Probandin berichtet aus der Bettruhe: Grüße von einer irdischen Weltraumreise
Eine der Probandinnen der zweiten Kampagne der SANS-Bettruhestudie ist im „wahren“ Leben Altenpflegerin und hat unter anderem aus diesem beruflichen Hintergrund an der Studie teilgenommen: Sie wollte die andere Seite kennenlernen, indem sie selbst bettlägerig und immobilisiert und auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Eine ganz besondere Erfahrung für sie, die sie bereits in den ersten Tagen der Bettruhe an eine Kollegin folgendermaßen schilderte:
Liebe Kollegin,
besondere Grüße von meiner irdischen Weltraumreise im Liegen!
Die ersten zwei Wochen waren neben der Eingewöhnung gespickt mit Terminen von Untersuchungen, Tests und Experimenten. Seit fast einer Woche befinde ich mich jetzt in der liegenden Phase und von den 30 Tagen in dieser Position sind damit schon einige geschafft. Ich gehöre zu der Kontrollgruppe und darf somit zwei Mal drei Stunden pro Tage sitzend in einem Mobilisationsstuhl verbringen, ohne die Beine zu bewegen. Der andere Teil der „Reisegruppe“ verbringt die komplette Zeit im Liegen, allerdings davon sechs Stunden am Tag von der Hüfte abwärts in einer Unterdruck-Kammer. Diese Anwendung wird hier in der Studie getestet und soll künftig den Raumfahrerinnen und Raumfahrern gute Dienste leisten.
Essen findet für alle Probandinnen und Probanden ausschließlich im Liegen statt, auch hier in 6-Grad-Kopftief-Lage. Zwischendurch gibt es immer wieder Experimente. Freie Zeit verbringen wir, indem wir unsere Betten zusammen in ein Zimmer rollen lassen oder auch alleine im Zimmer mit Puzzeln, Malen, Lernen, Computer und TV. Die Leute hier sind total zusammengewürfelt, wir ergeben eine lustige Mischung. Das Team ist großartig, wir werden täglich von einer Visite besucht, jeden zweiten Tag bekommen wir Physio und wir haben täglich einen eigenen Stretching-Plan.
Toilettenstuhl, Bettpfanne inklusive Windelunterlage im Bett, Weichlagerungsmatratze, Duschen im Liegen sowie das typische Altenheimfrühstück wie Brot und Tee sind mir jetzt am eigenen Leib wohl vertraut. Stuhlproben werden jede Woche einmal eingesammelt, Urin wird täglich jeder Tropfen gewogen. Das ist alles äußerst akribisch, was schon bei der Ernährung beginnt. Es gibt eine Grundumsatzmessung und der Bedarf wird mit Bezugnahme auf aktuelle Blut- und Urinbilder ermittelt. Sogar unsere Wasserflaschen werden auf der Waage am Ende Tropfen für Tropfen mit Pipetten befüllt.
Insgesamt ist es alles total spannend, jedes Experiment für sich. Besonders fasziniert war ich von den einzelnen MRT-Aufnahmen, ich konnte mein eigenes Herz bewegt in 3D sehen – IRRE! Den eigenen Körper lernt man hier unglaublich gut kennen, insbesondere auch die eigenen körperlichen Grenzen, aber, wie ich auch erfahren durfte, die eigenen körperlichen ungenutzten Möglichkeiten. So könnte ich meinem Körper sportlich wohl ein Vielfaches zumuten im Vergleich zu dem was ich bislang umsetze. Meine eigenen Grenzen liegen also definitiv eher im Kopf, was mehr mit Wille und dem inneren Schweinehund zu tun hat.
Ich bin bereits jetzt schon sehr dankbar für die Erfahrung, insbesondere auch für die sehr wertvollen Einblicke in die Sicht eines pflegebedürftigen Menschen. Das Klingeln für eine Bettschüssel, weil mir etwas hinuntergefallen ist oder die Hilfe zum Umsetzen in die tägliche aufrechte Position hat mich jetzt schon nachhaltig beeindruckt. Allein am ersten Tag bekam ich nach nur einer Stunde zu spüren, was passiert, wenn der Fuß nicht richtig auf der Fußstütze aufliegt, ich bekam sofort Knieschmerzen. Das tut mir nachträglich für viele Bewohnerinnen und Bewohner, die ich betreuen durfte, leid, wenn sie sich nicht äußern können. Ich freue mich aber zugleich darüber, diese Sensibilisierung für die Zukunft erfahren zu dürfen.
Jeder Tag ist eine Mischung aus fast schon kuriosem Alltag und kleinen Abenteuern, in relaxter aber gespannter Stimmung in Erwartung auf das Ende mit dem Ergebnis der abgeschlossenen Studie, aber genauso auf die nächsten interessanten Momente. Das vorwiegende Gefühl ist eine genauso verrückte Mischung wie die Teilnahme hier an sich.
Liebste Grüße
Probandin M
P. S.: Wir haben Astronautensocken vom Studienleiter geschenkt bekommen, damit liegt es sich gleich nochmal besser. :-)
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