Wenn Geräte miteinander reden lernen - Diehl Aviation & Boeing
Dass Sensoren in verschiedensten Geräten allerlei Daten sammeln, ist an sich nichts Neues. Auch in der Flugzeugkabine tun sie das schon lange. So werden die Funktionen der Kaffeemaschine genauso überwacht wie die Elektronik in den Sitzen. Der Wasserverbrauch wird ebenso registriert wie die benötigte elektrische Energie. Doch bisher arbeitet jedes Gerät ganz für sich allein. Die Daten mit anderen Anwendungen zu teilen, war keine Option.
„Als wir mit i+sCabin begannen, war die Flugzeugkabine aus Datensicht eine „Blackbox“. Die wollten wir erhellen“, beschreibt Lothar Trunk den Ausgangszustand. Für den Konsortialführer Diehl Aerospace koordinierte der Luftfahrtingenieur das LuFo-Projekt i+sCabin und dessen Nachfolger i+sCabin2.0.
Einerseits arbeiten noch manche Systeme analog. Und andererseits verschenkt man durch den fehlenden Datenaustausch untereinander und mit der Bodenstation einen großen Teil der potenziellen Funktionalität, die in diesen Daten liegt
ergänzt Jens Schiefele. Er ist für Jeppesen, eine Boeing-Tochter, an den i+sCabin-Projekten beteiligt. So müsse der Passagier einerseits seinen Sitz von Hand bewegen, den Bildschirm durch Tastendruck einschalten, die Laut- und Leise-Tasten bedienen, meint er. Und andererseits würden beispielsweise Fehlermeldungen von Kaffeemaschine oder Sitz von der Crew händisch in Logbuch eingetragen und nach der Landung dem Bodenpersonal mitgeteilt. „Die Idee war nun, möglichst viele Geräte – unabhängig von deren Zweck und Hersteller – in einer Flugzeugkabine zu vernetzen.“
Ein neuer Standard wird aus der Taufe gehoben
Dass sie sich da kein einfaches Unterfangen vorgenommen hatten, war Lothar Trunk und Jens Schiefele klar. Denn um ihren Plan in die Tat umzusetzen, war nichts Geringeres nötig, als einen neuen Kommunikationsstandard für Geräte in der Luftfahrt aus der Taufe zu heben. Das ist rein technisch schon mal eine große Herausforderung. Denn jedes Gerät hat seine ganz eigenen Methoden und Protokolle, mit den gesammelten Daten zu verfahren. Dass sich die Hersteller da in die Karten schauen lassen und sogar mit ihren Mitbewerbern an einem Tisch sitzen, ist eine weitere Herausforderung. Und die Grundvoraussetzung dafür, dass ein Standard auch später von der Branche angenommen wird.
Ohne LuFo, da ist Lothar Trunk sicher, hätte das nie funktioniert. „Denn man muss eine kritische Masse an Akteuren an einen Tisch bekommen, um einen Standard zu etablieren“, erklärt er. „Und deshalb wurden bewusst auch Konkurrenten auf den verschiedenen Gebieten ausgesucht. Außerhalb eines großen Forschungsprojekts wie LuFo wäre das wohl kaum möglich gewesen.“ Die Liste der Akteure liest sich deshalb auch wie das Who is who der Luftfahrt: Bühler Motor Aviation, Diehl Aviation, Jeppesen, Safran Cabin, Thales Deutschland, Adient Aerospace, die Duale Hochschule Baden-Württemberg und die TU Hamburg. Als assoziierte Partner waren Airbus Operations, ANS, Boeing, NEVEON Austria und Thales mit im Boot. Der Einsatz hat sich gelohnt. „Im ersten Projekt haben wir uns auf die Entwicklung eines einheitlichen Kommunikationsstandards für Kabinengeräte konzentriert“, erzählt Lothar Trunk. „Den haben wir dann schließlich auch gemeinsam aus der Taufe gehoben.“ Der Standard heißt ARINC 853 Cabin Secure Media-Independent Messaging und gilt nun für alle Geräte in der Kabine.
„Besonders stolz sind wir darauf, dass die Ergebnisse des ersten iCabin Projekts 2019 in den ecoDemonstrator von Boeing eingeflossen sind“, freut sich Jens Schiefele. Der ecoDemonstrator (ecoD) ist eine Boeing 777, mit der das Unternehmen neueste Technologien testet. „Damit sind die Kollegen aus Seattle nach Frankfurt gekommen und haben die Systeme der Luftfahrtindustrie, der Politik, aber auch Schulen, und der Öffentlichkeit am Frankfurter Flughafen vorgestellt.“
Besseres Reiseerlebnis und schnellere Wartung
Der erste Schritt hin zur intelligenten Kabine war geschafft. Nun ging es darum, aus der Vernetzung der Geräte auch zusätzlichen Nutzen zu generieren. Darüber waren sich alle Projektpartner einig. Und auch dass es wieder ein LuFo-Projekt werden sollte. „Ich bin ein Kind des LuFo“, sagt Jens Schiefele lachend. „Es war die erste Auflage des Programms, über die ich meine Dissertation finanziert bekommen habe.“ Und auch Lothar Trunk ist vor über 20 Jahren über das Förderprogramm zu seinem heutigen Arbeitgeber gekommen. Im Jahr 2022 ging dann i+sCabin 2.0 an den Start.
„Unser Ziel war es nun, die Daten aus der Kabine mit den Bodenstationen auszutauschen“, erklärt Lothar Trunk. Dort sollten sie dann auch mithilfe von Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz verarbeitet und ausgewertet werden. „Darauf können dann verschiedenste Anwendungen aufbauen, die zum Beispiel das Reiseerlebnis für die Passagiere maximieren“, freut sich Jens Schiefele und beschreibt seine Vision. Der Passagier von morgen könnte dann sein Essen schon vorab am Smartphone ordern und seinen Film auswählen. Seinen Sitzplatz habe er bereits zu Hause reserviert und am Smartphone sehe er, ob das Gepäckfach über ihm belegt sei. Hätte er es sich dann bequem gemacht, könne er seinen Sitz übers Smartphone genauso steuern wie den Monitor und das Videosystem vor ihm.
Doch es geht nicht nur darum, den Flug an sich komfortabler zu machen. Auch Wartung und Instandhaltung können vom neuen Standard profitieren. „Die Elektronik in den Sitzen oder in den Bordgeräten wie der Kaffeemaschine weiß, wenn es einen Defekt gibt“, nimmt Lothar Trunk den Faden auf. „Geht heute während des Fluges etwas kaputt, wird das angezeigt und die Crew hält das handschriftlich im Logbuch fest.“ Nach der Landung muss das Wartungspersonal erst das Logbuch lesen, dann den Fehler analysieren, Ersatzteile bestellen und schließlich einbauen. Das kostet wertvolle Zeit, die das Flugzeug am Boden bleiben muss – oft auch zum Ärger der Fluggäste. „Mit i+sCabin 2.0 können wir diesen Prozess beschleunigen“, sagt Jens Schiefele. „Denn das Gerät meldet seinen Defekt direkt an die Bodenstation. Nach der Landung wartet das Wartungspersonal bereits mit dem passenden Ersatzteil. Die Reparatur ist dann im Handumdrehen erledigt.“
Gemeinsame Vision schafft riesige Anwendungsmöglichkeiten
Neben den eigentlichen Forschungsvorhaben profitierten die Projektpartner dabei noch auf ganz andere Weise vom LuFo-Programm. Denn wenn Hersteller, Zulieferer, Flugzeugbetreiber und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten, dann treffen oftmals verschiedene Welten zusammen. Für Jens Schiefele war das eine Bereicherung, die man nicht unterschätzen darf. Gerade die jüngeren Kollegen hätten auf diese Weise eine Chance, auch mit anderen Unternehmen in Kontakt zu kommen, andere Denk- und Herangehensweisen zu erleben und andere Firmenkulturen kennenzulernen. „Das gehört für mich mit zum Spannendsten an LuFo-Projekten“, sagt er. „Und mal ehrlich, so einen Standard bekommt man nur entwickelt, wenn viele Menschen mit unterschiedlichem Background und Industrieinteressen zusammenarbeiten und ein gemeinsames Ziel verfolgen.“ Lothar Trunk sieht das genauso und verweist auf Boeing.
Die Kollegen aus Seattle sind ja als assoziierter Partner im Projekt. Sie müssen ihr eigenes Geld mitbringen und werden nicht gefördert
sagt er. „Trotzdem kamen sie mit einer namhaften Mannschaft regelmäßig zu unseren Workshops und haben ihre Expertise eingebracht.“ Das habe in großem Maße zum Gelingen beigetragen, lobt er weiter. Und auch die Amerikaner hätten das LuFo-Programm sehr schätzen gelernt, fügt er hinzu. Vor allem die Qualität, mit der hier gearbeitet wird, hätte nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Nach zwei erfolgreichen LuFo-Projekten ist der Grundstein für die intelligente Flugzeugkabine der Zukunft nun gelegt. Und auch die ersten Anwendungen sind auf den Weg gebracht. „Doch das ist erst der Anfang“, sagt Jens Schiefele euphorisch. „Denn die Anwendungsmöglichkeiten sind riesig und es ist noch längst nicht alles ausgelotet. Gerade bei unserem großen Ziel der Dekarbonisierung der Luftfahrt haben wir in der Kabine erst angefangen.“ Diese Tatsache und weil aller guten Dinge bekanntlich drei sind, hat das Konsortium ein weiteres LuFo-Projekt um die intelligente Kabine aus der Taufe gehoben. Das geht als Teil von LuFo VII an den Start. Doch das ist eine Geschichte, die ein andermal erzählt wird.
Text: Kai Dürfeld