16. Juni 2023

Flugschwingungstest – Datenanalyse in Echtzeit mit künstlicher Intelligenz

Flugschwingungstest – Datenanalyse in Echtzeit mit künstlicher Intelligenz
Messpunkte und Datenverarbeitung am DLR-Forschungsflugzeug ISTAR im Flug

Flugzeugstrukturen sind aufgrund ihrer Leichtbauweise anfällig für Schwingungen. Diese sind in den meisten Fällen unkritisch. Sie klingen aufgrund von Dämpfungseffekten durch Kräfte aus Aerodynamik und Struktur von selbst ab. Variierende Flugbedingungen wie Fluggeschwindigkeit, Flughöhe und Temperatur haben einen großen Einfluss auf das Dämpfungsverhalten. Bei Flugschwingungsversuchen wird das komplexe aeroelastische Verhalten eines Flugzeugs experimentell ermittelt, um sicherzustellen, dass keine kritischen Schwingungen innerhalb des Flugbereichs auftreten können. Das DLR-Institut für Aeroelastik hat seine Flugversuchsmethoden durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz verbessert, um schnellere und noch zuverlässigere Daten zu erhalten.

Das Flatterphänomen

Ein bekanntes Schwingungsphänomen ist das „Flattern“. Beim Flattern von Flugzeugen können Eigenschwingungsformen (Moden) miteinander koppeln. Hierbei verschieben sich deren Frequenzen insbesondere auch aufgrund aerodynamischer Einflüsse. Die Dämpfung von einem Mode wird dabei null oder negativ. Um Instabilitäten zu verursachen, ist nur eine erste kleine Störung erforderlich, deren Amplitude rasant ansteigt. Die permanente Anregung durch äußere Kräfte ist nicht erforderlich, um große Schwingungen zu erzeugen. Dies wird als "selbsterregte Schwingungen" bezeichnet.

Systemidentifikation am Boden und in der Luft

Vor dem Erstflug eines Flugzeugprototyps wird ein Standschwingungsversuch durchgeführt, um eine strukturdynamische Identifizierung des gesamten Flugzeugs am Boden zu erhalten. Die Ergebnisse umfassen modale Parameter wie Eigenfrequenzen, Dämpfungsmaße und Schwingungsformen in dem interessierenden Frequenzbereich. Bei diesem Versuch werden aerodynamische Effekte explizit ausgeschlossen, um das Strukturmodell für die weitere Freigabe des ersten Fluges zu aktualisieren. Ein Beispiel für einen Standschwingungsversuch finden Sie im folgenden DLR-Artikel (ISTAR Standschwingungsversuch). Da sich das Schwingungsverhalten eines Flugzeugs mit variierenden Flugbedingungen ändert, wird der Flugbereich während der Flugversuchskampagne eines Flugzeugprototyps sukzessive erweitert, um die vorhergesagte aeroelastische Stabilität in Form von Eigenfrequenzen und Dämpfungsverhältnissen bei unterschiedlichen Flugbedingungen zu überprüfen. Typischerweise wird eine künstliche Anregung mit speziellen Steuerflächeneingaben oder anderen externen Anregungsvorrichtungen verwendet, um das Flugzeug vibrieren zu lassen und das aeroelastische Verhalten zu analysieren. Das DLR-Institut für Aeroelastik propagiert eine Methode, die die natürliche Turbulenz als einzige Anregungsquelle während des Fluges nutzt.

Output-Only Modalanalyse

Die Identifikation der modalen Parameter von Flugzeugen während des Standschwingungsversuchs ist eine Kernkompetenz des Instituts für Aeroelastik. In den letzten Jahren wurden die experimentellen Identifikationsmethoden so erweitert, dass die modalen Parameter eines Flugzeugs auch im Flug ohne weitere künstliche Anregung identifiziert werden können [1-4]. Häufig ist hierfür die Anregung durch die turbulente Strömung ausreichend. Da die Anregungskräfte jedoch nicht gemessen werden können, basieren die Verfahren ausschließlich auf den gemessenen Antwortsignalen des Flugzeugs ("output-only Modalanalyse"). Die Modalanalyse ist ein komplexes Identifikationsverfahren und wird daher von geschulten Ingenieuren angewandt. Die zugrundeliegenden mathematischen Algorithmen sind durch effiziente Programmierung so beschleunigt worden, dass die Modalparameter innerhalb weniger Sekunden zur Verfügung stehen. Die Bedienung durch einen Ingenieur und Eingaben auf einer Softwareoberfläche wären jedoch in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Daher übernehmen in dieser Arbeit autonome Algorithmen die Aufgaben des Ingenieurs, was durch die drei folgenden Erweiterungen der Basismethoden beschrieben wird.

1. Autonome Analyse mit künstlicher Intelligenz

Die Hauptaufgabe der Modalanalyse besteht darin, aus vielen möglichen, mathematischen Lösungen, die physikalisch korrekten Lösungen zu extrahieren. Dies wird manuell über ein sogenanntes Stabilisierungsdiagramm (Bild a) gelöst. Für die autonome Analyse wird nun ein mehrschichtiges Clustering verwendet (Bild b). Dies ist eine Methode des unüberwachten maschinellen Lernens.

Modalanalyse - Autonome Analyse des Stabilisierungsdiagramms

2. Optimierung der Hyperparameter

Sowohl für das Clustering als auch für die Identifikationsverfahren müssen Einstellungsparameter festgelegt werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Im Bereich des maschinellen Lernens werden diese Parameter als Hyperparameter bezeichnet. Um eine zeitaufwändige manuelle Anpassung der Hyperparameter zu vermeiden, wurde ein System entwickelt, das diese mit Hilfe von Gaußschen Prozessen halbautonom optimiert. Das intelligente System kann sich somit selbst z.B. für einen neuen Prototypen einlernen [5].

Modalanalyse - Optimierung der Einstellungsparameter

3. Datenfusion - Kombination verschiedener Analyseverfahren

Da sich während eines Fluges die Randbedingungen ständig ändern können, sind die Unsicherheiten der Modalidentifikationsverfahren größer als beispielsweise bei einem Standschwingungsversuch im Labor. Um diese Unsicherheiten zu reduzieren, wurde das Analysesystem um verschiedene Identifikationsverfahren erweitert. Nun können unterschiedliche Verfahren (z.B. Zeitbereichsverfahren und Frequenzbereichsverfahren) mit unterschiedlichen Stärken parallel eingesetzt werden. Die Ergebnisse dieser Verfahren werden automatisch fusioniert, sodass die Vorteile beider Ansätze kombiniert werden können [6].

Modalanalyse - Kombination verschiedener Analyseverfahren

Erfolgreiche Anwendung der Verfahren

Die entwickelten Methoden wurden erfolgreich während eines Standschwingungsversuchs in Braunschweig [7], einer Windkanalkampagne im Europäischen transsonischen Windkanal (ETW) in Köln, einer UAV Flugtestkampagne in Cochstedt [5, 8] und final an Bord des DLR Forschungsflugzeugs ISTAR demonstriert.

Zukünftige Weiterentwicklung

Für die Zukunft ist eine weitere Reduktion der Unsicherheitsgrenzen für Dämpfungsschätzungen geplant, um Echtzeitmethoden nicht nur für Flugschwingungstest, sondern auch für weitere Anwendungen, bei denen eine Online-Identifizierung erforderlich ist, bereitzustellen.

Literatur

  1. Jelicic, Goran und Schwochow, Jan und Govers, Yves und Hebler, Anne und Böswald, Marc (2014) Real-time assessment of flutter stability based on automated output-only modal analysis. International Conference on Noise and Vibration Engineering - ISMA, 15.-17. Sept. 2014, Leuven, Belgien.       
  2. Jelicic, Goran und Schwochow, Jan und Govers, Yves und Böswald, Marc (2016) Automatische Schwingungsüberwachung von aeroelastischen Systemen. VDI-Berichte, 2259, Seiten 211-222. VDI-Verlag. VDI-Fachtagung Schwingungsanalyse und Identifikation, 15.-16. Mrz. 2016, Fulda, Deutschland. ISBN 978-3-18-092259-1. ISSN 0083-5560.
  3. Böswald, Marc und Schwochow, Jan und Jelicic, Goran und Govers, Yves (2017) New concepts for ground and flight vibration testing of aircraft based on output-only modal analysis. International Operational Modal Analysis Conference - IOMAC, 10.-12. Mai 2017, Ingolstadt, Deutschland. ISBN 978 3 8440 5247 3. ISSN 1610-4773.
  4. Jelicic, Goran und Schwochow, Jan und Govers, Yves und Sinske, Julian und Buchbach, Ralf und Springer, Julian (2017) Online monitoring of aircraft modal parameters during flight test based on permanent output-only modal analysis. 58th AIAA/ASCE/AHS/ASC Structures, Structural Dynamics, and Materials Conference - AIAA SciTech, 09.-13. Jan. 2017, Grapevine, Texas, USA. doi: 10.2514/6.2017-1825.
  5. Volkmar, Robin und Soal, Keith Ian und Govers, Yves und Böswald, Marc (2022) Experimental and operational modal analysis: Automated system identification for safety-critical applications. Mechanical Systems and Signal Processing (MSSP), 183 (109658). Elsevier. doi: 10.1016/j.ymssp.2022.109658. ISSN 0888-3270.
  6. Volkmar, Robin und Soal, Keith Ian und Govers, Yves und Böswald, Marc (2022) Optimization of time and frequency domain methods for real-time modal parameter identification of aircraft. International Conference on Noise and Vibration Engineering - ISMA, 12.-14. Sep. 2022, Leuven, Belgium.
  7. Volkmar, Robin und Soal, Keith Ian und Buchbach, Ralf und Sinske, Julian und Govers, Yves und Böswald, Marc (2022) Semi-autonomous analysis of large aircraft ground vibration tests. International Forum on Aeroelasticity and Structural Dynamics - IFASD, 13.-17. Jun. 2022, Madrid, Spanien.
  8. Soal, Keith Ian und Thiem, Carsten und Meier, Tobias und Volkmar, Robin und Sinske, Julian und Govers, Yves und Böswald, Marc (2022) Embedded flight vibration testing system for online flutter monitoring of UAVs. International Forum on Aeroelasticity and Structural Dynamics - IFASD, 13.-17. Jun. 2022, Madrid, Spanien.

Autor 

Robin Volkmar, Abteilung Strukturdynamik und Systemidentifikation, DLR-Institut für Aeroelastik

Kontakt

Dr. Marc Böswald

Leitung Strukturdynamik und Systemidentifikation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aeroelastik
Bunsenstr. 10, 37073 Göttingen