Neues, erstes Ziel für die Sonde Lucy: Besuch bei Dinkinesh, „der Wunderbaren“
Vor fast genau zwei Jahren startete die NASA die Mission Lucy mit einer bei der Erforschung des Sonnensystems neuen, ungewöhnlichen Aufgabe: Die Raumsonde wird von 2027 bis 2033 einige als „Trojaner“ bezeichnete Asteroiden untersuchen, die dem Planeten Jupiter auf dessen Bahn um die Sonne 60 Bogengrad vorauslaufen und hinterhereilen. Lucy, das ist dieses Mal nicht, wie sonst so häufig, eine Abkürzung für eine Aneinanderreihung technischer Begriffe, sondern die Benennung der Mission nach einem fossilen Bindeglied zwischen aufrecht gehenden Menschenaffen und den ersten Menschen. Im übertragenen Sinne geht es bei dieser Mission, wie so oft bei der Untersuchung von Asteroiden, darum, die früheste Zeit des Sonnensystems besser zu verstehen. Wie sind vor etwas mehr als viereinhalb Milliarden Jahren aus Molekülketten, dann Staub und Gas und bald darauf den ersten Planetesimalen schließlich die Planeten unseres Sonnensystems entstanden? Jetzt wird Lucy aber erst einmal an einem ‚konventionellen‘ Asteroiden im Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter vorbeigelenkt.
Lucy, „das Original“, das sind Teile eines Hominidenskeletts, des für die Evolutionsforschung so wichtigen Frühmenschen, die 1974 in Äthiopien gefunden wurden. Von ihrem Entdecker Donald Johanson und seinem Ausgrabungsteam wurde noch dort der Fund mit ‚Lucy‘ benannt, in Anlehnung an das populäre Beatles-Lied Lucy in the Sky with Diamonds (das abends auf der spontanen Entdeckungsparty im Kassettenrekorder lief), denn bei dem Fund handelt es sich um das Skelett eines Mädchens. In der Afarebene, dem Fundort, wird amharisch gesprochenen, und in dieser Sprache bekam der Australopithecus afarensis den Namen ‚Dinkinesh‘, was ‚die Wunderbare‘ bedeutet. Dinkinesh wurde jetzt auch ein 1999 entdeckter, 700 Meter großer Asteroid benannt, natürlich keineswegs zufällig. Er wird am 1. November 2023 das erste ‚wunderbare‘ Vorbeiflugziel der Raumsonde Lucy sein.
Das Lucy-Team am DLR blickt mit Spannung auf Dinkinesh
Dinkinesh ist das bislang kleinste Objekt im Asteroiden-Hauptgürtel, das von einer Raumsonde aus der Nähe beobachtet wird. Die Vorbeiflugentfernung wird dabei 425 Kilometer betragen und den Experimenten an Bord von Lucy ausgezeichnete Beobachtungsmöglichkeiten geben, so werden beispielsweise Krater von nur 35 Metern Durchmesser erkennbar sein. Während des Vorbeiflugs wird die Sonde 50 Prozent der Asteroidenfläche beobachten können, was einem Gebiet von etwa 0,75 Quadratkilometern Größe entspricht. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist mit seinem Berliner Institut für Planetenforschung an der Mission wissenschaftlich stark beteiligt. Dr. Stefano Mottola ist als Co-Investigator Mitglied des Wissenschaftsteams der Mission.
Zusätzlich zu den allgemeinen Pflichten im Wissenschaftsteam trägt das DLR-Institut für Planetenforschung die Verantwortung für einen ganzen Schwung an Aufgaben, wie zum Beispiel die internationale Koordinierung und Durchführung der erdgebundenen astronomischen Beobachtungen der Zielasteroiden mit Teleskopen. Mit den dabei gewonnenen Lichtkurven lassen sich erste Anhaltspunkte über die Eigenschaften dieser Asteroiden erlangen. Aus den astronomischen Daten können auch erste Modelle der Form und Rotationsraten der Kleinkörper berechnet und Planungen für die Vorbeiflüge an diesen Asteroiden verfeinert werden. Sind die Messdaten nach den Vorbeiflügen dann auf der Erde, erzeugen Stefano Mottola und sein Team 3D-Modelle der Körper und leiten aus den Bilddaten der Mission weitere Datenprodukte für die wissenschaftliche Auswertung ab. Das wird so auch bei Dinkinesh geschehen, wie auch beim nächsten Vorbeiflug im Asteroidengürtel an (52246) Donaldjohanson.
Stefano Mottola ist dabei besonders an der Auswertung von photometrischen Lichtkurven der Zielobjekte interessiert, das heißt, die Messung der Reflexionseigenschaften des Oberflächenmaterials in Abhängigkeit von der Wellenlänge und des Einstrahl- und Reflexionswinkels im sichtbaren Licht und im nahen Infrarot.
Neues Ziel, neuer, allerdings kaum veränderter Kurs
(152830) Dinkinesh, so die offizielle Bezeichnung der Internationalen Astronomischen Union (IAU), wurde 1999 im Zuge des Projekts LINEAR (Lincoln Near-Earth Asteroid Research, benannt nach dem Lincoln Laboratory am Massachusetts Institute of Technology in Boston, das zur Suche nach erdnahen Asteroiden ins Leben gerufen wurde) mit einem Teleskop im US-Bundesstaat New Mexico entdeckt. Später wurde der zunächst provisorisch als 1999 VD57 bezeichnete Asteroid auch vom Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile beobachtet und die Berechnung der Bahn um die Sonne verfeinert.
Zu einem zusätzlichen, statt des Asteroiden (52246) Donaldjohanson neuen ersten Missionsziel von Lucy wurde der kleine Asteroid durch Berechnungen von Dr. Raphael Marschall am Observatorium Côte d’Azur in Nizza und Mitglied im Lucy-Team. Marschall erkannte nach der Betrachtung von einer halben Million Asteroidenbahnen, dass 1999 VD57 mit nur ganz geringen Bahnkorrekturen von Lucy erreicht werden könnte. Am 25. Januar 2023 wählte das Lucy-Team 1999 VD57 als zusätzliches Vorbeiflugziel der Mission aus. Von der IAU erhielt der Asteroid nun seinen mit ‚Lucy‘ verknüpften Namen am 6. Februar 2023 auf Vorschlag des Lucy-Teams.
Mit Sonnenentfernungen zwischen 291 und 364 Millionen Kilometern bewegt sich Dinkinesh auf einer stark elliptischen, um 2,09 Grad zur Ekliptik (der von der Bahn der Erde um die Sonne eingeschlossenen Ebene) geneigten Bahn. Der Umlauf um die Sonne dauert dreieinviertel Jahre, ihre Rotationsperiode beträgt knapp 53 Stunden. Mit einem Rückstrahlvermögen (Albedo) von 40 Prozent ist Dinkinesh ein recht heller Asteroid, der zur Klasse der silikatreichen S-Typen (der mit 17 Prozent zweithäufigsten Asteroidengruppe) oder den selteneren V-Typen (nach dem zweitgrößten Asteroiden Vesta benannt und den S-Typen ähnlich) gehört.
Dank neuer Technik: höhere Präzision beim Zielen
Lucy hat sein neues Ziel zum ersten Mal am 3. September aufgenommen, zu diesem Zeitpunkt war die Sonde schon knapp 60 Millionen Kilometer unterwegs. Diese Aufnahmen diente vor allem der verbesserten Navigation für den Nahvorbeiflug. Um Dinkinesh nahe zu kommen, führte die Sonde nach Auswertung der Daten und Programmierung der Raumsonde dann am 29. September 2023 ein kleines Korrekturmanöver durch, bei dem die Geschwindigkeit der Sonde um nur sechs Zentimeter pro Sekunde verändert wurde. Das wird Lucy auf die geplanten 425 Kilometer an Dinkinesh heranführen. Am 16. Oktober war Lucy nur noch 4,7 Millionen Kilometer von Dinkinesh entfernt, da sich aber auch der Asteroid um die Sonne bewegt, muss Lucy Dinkinesh quasi noch 25 Millionen Kilometer mit geringfügig höherer Geschwindigkeit „hinterherfliegen“, ehe der eigentliche Vorbeiflug stattfindet. Ende Oktober würde, sofern erforderlich, noch eine weitere Feinkorrektur für den Nahvorbeiflug erfolgen. Ein wenig erschwerend für die Planung kam der Umstand hin zu, dass Sonde und Ziel ab dem 6. Oktober für einige Tage von der Sonne verdeckt waren und Funkverkehr zu Lucy in dieser Zeit nicht möglich war.
Für die zusätzliche Aufnahme eines Vorbeiflugs in die große, komplexe Tour von Lucy ins äußere Sonnensystem gab es gute wissenschaftliche Gründe. Für die NASA allerdings lieferten die technischen Aspekte die wichtigeren Argumente. Aus Perspektive der Forschung hofft das Team, mit Dinkinesh ein interessantes Bindeglied zwischen den größeren Objekten des Asteroiden-Hauptgürtels, die auch von früheren Missionen besucht wurden, und den erdnahen Asteroiden untersuchen zu können. Die Hauptaufgabe des Vorbeiflugs liegt jedoch in einem frühen Test der Instrumente und der Abläufe der Experimente, sowie einer ersten Generalprobe des Terminal-Tracking-Systems (TTS). Denn die Vorbeiflug- und Beleuchtungsgeometrie an Dinkinesh wird ähnlich sein wie bei Vorbeiflügen im weiteren Verlauf der Mission.
Mit dem TTS soll später in der Mission bei den Vorbeiflügen an den noch viel weiter entfernten Asteroiden auf der Jupiterbahn eine aus den Bilddaten während der Annäherung verbesserte, automatisierte Steuerung auf das Ziel möglich sein. Dieses bisher technisch noch nicht mögliche ‚bessere Zielen‘ soll zu einer besseren, weil eben ‚gezielteren‘ Bild- und Datenausbeute führen. Die ganz exakte Position von kleinen Körpern wie Asteroiden lässt sich mit Teleskopen von der Erde für Nahvorbeiflüge nicht hinreichend bestimmen, und eine Echtzeit-Korrektur der Bahn ist wegen der langen Laufzeiten der Funksignale natürlich undenkbar. Bei bisherigen Missionen hat man deshalb die Instrumente so programmiert, dass sie einfach ein großes Gebiet abdecken, in der Hoffnung, das Ziel würde dann wenigstens auf einigen der Fotos gut erfasst sein. Das Zielen „ins Blaue“ (oder natürlich im All „ins Schwarze“) führte aber gleichzeitig zu vielen unnötigen Aufnahmen und dadurch zum Verlust von wertvollen Datenkapazitäten. Ein erfolgreicher Test des TTS wäre ein Riesenfortschritt für die weitere Planung im Missionsverlauf und für zukünftige Missionen.
Nach Dinkinesh wird Lucy am 20. April 2025 noch ein weiteres Ziel im Hauptgürtel passieren, den vier Kilometer großen Asteroiden (52246) Donaldjohanson, benannt nach dem Entdecker von Lucy, Donald Johanson, der am 28. Juni 2023 seinen 80. Geburtstag feierte – und auch das war, wie man sich leicht aus dem oben Erzählten einen Reim darauf machen kann, kein Zufall...
Weitere Informationen:
- NASA-Video des Vorbeiflugs der Lucy-Raumsonde an Dinkinesh am 1. November 2023
- DLR-Pressemitteilung zu Start der Mission Lucy
- Webseite der NASA zur Mission Lucy (engl.)
- Lucy-Missionsseite des Southwest research Institute (SwRI)
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