Vom All auf die Schiffsbrücke – Satellitendaten und Eisvorhersagemodelle helfen bei der Navigation im Eis
Schauen, wo sich die Polarstern befindet – das ist momentan mein erster Akt am Morgen, noch bevor die Kinder wach sind. Gefolgt von einem Check, welche Satellitenaufnahmen über Nacht neu reingekommen sind, und wie sich die Meereislage verändert hat.
Ich bin Ingenieurin für Elektrotechnik mit Schwerpunkt auf digitaler Signalverarbeitung. Eines meiner Spezialgebiete ist in den letzten Jahren die Eisdrift geworden. Denn die Auswirkungen des Klimawandels bereiten mir Sorgen, wie vielen Forscherinnen und Forschern. Mitzuhelfen, die langfristigen Veränderungen im Eis zu verstehen, ist mir wichtig.
Derzeit unternimmt das Alfred-Wegener-Institut für Meeres- und Polarforschung (AWI) mit dem Forschungseisbrecher Polarstern eine Expedition in der zentralen Arktis. An verschiedenen Stationen werden physikalische, (bio)geochemische und biologische Werte gemessen, um die großräumigen Veränderungen in der Atmosphäre, dem Meereis und dem Ozean zu bestimmen.
Doch das Gebiet um den Nordpol ist trotz des beispiellosen Verlustes von arktischen Meereis schwer zu erreichen, denn Meereis unterliegt ständigen Veränderungen. Innerhalb weniger Stunden können Winde und Meeresströmungen große Eismassen zusammenschieben. Hält der Druck weiter an, stapeln sich Eisschollen über- und untereinander. So gebildetes Packeis kann meterdick werden und auch für Eisbrecher unpassierbar sein. Andernorts können entgegengesetzte Kräfte das Meereis aufbrechen und offene Fahrrinnen bilden. Das Schiffsradar ist unerlässlich bei der Suche nach einer sicheren Route durch das Eis. Jedoch besitzt es nur eine begrenzte Reichweite von wenigen Kilometern. Einen großflächigeren Blick auf das polare Meereis gewähren Erdbeobachtungssatelliten. Sie liefern Bilder der Erde aus einer Höhe von mehreren hundert Kilometern und erreichen auch entlegene Regionen der Erde. Regionen, die für den Menschen nur schwer zugänglich sind.
Der deutsche Radarsatellit TerraSAR-X, der vom DLR betrieben wird, überfliegt mehrmals am Tag die Arktis. Jedes Mal kann er dabei Aufnahmen vom Meereis machen – dank seiner aktiven Radarantenne bei jedem Wetter, durch Wolken und in Dunkelheit. Aus den empfangenen Radarsignalen lassen sich verschiedene Meereiseigenschaften ableiten, die Aufschluss über die Navigierbarkeit im Eis geben. Dabei lässt sich TerraSAR-X in unterschiedlichen Aufnahmemodi betreiben, wodurch Aufnahmen mit verschiedener räumlicher Abdeckung, Auflösung und Polarisation ermöglicht werden. Wo und wie der Satellit aufnimmt, das entscheiden wir.
Und auch das ist fester Bestandteil meiner Arbeit und der Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen vom Earth Observation Center des DLR: Anhand der vorausberechneten Umlaufbahn des Satelliten die besten Aufnahmefenster für den nächsten Wegabschnitt der Polarstern zu bestimmen und Aufnahmen anzufordern. Manchmal stehen mir dabei die Schweißperlen auf der Stirn, schließlich muss ein ausgesuchtes Aufnahmefenster im System eingegeben sein, bevor der Satellit den Kontakt zur Bodenstation verliert. Umso mehr freue ich mich, wenn im Anschluss immer wieder die Resonanz von der Brücke kommt, wie hilfreich die Satellitenbilder bei der Navigation sind.
Vom All auf die Schiffsbrücke
Die Kollegen an der Forschungsstelle für Maritime Sicherheit Neustrelitz des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums (DFD) des DLR haben eine operationelle Prozesskette aufgebaut, die es ermöglicht, dass die angeforderten Aufnahmen dann auch innerhalb kürzester Zeit auf der Brücke der Polarstern landen. Dort helfen sie den Navigatoren, eine sichere Passage durch das Eis zu finden, sowie Forschenden an Bord, zum Beispiel Eisschollen ausfindig zu machen, die sich für bestimme Messungen eignen.
Mein Arbeitsplatz ist an der Forschungsstelle für Maritime Sicherheit in Bremen. Hier werden Algorithmen entwickelt, die aus den Radardaten detailliertere Parameter extrahieren. Parameter, die dem menschlichen Betrachter nicht direkt sichtbar werden, wie etwa die Eisdrift, oder die Abschätzung des Eisalters – auch ein entscheidender Parameter für die Navigation, denn neu gefrorenes Eis ist viel leichter befahrbar als etwa mehrjähriges Eis, das viele Sommer überdauert hat. Und um diese Algorithmen zu entwickeln, sind die erhobenen Vor-Ort-Beobachtungen und Messungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Polarstern nun wieder für uns unerlässlich.
Mit an Bord ist das Bremer Unternehmen Drift+Noise Polar Services GmbH, mit dem wir in der Vergangenheit bereits mehrere spannenden Forschungsprojekte durchgeführt haben. Über die von Drift+Noise entwickelte App "IcySea" werden Informationen über vorherrschende Meereisbedingungen nutzerfreundlich visualisiert. Bei der gegenwärtigen Forschungsexpedition ist Drift+Noise Wegbereiter für einen neuen Test, bei dem wir einen ganz entscheidenden Schritt weitergehen wollen.
Neue Wege: Automatische Routenberechnung durch driftendes Meereis
Bei der laufenden Forschungsexpedition der Polarstern planen wir, automatische Routenvorschläge an Bord zu schicken. Was bei der Navigation von Autos mittlerweile gang und gäbe ist, ist für die Schiffsnavigation im Eis wesentlich komplexer, da die "Fahrstraßen" mit dem Eis in Bewegung sind und ständig ihren Zustand ändern. Nach jahrelanger Entwicklungsarbeit wollen wir nun demonstrieren, dass eine automatische Routenbestimmung im Eis möglich ist.
In mehreren aufeinander aufbauendenden Forschungsprojekten (MAP-BORealis, EisKlass31, EisKlass2, FAST-CAST 2) haben meine Kolleginnen und Kollegen neue Algorithmen entwickelt, die nicht nur die aktuelle Meereislage kartieren, sondern diese Meereislage mithilfe von hochaufgelösten Vorhersagemodellen in die Zukunft projizieren, das heißt die zukünftige Meereisentwicklung abschätzen. Auf Basis dieser zukünftigen Meereisentwicklung berechnen unsere Projektpartner vom Zentrum für Industriemathematik der Universität Bremen eine optimale Schiffsroute durch das Eis. Diese Route wird dann mit Hilfe von IcySea direkt auf der Brücke der Polarstern den Navigatoren zur Verfügung gestellt und auf ihre Umsetzbarkeit für die Polarstern untersucht. Das hat in dieser Form bisher noch niemand gemacht.
Sollten diese Experimente erfolgreich verlaufen, können zukünftig über die entwickelte Routenoptimierung Fahrzeiten reduziert werden. In weiteren Forschungsvorhaben könnten Routen auch ganz gezielt hinsichtlich Emmissionsreduktion betrachtet werden.
Weiterführende Links:
- Vortrag von Anja Frost „Wie ein Radarsatellit funktioniert“
- Missionsseite des DLR zu TerraSAR-X
- Wo ist die Polarstern gerade?
- App IcySea
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