absolviert haben, nun schon seit über sechs Wochen in ihren um sechs Grad zum Kopf hin geneigten Betten. Diese Position verlassen sie für insgesamt 60 Tage nicht: Alle Untersuchungen, Test- und Alltagssituationen wie Essen und Duschen werden im Liegen durchgeführt.
Heute berichten wir über das Leben unserer Probandinnen und Probanden in der Studie. Wir haben sie gefragt, wie sie die bisherige Zeit erlebt haben, und wie es ihnen als terrestrischen Astronautinnen und Astronauten so geht. Alle haben sich mittlerweile sehr gut in die Bettruhe eingefunden und der Eine oder die Andere könnte sich sogar vorstellen, die Bettruhe beizubehalten. Das geht natürlich nicht, alle „müssen“ nach 60 Tagen wieder aufstehen und das dann folgende zweiwöchige straffe Reha- und Sportprogramm absolvieren, bevor sie wieder nach Hause entlassen werden. Außerdem ist diese Phase für die Wissenschaft entscheidend, um den Einfluss der Bettruhe auf das Gleichgewicht und die Auswirkungen der Gegenmaßnahmen für die Aufrechterhaltung von Balance und Gang zu erforschen.
Ein neuer Rekord: 100 Tage Bettruhe – allerdings nicht am Stück
Einer unserer Probanden hat gerade einen besonderen Rekord gebrochen: Er hat den 100. Tag Bettruhe erreicht! Allerdings nicht in einer einzelnen Studie, sondern in drei verschiedenen. Er nahm bereits 2017 an der VaPER-Studie und 2021 an der SANS-Studie teil, die beide eine 30-tägige Bettruhe beinhalteten. Als „alter Hase“ war ihm jetzt vieles schon bekannt. Allerdings sei jede Gruppe anders, und auch die Abläufe in der Studie werden immer wieder angepasst und effizienter. Er brauche immer etwa vier bis sechs Tage, bis er sich an die Bettruhe gewöhnt habe, dann laufe alles in geregelten Bahnen. Auch die Freizeitgestaltung im Team der Probandinnen und Probanden variiert immer etwas: Dieses Mal war gemeinsames Filmeschauen angesagt, die letzten Male standen mehr Gesellschaftsspiele auf dem Programm. Er sei sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Studie und würde sich auch ein viertes Mal wieder bewerben.
Eine der „Erstlings“-Probandinnen berichtet von ihrem Einzugstag: Sie hätte sich direkt heimisch gefühlt und wäre sehr gut sowohl im Team des DLR als auch im Probandenteam aufgenommen worden. Die Gewöhnung an die Bettruhe hätte bei ihr zwei bis drei Tage gedauert, dann hätte sie sich darauf eingelassen, und die Zeit verginge seitdem wie im Flug. Die körperlichen Veränderungen beobachte sie mit großem Interesse und sie sei schon sehr gespannt auf das Aufstehen. Die Angst, aus Versehen aufzustehen, hätte sie mittlerweile abgelegt, auch wenn sie einmal davon geträumt habe: Im Traum wäre sie völlig aufgelöst gewesen, weil sie „die wichtigen NASA-Daten“ verfälscht habe – glücklicherweise hätte sie diese Sorge nach dem Aufwachen dann aber wieder ablegen können. Ansonsten schreibe sie fleißig an ihrer Masterarbeit und werde sie auch noch innerhalb der Dauer der Studie abgeben.
Eine weitere neue Probandin fühlte sich auch direkt gut aufgehoben in der Studie: Durch die ausführliche Vorbereitung und die Beschäftigung mit dem Thema sei es sehr einfach gewesen, sich in die Abläufe und das Team einzufinden. Alle wären sehr motiviert und voller Leidenschaft für die Sache. Die vielen Experimente und Tests seien sehr gut organisiert, und bei allen Fragen werde Hilfe angeboten. Zu Anfang der Bettruhe fand sie es etwas beschwerlich, sich zu bewegen und die Liege-Regeln einzuhalten, alle Aktivitäten dauerten länger in dieser Lage. Im normalen Leben mache sie viel Sport und dachte, dass sie das in der Studie vielleicht vermissen könnte. Aber auch das sei nicht eingetreten, und sie könne diese besondere Situation genießen. Auch das Essen spiele dabei eine wichtige Rolle: Die vielseitigen Gerichte seien immer sehr liebevoll und schmackhaft zubereitet.
Ein weiterer Proband berichtet ebenfalls, dass er sich der Routine angepasst und dass er wenig Zeit habe, um sich zu langweilen. Die ersten Tage der Bettruhe seien mit Kopf- und Rückenschmerzen etwas anstrengender gewesen, das sei aber nach einer Woche vorbei gewesen. Sein Nachbar im nächsten Einzelzimmer hätte nicht erwartet, dass die Crew der Probandinnen und Probanden so passend ausgewählt sei und so gut harmoniere. Mittlerweile seien alle Profis und die Studie würde wie am Schnürchen laufen. Bei den Experimenten und Tests habe er Ehrgeiz entwickelt und das helfe ihm, sich immer wieder zu motivieren. Die Zeit vergehe auch für ihn wie im Flug und er schaue ganz entspannt auf den Tag des Aufstehens und die herausfordernden Tage danach.
Carpe diem: Vorbereitungen auf das Staatsexamen
Auch unter den Probandinnen gibt es dieses Mal eine „Wiederholungstäterin“: Sie ist zum zweiten Mal dabei und berichtet, dass die Wochen nur so verfliegen würden und sie kaum glauben könne, dass der Großteil der Studie schon vorbei sei. Sie sei aber auch ausgelastet: Sie bereite sich in der Studie auf ihr erstes Staatsexamen vor und schreibe jede Menge Probeklausuren – das ginge auch im Liegen! Eine andere Probandin wiederum ist zum ersten Mal dabei und berichtet, dass sie beim Einzug sehr aufgeregt und neugierig gewesen sei. Die ersten Tage mit vollem Terminkalender mit Experimenten, Tests und Untersuchungen ließen ihr kaum Zeit zum Nachdenken und sie hätte sich schnell einfinden und Teil des Teams werden können. Wichtig sei ihr der Austausch mit den anderen Probandinnen und Probanden, immer wieder besuchten sie sich gegenseitig in ihren Zimmern. Das Training in der Gruppe der Gegenmaßnahmen wäre herausfordernd und mache ihr großen Spaß. Auch die Ernährung sei abwechslungsreich und gesund. Vermissen würde sie allerdings Kaffee. Die Umstellung auf die Kopftieflage habe schon ein paar Tage gedauert und auch mental müsse man sich an die neue Situation gewöhnen. Aber in dem Studienumfeld sei ihr das leichtgefallen und die Studie sei für sie eine außerordentliche Erfahrung.
Eine weitere Probandin, die bereits das zweite Mal dabei ist, fand vor allem die ersten Tage der Studie mit der Eingewöhnung in alle Abläufe und Tests sehr interessant. In den ersten Wochen seien auch NASA-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler da gewesen, die ihnen zusammen mit dem DLR-Team alle Feinheiten und Hintergründe erklärten. Vor allem die Balance-Tests und die Experimente zum Stoffwechsel wären sehr spannend. Sie beschäftige sich sonst vor allem mit Lesen, Telefonaten und Online-Fortbildungen in ihrem Berufsfeld Krankenpflege, „um auch meinen Kopf zu beschäftigen“.
Als weniger spektakulär als gedacht empfand eine weitere Probandin das Hinlegen und damit den Start der 60-tägigen Bettruhe: Man lege sich eben ins Bett und stehe einfach nicht mehr auf. Die ersten zwei Wochen vor dem Hinlegen wären sehr aufregend und interessant gewesen: Es gab sehr viele Informationen zum eigenen Körper und den wissenschaftlichen Fragestellungen. In ihrer Freizeit orientiere sie sich beruflich und arbeite ehrenamtlich bei den Pfadfindern – das ginge auch online sehr gut, da sie an Sitzungen teilnehmen und an einem Jahresbericht arbeiten könne. Die gemeinsamen Filmabende mit den anderen aus dem Probandenteam wären immer eine sehr schöne Gelegenheit, sich zu treffen und auszutauschen. Die Nachbarin im Zimmer nebenan ist eine ehemalige Leistungssportlerin. Sie berichtet, dass sie die Zeit in der Studie nutze, um sich beruflich neu zu orientieren, sie führe sogar im Liegen Bewerbungsgespräche durch. Die Zeit hier helfe ihr auch, zur Ruhe zu kommen und sich klar zu werden, was sie im Leben noch anfangen möchte. In der Studie könne man sich auf sich selbst konzentrieren und die Auszeit nutzen: Andere gingen für drei Monate ins Ausland, sie finde sich hier neu und belege online verschiedene Fortbildungen und Coachings.
Alle Probandinnen und Probanden betonten, wie gut die Stimmung im gesamten Team sei und wie viel Spaß das DLR-Team an seiner Arbeit hätte. Solch ein Lob hören wir natürlich gerne und geben das auch sehr gerne zurück: Ihr seid super, liebe Probandinnen und Probanden!
Weiterführende Links
- Blogbeitrag: Vom Liegen und Lernen: Über Saiten, Seitenlage und Selbsterkenntnis
- Blogbeitrag: Bergfest in der Bettruhestudie
- Blogbeitrag: Nach drei Wochen Bettruhe: Daumen hoch für das Ernährungsteam!
- Blogbeitrag: Liegen für die Wissenschaft: Neue NASA-Bettruhe-Studie im :envihab am DLR gestartet
- Blogbeitrag: 400 Kilometer voneinander entfernt und doch verbunden: Meine Analog-Mission mit der Crew auf der ISS
- Bettruhestudien am DLR
- Probandensuchen am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin
- Die luft- und raumfahrtmedizinischen Forschungsanlage :envihab
- Website des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin
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